© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Blüh im Glanze dieses Glückes
9. November: Die Hauptstadt hat das Mauerfall-Jubiläum stimmungsvoll und imposant begangen
(JF)

Eine ältere Dame beobachtet vom Fenster ihres Hauses in der Ackerstraße, wie Teilnehmer und Ehrengäste an der Gedenkstätte Ber-nauer Straße eintreffen. Die Szenerie ähnelt ein wenig jenen berühmt-traurigen Bildern der alten Menschen, die am 13. August 1961 fassungslos zusehen müssen, wie sie eingemauert werden.

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An den erhaltenen Resten der sogenannten Hinterlandmauer werden an diesem bedeckten Novembertag Blumen niedergelegt im Gedenken an die Toten der Mauer. Die Kanzlerin ist erschienen, Berlins Regierender Bürgermeister sowie Opfer der kommunistischen Diktatur. Ehrhart Neubert, Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs und Vorsitzender des Bürgerbüros, nennt in seiner kurzen Ansprache die Mauer ein Symbol für den „zu Beton gewordenen Unrechtsstaat DDR“. Es gebe tragische Opfer und Täter, die sich schuldig gemacht haben. „Die Freudentränen des 9. November 1989 waschen das Blut nicht ab, das hier vergossen wurde“ und: „Die Mauer war das abscheulichste Bauwerk, das Berlin je zu bieten hatte.“ Da atmen einige Anwesende hörbar ein ...

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Bevor Merkel ihre einzige Rede des Tages in der Gedenkstätte halten wird, spielt die Violinistin Dorothea Ebert ein Stück von Bach. Genau dies hatte sie – ohne Instrument, nur in ihrer Phantasie – auch während der Haft im berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck getan, wo sie einst wegen versuchter „Republikflucht“ einsitzen mußte. Die Zuhörer sind sichtlich bewegt.

Vor der Gedenkstätte vertreiben sich unterdessen Austauschschüler aus Norwegen die Zeit (und die Kälte), indem sie mehrstimmig auf deutsch „Die Gedanken sind frei“ intonieren. Zum Abschied schenken sie der Kanzlerin ein norwegisches Fähnchen. Merkel gibt es nicht weg, sondern behält es in der Hand, lächelt und steigt in ihren Dienstwagen.

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Die Lichtgrenze (JF 46/14) ist wirklich imposant. Ganz Berlin plus Gäste scheint auf den Beinen zu sein. Kurz nach 19 Uhr lösen „Ballonpaten“ wie in einer Stafette, beginnend am Brandenburger Tor, den „Fall der Mauer“ aus. Am Spreeufer gegenüber steht der südkoreanische Botschafter Kim Jae-shin. An einem von seiner Botschaft betreuten Ballon hängt die rührende Botschaft des sich ebenfalls nach Wiedervereinigung sehnenden Volkes: „Ich sammle alle Trauer und Sehnsucht aus 54 Jahren koreanischer Teilung und fülle sie in meinen Ballon und lasse ihn steigen.“ (JF)

Fotos: Ballons der Lichtgrenze steigen am Brandenburger Tor auf: Hunderttausende waren auf den Beinen und feierten; EIn kleines Mädchen steckt eine Rose in die Mauer an der Gedenkstätte Bernauer Straße: „Abscheulichstes Bauwerk“; Ehemaliger Checkpoint Charlie: Erinnerung an die Freudentränen; Oberbaumbrücke zwischen Kreuzberg und Friedrichshain: Imposante Lichtgrenze aus 7.000 Ballons; Südkoreas Botschafter Kim Jae-shin: Sehnsucht nach Wiedervereinigung

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