© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/14 / 07. November 2014

Pankraz,
Jeremy Rifkin und das Ende der Arbeit

In letzter Zeit hat es in einigen wichtigen Wirtschaftszweigen, im Hotelgewerbe und im Taxigewerbe, ziemlich viel Unruhe gegeben. Grund: Internetportale bieten billigste oder sogar kostenlose Dienstleistungen an. Wer als Reisender ein Zimmer sucht, der braucht sich demnach nicht mehr in einem Hotel einzumieten, sondern er ruft das betreffende Portal auf und sofort erhält er Adressen angezeigt, wo er ohne die geringsten „Grenzkosten“ gemütlich übernachten kann. Bei den Taxis ist es ähnlich: Portal aufrufen, Fahrer kommt, billigste Beförderung.

Jeremy Rifkin (69), der bekannte Hecht im Karpfenteich von Soziologie und Ökonomie, hat bereits ein ganzes dickes Buch über das neuartige Phänomen herausgebracht: „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge. Kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus“ (erschienen im Campus Verlag, Frankfurt am Main 2014, gebunden, 423 Seiten, 22,99 Euro). Der Mann aus Denver, Colorado, sieht in den Hotel- und Taxiportalen die „Vorreiter“ einer neuen Gesellschaft, der „sharing society“ (Gesellschaft des kostenlosen Teilens), die demnächst überall kommen werde.

Pankraz findet den Titel des Buches ziemlich umständlich und auch irreführend. Ein früheres Opus von Rifkin hieß „Das Ende der Arbeit“, und um das Ende der Arbeit geht es ihm auch diesmal wieder. Die ungeheuren Möglichkeiten der Nutzung von Sonnen- und Wasserstoffenergie, so führt er aus, in Verbindung mit vollautomatisierten industriellen Bewegungs- und Kraftabläufen und mit elektronischer Datenspeicherung plus Datenverknüpfung setzten jeden Begriff von spezifisch menschlicher Arbeit und Arbeitskraft total außer Kurs. In naher Zukunft werde es keine menschliche Arbeit mehr geben.

Solches Außer-Kurs-Geraten, heißt es weiter, sei aber kein Verhängnis, im Gegenteil, der Kapitalismus werde dadurch ja ebenfalls außer Kurs gesetzt, man brauche ihn nicht einmal mehr mit gewalttätigen Revolutionen niederzuringen, sondern er werde ganz von allein verdämmern, indem er keinen Profit mehr erlange. Profit sei die Versilberung von „Grenzkosten“, also der Kosten, die entstehen, wenn man eine Sache in eine andere, komplexere überführt, und wenn künftig der Grenzwert dank Wasserstoffenergie, Automatik und Big Data auf Null sinke, könne es auch keinen Profit mehr geben.

Die Theorie klingt zu eingängig, um wahr zu sein. Was hat Rifkin denn für einen Begriff von Arbeit? Diese beschränkt sich doch nicht auf bloße sogenannte Knochenarbeit. Gerade in den technisch und informationell hochentwickelten Gegenden, die Rifkin im Auge hat, gibt es diese schon lange nicht mehr. „Körperliche“ Arbeit ist heute allenfalls eine Mischung aus immer gleichförmigen Handgriffen, scharfer Beobachtung maschineller Abläufe und dem Ertragen gewisser psycho-physischer Belastungen wie Lärm, Hitze oder Geruchsbelästigung.

Der moderne Arbeiter drückt ganz überwiegend irgendwelche Tasten oder Knöpfe; statt von „sharing societey“ sollte man also lieber von der „Knopfdruckgesellschaft“ sprechen, der wir heute ausgeliefert sind. Und dazu tritt, Big Data und Robotergezappel zum Trotz, die geistige, wahrhaft kreative Arbeit, welche neue, bisher unbedachte Konstellationen ins Auge faßt und ständig neue Grenzen setzt, wodurch auch der Grenzwert sich dauernd verändert. Just dadurch entstehen ständig neue Chancen fürs Profitmachen; der Profit ist nicht das Resultat von Knochenarbeit, sondern von kreativer Kopfarbeit.

Rifkins ständiges Reden vom „kollaborativen Gemeingut“, das „geteilt“ werden müsse und in naher Zukunft durch den „objektiven“ Lauf der Dinge auch „wie von selbst“ und unwiderruflich geteilt werde, ist nichts als Augenwischerei. Es gibt keine Dinge, die wirklich von selber laufen, und folglich gibt es auch kein „Internet der Dinge“. Jeder genauere Blick dorthinein bringt vielmehr an den Tag, daß es sich um ein Netzwerk ungezählter lebendiger Antriebe und Wollungen handelt, daß es um Abgrenzungen, Grenzverschiebungen, Besitzansprüche und eben auch um Profite geht.

Freiheit beginnt nicht, wie einst der selige Karl Marx lehrte, „jenseits der Arbeit“, sondern es besteht engste Koinzidenz zwischen beidem. Der Mensch ist wahrhaftig ein Arbeitstier, körperlich wie geistig. Die Arbeit hält seinen Körper in Schwung, bildet seinen Geist, wärmt, fast noch mehr als die Liebe, seine Erinnerung. Ihre von Rifkin propagierte Abschaffung würde kein Reich der Freiheit entstehen lassen, sondern lediglich Riesenlangeweile nebst erbitterten Revierkämpfen zwischen Arbeitslosenheeren, wo es dann darum gehen würde, wer noch einige Knöpfe drücken darf und wer Hartz IV beantragen muß.

Was aber die aktuellen Vorzeichen der „sharing society“, also die neuen Hotel- und Taxiportale, betrifft, so sollte man mit ihrer endgültigen Beurteilung noch etwas warten. Ihr Betriebsumfang ist zur Zeit ja noch klein, ihre User sind hier und da tatsächlich nur einige wenige Pensionäre und Angehörige des Prekariats, die sich ohne ordentliche Arbeit schlichtweg langweiligen und vorläufig mit kleinsten Vergütungen zufrieden sind. Unter solchen Umständen läßt sich leicht träumen,

Wie heißt es so schön bei Rifkin? „Es gibt eine Ökonomie, die dem Kapitalismus vorausgeht: die soziale Wirtschaft. Menschen teilen ihr soziales Kapital und produzieren alle Arten von Dienstleistungen, die weder Markt noch Staat anbieten: Non-Profit-Krankenhäuser, Kultur, Sport. Ohne diese soziale Wirtschaft würde jede Gesellschaft kollabieren. Und dieser Sektor wächst nachweislich wesentlich schneller als das, was wir als Bruttoinlandsprodukt erfassen. In den USA macht er bereits 10 Prozent der Arbeitsplätze aus.“

Nun, man wird sehen. Wenn der Betrieb sich erst einmal befestigt und ausgedehnt haben wird, dürften sich mit Sicherheit auch die unermüdlichen, ewig witternden Profitstrategen einfinden – und der Staat seine Steuerforderungen stellen. Wetten daß?

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