© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Niedrigzinsen helfen vor allem dem Staat
EZB: Wohin führt die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank? Das geldpolitische Experiment mit Zinsen nahe Null birgt viele Risiken
Philipp Bagus

Die Zentralbanken experimentieren mit einer Nullzinspolitik. Als letzte Notenbank ist die Europäische Zentralbank (EZB) an die Nullgrenze gestoßen. Auch beim Wertpapierankauf an der Nullgrenze ist sie neuerdings mit dabei. Vorreiterin ist sie gar bei den Negativzinsen auf die bei ihr hinterlegten Bankeinlagen.

Aber warum das alles? Welchen Zweck verfolgt die EZB mit ihren neuartigen Instrumenten? Zum einen möchte sie durch die Nullzinspolitik erreichen, daß – vor allem in Südeuropa – wieder vermehrt Kredite aufgenommen werden. Unternehmen sollen investieren und Haushalte konsumieren. Zum anderen soll die Fiskalpolitik der Euro-Staaten unterstützt werden. Dank der Niedrigzinspolitik fällt die Zinslast im Staatshaushalt. So werden Mittel für andere Projekte frei.

Die EZB macht damit das, was die Hauptstromökonomen in einer Rezession empfehlen. Viele Makroökonomen sind auf die Nachfrage fixiert. Unternehmen und Haushalte sollen mehr ausgeben. Und versagt die private Nachfrage, ist ja noch der Staat da, der durch seine Ausgaben die Konjunktur ankurbeln soll.

Auch ihre Deflationsphobie treibt viele Ökonomen dazu, in einem Umfeld moderater Preissteigerungen eine expansive Geldpolitik zu empfehlen. Zufälligerweise fallen die Empfehlungen der Ökonomen genau mit dem zusammen, was im Interesse der Regierungen ist. Vor allem den überschuldeten Staaten der Euro-Zonenperipherie spielt die Nullzinspolitik der EZB in die Karten. Die Zinsen auf ihre Staatspapiere sind so niedrig wie lange nicht. Das eröffnet Spielraum für zusätzliche Ausgaben, um Wähler zu gewinnen und schmerzhafte Strukturreformen auf die lange Bank zu schieben.

Ob uns die EZB nun aus politischen Interessen oder aus ihrer makrotheoretischen Überzeugung heraus in dieses Experiment hineingeführt hat, ist an dieser Stelle nur zweitrangig. Die zentrale Frage ist vielmehr, ob die Nullzinspolitik die Euro-Wirtschaft wirklich aus der Rezession führen kann. Drei große Problemfelder behindern die Erholung in der Euro-Zone: 1. Überschuldung, 2. strukturelle Verzerrungen und 3. erhöhte Unsicherheit.

Nicht jeder braucht einen Kredit zum Nulltarif

Kann die EZB-Strategie hier überhaupt Abhilfe schaffen? Die Politiker können die Pferde nur zur Tränke führen, saufen müssen sie selbst. Oder anders: Die EZB kann Kredite quasi zum Nulltarif anbieten. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß die private Kreditvergabe sich erhöht. Denn die Banken können selbst in Liquiditätsproblemen stecken und lieber ihre Liquidität erhalten. Oder aber es kann an solventer Kreditnachfrage fehlen.

Die fehlende Kreditnachfrage ist vor allem in der europäischen Peripherie vorzufinden. Bin ich mit einer Hypothek von 300.000 Euro belastet für ein Haus, das nach Platzen der Immobilienblase nur noch 200.000 wert ist und ist gleichzeitig mein verfügbares Einkommen aufgrund der Rezession geschrumpft, werde ich mich wahrscheinlich trotz Niedrigzinsen nicht weiter verschulden, sondern versuchen, meine Schulden abzubauen. Genau dies geschieht in der Peripherie. Ähnlich steht es bei vielen überschuldeten Unternehmen.

Die Nullzinspolitik ist zum Scheitern verurteilt. Sie verschlimmert die Lage, denn der Schuldenabbau wird verlangsamt. Eine frühzeitige Schuldenrückzahlung wird teurer. Doch das ist noch nicht alles. Fehlinvestitionen werden künstlich am Leben erhalten. Eine Liquidierung, die zu sinkenden Kosten für Unternehmen, damit zu einem Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit und einer Restrukturierung der Wirtschaft führen würde, wird erschwert.

Gleichzeitig erleichtert die Politik es der Regierung, sich weiter zu verschulden, die knappen Ersparnisse auf sich zu ziehen und durch ihre Ausgaben die Produktionskosten zu erhöhen. Als wäre das noch nicht genug, haben die Unabwägbarkeiten des geldpolitischen Experiments und des dramatischen Anstiegs der Staatsverschuldung die Unsicherheit erhöht, was neue Investitionen und damit auch neue Kreditaufnahme unattraktiv macht. Die Geldpolitik der EZB gleicht mithin einem vermeintlichen Rettungsschwimmer, der den Ertrinkenden weiter unter Wasser drückt. In diesem Falle, damit die aufgeblähten Staaten noch einmal Auftrieb bekommen.

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