© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Endlich sagt’s mal einer
Linkspartei: Im Bundestag bekam sie ihr Fett weg, in Thüringen darf sie bald regieren
Thorsten Hinz

Die Attacke des Liedermachers Wolf Biermann gegen die Linkspartei im Bundestag hat vielen Menschen in West und Ost Genugtuung bereitet. Das Gefühl lautet: Endlich hat einer Klartext gesprochen und die Heuchelei beim Namen genannt! Linkspolitiker haben ja eine wahre Meisterschaft darin entwickelt, die besorgten Demokraten zu mimen, und werden dabei von den Medien assistiert. Biermann setzte dem Schmierentheater seinen Versuch entgegen, die Partei auf ihre historische und politische Substanz zu reduzieren: auf „den elenden Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde“.

Der Hieb saß – und verfehlt dennoch die entscheidende Stelle. Biermann, der 1976 aus der DDR ausgebürgert worden war, beglich im Bundestag vor allem alte Rechnungen. Mit den Ereignissen 1989 hatten seine Person und seine Lieder nicht mehr viel zu tun gehabt. Den anderen Bundestagsparteien gab er die Gelegenheit, sich erhaben über die Linke zu fühlen, ohne etwas nachweisen zu müssen. Erwähnenswert wäre gewesen: Der SED-Staat leistete sich ein Scheinparlament, die Volkskammer, deren Abgeordnete als Abnickautomaten dienten. Handelten die Bundestagsabgeordneten, die zu den Nacht-und-Nebel-Beschlüssen zur Euro-Rettung die Hand hoben, qualitativ anders?

Vor dem Hintergrund der Regierungsbildung in Thüringen muß Biermanns Aussage auch in Zweifel gezogen werden. Der „elende Rest“ erweist sich als schrecklich lebendig und bereitet sich auf den Einzug in die Erfurter Staatskanzlei vor. Die Linkspartei stellt bereits zahlreiche Bürgermeister und einige Landesminister. Diese sind mit Verwaltungsaufgaben betraut oder unterstehen der Weisungsbefugnis ihrer Ministerpräsidenten. Nun könnte erstmals ein Linkspolitiker selber politische Richtlinienkompetenz erlangen. Das bedeutet einen Qualitätssprung, der sich auch auf die Bundespolitik auswirken wird. Der nächste logische Schritt ist die rot-rot-grüne Koalition im Bund.

Naürlich wird Bodo Ramelow nicht zur Neuauflage der Großen sozialistischen Revolution blasen, aber evolutionäre Veränderungen, Maßnahmen zur Gleichmacherei und ideologischen Indoktrination werden zunehmen. „Thüringen fair ändern“ heißt das Programm der Landespartei. Vorgesehen ist ein „Landesprogramm gegen Neonazismus und für Demokratie“.

Es „soll mit dem Ziel landesgesetzlich verankert werden, neonazistische, rassistische, antisemitische und antidemokratische Einstellungen in der Gesellschaft und deren Verbreitung zu begegnen“. Das Partei- und Sozialarbeitermilieu, das sich in der Linkspartei und ihrem Umfeld versammelt, würde in staatliche oder staatlich finanzierte Positionen einrücken und von dort Einfluß auf die Gesellschaft nehmen. Das ist nicht weniger als die Fortsetzung und Forcierung der 68er Kulturrevolution.

Erneut muß an das Erbe der Linkspartei erinnert werden. Sie steht in der rechtlichen, politischen und personellen Kontinuität zur SED. Aus ihr hat sie nach 1989 ihre organisatorische Stärke bezogen. Die SED stand für Prinzipien, die inhuman waren und die sie mit eiserner Konsequenz durchexerzierte. Während Ungarn nach Überwindung des Hochstalinismus zur „lustigsten Baracke im sozialistischen Lager“ wurde und Polen den Sozialismus mit einer gewissen Nachlässigkeit handhabte, hielt die SED am Schießbefehl, an der Drohung mit dem Staatsmord, fest. Es hätte andere, unterschwellige Handlungsmöglichkeiten gegeben, etwa die modifizierende Anweisung an die Grenzsoldaten, jene Flüchtlinge, die trotz Sperrvorrichtungen und Sperrmaßnahmen eine bestimmte Linie überschritten hatten, laufen zu lassen, um dem „Klassenfeind“ keinen Anlaß für „antikommunistische Hetze“ zu geben. Der Sinn dieser Anweisung wäre verstanden und goutiert worden in einem Land, wo die Kommunikation oft über Unausgesprochenes und über Andeutungen ablief. Zu dieser humanitären Geste im Kalten Krieg hat die SED-Führung sich nicht bereit gefunden.

Gewiß, auch SED-Mitglieder reagierten darauf verbittert und verzweifelt, aber sie waren nicht tonangebend. Sicher, die heutigen Führungsfiguren der Linken kann man nicht für die SED-Politik verantwortlich machen. Doch die Berufsbetroffenen, Dauerengagierten und Angehörigen des subakademischen Prekariats, die sich dort tummeln, erinnern latent an die Berufsrevolutionäre, die die Geschichte der marxistischen Linken und der DDR geprägt haben. Mit ihnen teilen sie die militante Sprache, die Neigung zur politischen Gewalt und zur Gesinnungsjustiz. Wie weit werden sie gehen, wenn sie erst dürfen? Der Gedanke, daß dieses Milieu in einem Bundesland bestimmend wird, ist gräßlich.

Biermann sprach von einer „Drachenbrut“. Dieses mythische Bild verdeckt mehr als es freilegt. 1945 gab die Sowjet-union auf dem Gebiet der SBZ/DDR den deutschen Kommunisten die Möglichkeit, ihre Träume zu verwirklichen, mit ihren Gegnern abzurechnen, das unmündige Volk antifaschistisch umzuerziehen und das Nationalgefühl dem Geist des Marxismus-Leninismus unterzuordnen. Die Linkspartei ist ein Rudiment aus jener Zeit, das ins Heute herüberragt.

Ihre öffentliche Reputation wächst, obwohl alles, was zur Wiedervereinigung geführt hat, gegen den erbitterten Widerstand ihrer Vorgängerpartei errungen wurde. Ein Grund liegt darin, daß am Anfang der Bonner Staatsgründung ebenfalls das Mißtrauen und der Erziehungsauftrag an das eigene Volk stand und diese Gemeinsamkeit den qualitativen Systemunterschied zwischen der Bundesrepublik und der einstigen DDR heute mehr und mehr überlagert.

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