© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Geteiltes Leid – Leid der Teilung
Kein Mauerfall ohne Mauer: Sie teilte die deutsche Hauptstadt 28 Jahre lang und wurde zum tödlichen Symbol. Bilanz eines Bauwerks, das am 9. November für immer überwunden wurde
Christian Vollradt

Der Jubel und die Freudentränen über die Öffnung der Grenze von Ost nach West vor 25 Jahren unterstreicht auch: Zeit ihrer Existenz wurde die Mauer nicht unwidersprochen akzeptiert. 28 Jahre lang stand das Bauwerk, wurde zum tödlichen Symbol der Teilung. Doch dagegen gab es von Anfang Widerstand. Von den etwa 250.000 politischen Strafverfahren in der DDR wurden die meisten wegen „Republikflucht“ geführt; einem Tatbestand, den die SED bereits Ende 1957 eingeführt hatte. Etwa vier Millionen Menschen haben die DDR zwischen 1949 und 1989 verlassen. Trotz Gefahr für Leib und Leben gelangten 40.000 von ihnen als sogenannte „Sperrbrecher“ in den Westen. Mindestens 138 Todesopfer forderte die Mauer in Berlin (siehe unten). Die Angaben über die gesicherte Zahl der Toten an der innerdeutschen Grenze schwanken zwischen 161 und 372.

Für die menschenverachtende Abschottung betrieb die DDR einen enormen Aufwand sowohl an Personal als auch an Material. Zynischerweise konnte der SED-Staat aber Mauer und Stacheldraht sogar als Einnahmequelle nutzen: Für Zwangsumtausch und Transitgebühren floß hartes Westgeld in die klammen Kassen Ost-Berlins, und allein der „Freikauf“ politischer Häftlinge (viele von ihnen eingesperrt, weil sie den Staat verlassen wollten) kostete etwa 3,4 Milliarden D-Mark.

Mit dem Bau der Berliner Mauer sowie der Sperranlagen entlang der innerdeutschen Grenze versuchten die kommunistischen Machthaber die Existenz der DDR zu stabilisieren und damit ihre eigene Herrschaft zu sichern. Daß ihnen dies nicht gelungen ist, hat der 9. November 1989 bewiesen.

 

Fluchtopfer

Die Zahl der Todesopfer an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze steht nicht exakt fest. Hier eine Übersicht aus verschiedenen Quellen:

Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Nachweislich 136 Menschen wurden an der Berliner Mauer erschossen, sind verunglückt oder haben sich wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs das Leben genommen: 98 Flüchtlinge, die beim Versuch, die Grenzanlagen zu überwinden, erschossen wurden, verunglückten oder sich das Leben nahmen; 30 Menschen ohne Fluchtabsichten, die erschossen wurden oder verunglückten, sowie acht DDR-Grenzer, die im Dienst durch Fahnenflüchtige, Kameraden, einen Flüchtling, einen Fluchthelfer oder einen West-Berliner Polizisten getötet wurden. Mindestens 251 meist ältere Reisende starben vor, während oder nach der Kontrolle an einem Berliner Grenzübergang, vornehmlich an den Folgen eines Herzinfarktes.

Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter

Insgesamt 274 Todesopfer, davon 114 in Berlin

Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität

Insgesamt 421 Tote, davon 152 an der Mauer

Mauermuseum „Haus am Checkpoint Charlie“

528 Personen starben an der Grenze zu West-Berlin, an der innerdeutschen Grenze kamen 671 Menschen ums Leben, 187 starben bei der Flucht in der Ostsee, 80 DDR-Bewohner kamen auf der Flucht über mittel- oder osteuropäische Nachbarstaaten in den Westen ums Leben, in 14 Fällen wurden sie nach erfolgreicher Flucht getötet. Damit beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf insgesamt 1.613 Menschen

Die ersten beiden Todesopfer an der Berliner Mauer waren die 58jährige Ida Siekmann – verunglückt beim Sprung aus dem 3. Stock ihres Hauses in der Bernauer Straße – am 22. August 1961 und der 24jährige Günter Litfin – von DDR-Grenzern am 24. August 1961 beim Fluchtversuch an der Mauer erschossen.

Die beiden letzten Mauertoten waren der 20jährige Chris Gueffroy – erschossen am 5. Februar 1989 – und Winfried Freudenberg, der am 8. März 1989 bei einem Fluchversuch mit einem Ballon verunglückte.

 

Personalstärke zur Überwachung ca. 12.000 Angehörige der Grenztruppen

2.700 Grenzsoldaten flüchteten aus der DDR in den Westen

 

Zwischen 1949 und 1988 haben 3,4 Millionen Menschen die DDR verlassen, seit dem Mauerbau 1961 kehrten 800.000 Bürger dem Staat den Rücken. Allein von Januar bis November 1989 gingen 300.633 Übersiedler in den Westen, wurde auf einer Demographischen Konferenz in Ost-Berlin 1989 festgestellt.

 

5.075mal gelang zwischen 1962 und 1988 die Flucht nach West-Berlin.

 

254 Menschen kamen seit Mauerbau durch Tunnel nach West-Berlin.

 

Der letzte bekannte Fluchttunnel wurde 1973 genutzt.

 

Über Drittstaaten gelangten etwa 178.000 Personen in den Westen.

 

5.000 Fluchtversuche erfolgten über die Ostsee, etwa 900 waren erfolgreich.

 

Berlin: Mauer zwischen Ost-Berlin und West-Berlin:  43,1 Kilometer

Gesamtlänge des Sperrings um West-Berlin: 155 Kilometer

Wassergrenze (Flüsse und Seen): 37,95 Kilometer

 

Deutschland: Gesamtlänge der innerdeutschen Grenze: 1.378 Kilometer

 

Zwischen 1,3 und 1,4 Millionen Minen ließ die DDR an dieser Grenze verlegen. Außerdem 55.000 Selbstschußanlagen (in der Zeit von 1971 bis 1983).

Jede dieser sogenannten „Sprengminen SM 70“ hatte 100 Gramm Sprengladung und über 100 scharfkantige Stahlwürfel,

die auf bis zu 25 Metern Distanz wie ein Dumdum-Geschoß wirkten. Im Westen wurde die SM 70 bekannt gemacht von Michael Gartenschläger, einem ehemaligen politischen Häftling in der DDR. Beim Versuch, eine weitere Mine zu demontieren, wurde Gartenschläger 1976 von der Stasi in eine Falle gelockt und erschossen.

Foto: Mauer mit Lichtanlage: Der Versuch, mit Beton auf über hundert Kilometern die Existenz des Staates und die Macht zu sichern

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