© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Nahles will DGB-Konkurrenz ausschalten
Tarifeinheit: Mit einem Gesetz will die Ministerin Spartengewerkschaften wie der GdL das Leben schwermachen
Christian Schreiber

Die Bundesregierung will die Gunst der Stunde nutzen, die ihr die Streiks bei der Deutschen Bahn und der Lufthansa beschert haben. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) möchte Arbeitskämpfe kleiner Gewerkschaften künftig per Gesetz beschränken. Einigen sich mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb nicht, soll nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern gelten. Im Streitfall sollen Arbeitsgerichte entscheiden.

So sieht es der Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor, den Nahles in der vergangenen Woche vorstellte: „Das Streikrecht bleibt aber auf jeden Fall unangetastet“, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Bei den Deutschen dürfte der Großen Koalition Zustimmung zu diesem Vorhaben gewiß sein, durchkreuzten die streikenden Bahnmitarbeiter oder die sich im Arbeitskampf befindlichen Piloten der Lufthansa doch die Herbstferienpläne vieler Bürger. Die Konzernspitze der Lufthansa warf der Vereinigung Cockpit prompt vor, „eine Stillstands-Nation aus Deutschland zu machen“. Es sei inzwischen der achte Pilotenstreik bei der Lufthansa binnen eines knappen halben Jahres und weitere seien angekündigt: „Es hat unerträgliche Maße angenommen“, schreibt die Fluggesellschaft.

In dem Tarifkonflikt geht es um die sogenannte Übergangsversorgung. Die Lufthansa will, daß ihre Piloten später als bisher in den bezahlten Vorruhestand gehen – die Gewerkschaft wehrt sich dagegen. Zahlreiche Politiker kritisierten diesen Streik als „Luxusproblem“, verdient ein Pilot doch zwischen 60.000 und 200.000 Euro pro Jahr.

Das Streikrecht soll neu strukturiert werden

Wesentlich weniger verdienen Lokführer und Zugbegleiter bei der Deutschen Bahn, die sich zuletzt im Ausstand befanden. Dort waren auch weniger die Tarifforderungen das Problem als ein Machtkampf zweier Gewerkschaften. Die mitgliederstarke Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mit rund 210.000 Mitgliedern sieht sich einem Angriff der kleinen Gewerkschaft der Lokführer (GdL) ausgesetzt. Die GdL kämpft dafür, daß sie außer für die Lokführer auch für Zugbegleiter, Bistro-Mitarbeiter, Disponenten und Lok-rangierführer eigene Tarifverträge aushandeln darf. Innergewerkschaftlicher Zoff auf dem Rücken aller – dies ruft nun die Politik auf den Plan. „Es geht nicht darum, mit diesem Gesetz Streiks zu verhindern“, sagte Nahles. Doch bei sich anbahnenden Streiks sollten gütliche Wege eingeschlagen, Kollisionen zwischen zwei Gewerkschaften vermieden werden. Die Tariflandschaft solle nicht weiter zerfleddert werden.

Doch unproblematisch ist das Vorhaben nicht: Das Bundesarbeitsgericht hatte vor vier Jahren entschieden, daß es in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander geben dürfe. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung war mit dem Plan gescheitert, die Tarifeinheit wiederherzustellen.

Mit dem nun geplanten Gesetz strebt Ministerin Nahles eine Neustrukturierung des Streikrechts an. Eine sogenannte Mehrheitsregel soll demnach stärkere Anreize für eine friedliche Lösung von Streitigkeiten zwischen konkurrierenden Gewerkschaften schaffen. „Der Gesetzgeber wird sich auch künftig nicht anmaßen, direkt in Tarifauseinandersetzungen einzugreifen“, sagte Nahles der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Die Reaktionen auf das Vorhaben fielen auffällig unterschiedlich aus. Vertreter kleiner Gewerkschaften äußerten sich empört. Der Deutsche Beamtenbund (dbb) und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) kündigten rechtliche Schritte an. „Ich gehe davon aus, daß ein Arbeitsgericht beim ersten Konfliktfall das Bundesverfassungsgericht anrufen wird. Wir selbst halten uns einen solchen Schritt selbstverständlich offen“, sagte der dbb-Vorsitzende Klaus Dauderstädt DPA. Der Marburger Bund, der für Krankenhausärzte Tarifverträge aushandelt, ist auch verärgert. „Im Falle einer gesetzlichen Regelung werden wir zum frühestmöglichen Zeitpunkt gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erheben“, sagte Verbandschef Rudolf Henke.

CGB und DBB sind dem DGB ein Dorn im Auge

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, mit 6,5 Millionen Mitgliedern, hält sich dagegen merklich zurück. Er könnte der größte Nutznießer des neuen Gesetzes sein, hat er doch den Anspruch, alle Arten von Arbeitnehmern zu organisieren. Vor allem der Deutsche Beamtenbund mit 1,2 Millionen Mitgliedern ist ein Hauptkonkurrent. Doch auch der Christliche Gewerkschaftsbund mit seinen rund 280.000 Organisierten ist dem DGB ein Dorn im Auge. Der SPD-nahe DGB hatte der Konkurrenz wiederholt vorgeworfen, ihre Organisation auf dem Rücken der Arbeitnehmer zur stärken, indem sie Dumping-löhne vereinbart hätten. Sie seien eben die Gewerkschaft gewesen, deren Tarifvertrag etwa Anton Schlecker genutzt habe, um altgediente Kräfte hinauszuwerfen und als Billig-Zeitarbeitskräfte wieder einzustellen.

Mit Hilfe von Andrea Nahles könnte sich der DGB nun lästiger Konkurrenz entledigen. Die kleinen christlichen Gewerkschaften zählen dazu, aber auch gegenüber dem Hauptkonkurrenten DBB würde sie sich einen entscheidenden Vorteil verschaffen. So wundert es nicht, daß sich der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, ansonsten ein durchaus lautstarker Mann, nicht zu dem aktuellen Konflikt und den Plänen der Ministerin äußern wollte. Die innerhalb des Bundes organisierte Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie begrüßte allerdings, „daß die Koalition einen Weg eröffnen will, die Tarifeinheit zu stärken, ohne in die Koalitionsfreiheit einzugreifen“, wie ihr Chef Michael Vassiliadis sagte. Größte DGB-Einzelorganisation ist übrigens die IG Metall. Sie hatte vor rund zehn Jahren eine prominente, hauptamtliche Mitarbeiterin. Ihr Name: Andrea Nahles.

Foto: Andrea Nahles (SPD): Die Bundesarbeitsministerin bringt eine neue Reform auf den Weg, die großen Gewerkschaften Vorteile verschaffen könnte

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