© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/14 / 14. November 2014

Den heiligen Krieg entfachen
Nach 1914 versuchte das Deutsche Reich, die Fahne des Aufruhrs in die islamische Welt zu tragen
Paul Leonhard

Um den europäischen Kriegsschauplatz zu entlasten, plante das Kaiserreich einen Aufstand in Nahost. „Unsere Konsuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müssen die ganze mohammedanische Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstand entflammen“, äußerte Wilhelm II. am 30. Juli 1914. Die von Großbritannien abhängigen Perser, Afghanen und die benachbarten Inder sollten aufgewiegelt werden. Gemeint war aber auch das Zarenreich, dessen Truppen im Norden Persiens standen und kurz nach Kriegsbeginn vorrückten. Ziel war eine Vereinigung mit den Briten im Süden. Das geographisch isolierte Rußland benötigte eine direkte Verbindung zu seinen Verbündeten.

Deutschland wollte genau das verhindern. Außerdem wollte es möglichst viele britische Einheiten im Orient binden. Auch sollten neben der bei Kriegsausbruch noch neutralen Türkei Afghanistan und Persien zu Verbündeten werden. Letzteres versuchte verzweifelt, seine vor allem von Großbritannien und Rußland bedrohte Unabhängigkeit zu wahren, war aber militärisch dazu nicht in der Lage. Es gab eine von russischen Offizieren geführte persische Kosakenbrigade, eine von (deutschfreundlichen) schwedischen Offizieren befehligte persische Miliz und die von britischen Offizieren kommandierten „South Persian Rifles“.

Da eigene Truppen nicht verfügbar waren, setzte Berlin auf eine Handvoll tollkühner Männer, zum Teil anerkannte Nahostexperten. Sie sollten den schwelenden Streit zwischen Schiiten und Sunniten schlichten, Aufstände organisieren, Engländer und Russen durch Überfälle in Atem halten, die für die britische Marine wichtige Erölpipeline zerstören.

Nach Afghanistan brach beispielsweise Mitte Dezember 1914 die sogenannte Niedermayer-Hentig-Expedition auf. Oskar Niedermayer war als Leutnant von der Bayerischen Armee zum Studium der Naturwissenschaften, Geographie und der iranischen Sprachen delegiert und später auf eine zweijährige Studienreise durch Persien und Indien geschickt worden.

„Die Deutschen kämpfen auf der Seite des Islams“

„An einem Januartag des Jahres 1915 ritten wir, ein halbes Dutzend Deutscher, durch eine seltsame und entlegene Gegend.“ Mit diesem Satz beginnt der Archäologe Hans Lührs das erste Kapitel „Der Heilige Krieg“ seiner Mitte der dreißiger Jahre erschienenen Erinnerungen „Gegenspieler des Obersten Lawrence“. Lührs versuchte als Angehöriger der Expedition von Hauptmann Fritz Klein die „Fahne des Aufruhrs bis nach Persien und sogar bis nach Afghanistan zu tragen“, schreibt Dagobert von Mikusch im Vorwort des Buches und bedauert, daß „Namen wie Niedermayer, Hentig, Klein,Waßmuß (...) in Deutschland wenig oder gar nicht bekannt“ sind. Dabei seien die Leistungen dieser Deutschen „noch verblüffender, ihre Taten noch abenteuerlicher und phantastischer als die des berühmten britischen Aufstandsführers Thomas Edward Lawrence.

An dieser fehlenden Bekanntheit hat sich wenig geändert, auch wenn 2002 der Diplomat Hans-Ulrich Seidt ein beeindruckendes Porträt Oskar Niedermayers publizierte (JF 15/03) und 2013 Wilfried Loth und Marc Hanisch unter dem Titel „Erster Weltkrieg und Dschihad. Die Deutschen und die Revolutionierung des Orients“ (Oldenburg Wissenschaftsverlag) einen Band mit lesenswerten Aufsätzen über die damaligen Protagonisten Max Freiherr von Oppenheim, Colmar von der Goltz, Rudolf Nadolny, Wilhelm Waßmuß, Fritz Klein, Curt Prüfer und Joseph Pomiankowski herausgegeben haben.

Dabei war die deutsche Politik der Nadelstiche erfolgreich. Im November 1914 verkündete der türkische Sultan den „Heiligen Krieg“ gegen die Ungläubigen, womit Briten und Russen gemeint waren. Allerdings beschränkte sich sein Machtbereich auf die Mohammedaner sunnitischer Glaubensrichtung. Für die in Persien, Afghanistan und Indien lebenden Schiiten war die oberste Geistlichkeit in Kerbela zuständig. Diese hatte aber ein gewaltiges Problem: Sie war von den Spenden indischer Fürsten abhängig und die Zahlungen wurden durch die Briten in Bagdad abgewickelt. Die Deutschen wußten um diese Nöte, und nachdem die „Expedition Klein“ im Januar 1915 dem geistigen Führer der Schiiten 50.000 Mark gezahlt hatte, rief dieser alle schiitischen Gläubigen zum Heiligen Krieg auf seiten Deutschlands auf.

Es ist vor allem Waßmuß, der diese Botschaft durch das Land trägt: „Ein großer Krieg ist ausgebrochen, in dem die Deutschen auf der Seite des Islams gegen die Engländer kämpfen, der Heilige Krieg ist erklärt.“ Waßmuß gründete im Mai 1915 im persischen Shiraz ein „Komitee zur Nationalen Verteidigung“ und baute Widerstandsgruppen auf.

Letztlich scheitern alle Geheimverhandlungen. Es gelingt nicht, das neutrale Afghanistan zu einem Kriegseintritt auf deutscher Seite zu gewinnen, lediglich ein Freundschaftsvertrag wird im Januar 1916 abgeschlossen. Der Emir wiederum sollte die ihm von den Deutschen zugesagten 100.000 Gewehre und 300 Geschütze nie erhalten. Angesichts einer russischen Offensive im Kaukasus und türkischer Mißerfolge ist die deutsche Garantieerklärung für ein unabhänges Persien wenig wert. Der ausgerufene Heilige Krieg findet wenig Widerhall.

Im Iran waren die Briten mit zwei Divisionen gebunden

Die Auseinandersetzungen in Persien bleiben ein Nebenkriegsschauplatz, auf dem die Kämpfe kaum mit wirklichen Gewehren geführt werden. Die wirksamste deutsche Waffe ist dabei Waßmuß, dem es bis Kriegsende gelingt, mit seinen Nomadenstämmen ein Vordringen der Briten in das südwestliche Persien zu verhindern und starke britische Einheiten zu binden. Die Briten müssen sogar zwei Divisionen von der französischen Front abziehen. Sein Gegner, der britische General William Dickson, würdigt ihn als „deutschen Lawrence“. Waßmuß „blieb den ganzen Krieg hindurch eine ständige Bedrohung, eine politische Macht, mit der wir rechnen mußten, ein Faktor, der Tausende von britischen Soldaten standhielt und sie beschäftigte. (...) Erst griff uns ein Stamm an und dann ein anderer“, schreibt die Daily Mail 1919.“

Und Christopher Sykes konstatiert in seiner Biographie „Wassmuss, the German Lawrence“: „Bis auf die offene Kriegserklärung der Perser gegen die Alliierten hat Waßmuß alles erreicht, was er nur wünschen konnte.“

Foto: Kaiser Wilhelm besucht die verbündete Türkei, Konstantinopel im Oktober 1917: Gegen das „verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk“

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