© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Nicht nur so tun, als ob
Dienstleistung: Noch immer steckt Deutschland in der Servicewüste fest, dabei gibt es gute Gründe, sich auf den Kunden zuzubewegen
Christian Schreiber

Der Taxifahrer wünscht höflich „einen schönen Tag noch“. Die Bedienung im Restaurant wirkt fast schon unterwürfig: „Sehr gerne. Einen anderen Wunsch?“, und die Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft hält einer mit Taschen vollbeladenen Dame die Tür auf. Solche Szenen galten in Deutschland über Jahre als verpönt.

Der Marketingprofessor Hermann Simon schuf 1995 das Wort des Jahres, als er in einem Beitrag für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel von einer Servicewüste Deutschland sprach. Umfragen bestätigten das düstere Bild: Der Kunde ist Bittsteller, nicht König, hieß es damals. Verbraucher klagten über mangelnde Hilfsbereitschaft des Personals. 72 Prozent hielten es für „zu unfreundlich“.

„Die Deutschen erwarten exzellenten Service“

Dabei hat die Bundesrepublik einen Wandel von einer Industrienation zu einer Dienstleistungsgesellschaft hinter sich. 1970 waren noch 45 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor, im vergangenen Jahr waren es mehr als 73 Prozent. Doch ob mit dem Wandel der Gesellschaft auch ein Wandel der Umgangsformen einhergegangen ist, daran scheiden sich die Geister.

Millionen werden mittlerweile für Service-Berater ausgegeben, doch oftmals kommen am Ende nur die eingangs beschriebenen Höflichkeitsfloskeln heraus. Entsprechend schlecht ist der Ruf der Service-Nation immer noch. Knapp drei Viertel der Deutschen glauben, daß Unternehmen immer zuerst am Personal und am Service sparen. Daher wundere es sie nicht, daß der Service in Deutschland immer schlechter werde. Das ergab eine repräsentative Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Qualität e. V. (DGQ) zum Thema Servicequalität in Deutschland.

76 Prozent der Befragten haben den Eindruck, daß Unternehmen bei Anfragen oder Reklamationen nur über ausgelagerte Telefonzentralen oder Kontaktformulare erreichbar sind. Der direkte Kontakt zum Service-Mitarbeiter überzeugt viele Bürger ebenfalls wenig: Über ein Drittel (35 Prozent) geben an, sie hätten eher mit unfreundlichem Personal zu tun als mit zuvorkommenden und freundlichen Service-Mitarbeitern.

„Die Ansprüche der Kunden sind extrem hoch. Die Deutschen erwarten exzellenten Service für ihr Geld“, erklärt DGQ-Geschäftsführer Wolfgang Kaerkes. „Gerade in einem stagnierenden Markt ist es für Unternehmen überlebenswichtig, mit bestem Service zu überzeugen. Nur so schaffen es Dienstleister, im Wettbewerb zu punkten.“

Deutschland, ein Paradies nur für Schäppchenjäger?

In der modernen Wirtschaftssprache heißt dieses Phänomen „Service Excellence“. Die Service-Beraterin Sabine Hübner und der Unternehmer und Hotelier Carsten Rath haben ein Buch auf den Markt gebracht, das sich mit Wegen aus der „Servicewüste“ beschäftigt. „Das beste Anderssein ist Bessersein – Die Geheimnisse echter Service-Excellence“ heißt das Buch, welches bereits kurz nach Erscheinen beachtliche Verkaufszahlen aufweisen konnte. Es ist ein provokantes Werk und simpel zugleich: „Service-Excellence ist keine Regel, sondern eine Tugend“, heißt es – und dementsprechend nehmen die Autoren Höflichkeitsfloskeln wie „schönen Tag“ oder „noch einen Wunsch“ aufs Korn. „Persönlichkeit bilden statt Fakten pauken“, schreiben die Autoren und raten Unternehmen, bloß nicht in einen Wettbewerb der Freundlichkeitsmasche einzusteigen. Immer die gleichen Wörter hätten am Ende dieselben Effekte wie billige Werbegeschenke – sie nerven irgendwann.

Ob die Qualität des Service entscheidend für eine Produkt- oder Kundenbindung ist, darüber streiten sich Experten seit langem. Deutschland gilt als Paradies der Schnäppchenjäger, tiefe Preise seien oftmals wichtiger als hohe Qualität von Produkt und Service. DGQ-Geschäftsführer Kaerkes belegt anhand der Umfrage seines Instituts, daß 41 Prozent der Befragten für ein besonders gutes Produkt keinen schlechten Service in Kauf nehmen würden.

Knapp die Hälfte der Befragten würde sogar tiefer in die Tasche greifen und für exzellenten Service mehr bezahlen. „Die Zahlen zeigen ein hohes Maß an Unzufriedenheit“, so Kaerkes weiter. „An der Servicequalität zu sparen, ist der falsche Ansatz. Vor allem gutes Personal ist wichtig. Mit ihm steht und fällt die gefühlte Qualität des Angebots. Spezielle Service-Trainings für Mitarbeiter im Kundenkontakt sind für Unternehmen daher ein Muß“, erklärt Kaerkes.

Die Buchautoren Hübner und Rath teilen diese Einschätzung, warnen aber vor Bauernfängermethoden. „Massenmails, Weihnachts-SMS und vorgedruckte Geburtstagsbriefe sind das Gegenteil von individuell“, schreiben sie und fordern von den Unternehmen eine Liebe zum Kunden. Das echte bedeute Offenheit, Zuneigung, Empathie. Sie bedeutet aber nicht, daß sie nur so tun „als ob“, daß sie gezwungen lächeln und ihre wahren Gefühle leugnen.

Die Kunden werden immer flexibler

Großer Konkurrenzdruck und eine sehr flexible Kundschaft führten dazu, daß „ein Kunde, der heute hier war, morgen schon dort ist“. Entscheidend, so die Autoren, sei die Fähigkeit, sich mit den Kundenwünschen mitzuentwickeln. „Oftmals wird der Fehler gemacht, daß man versucht herauszufinden, was der Kunde gerade will. Dabei denkt er morgen schon ganz anders.“ Einen Zukunftsmarkt zeichne eben aus, daß er sich stetig und rasant weiterentwickle.

Sabine Hübner, Carsten Rath: Das beste Anderssein ist Bessersein. Redline Verlag, München 2014, gebunden, 240 Seiten, 24,99 Euro

Foto: Ein Diener reicht das Silbertablett: „Knapp die Hälfte der Befragten würde sogar tiefer in die Tasche greifen und für exzellenten Service mehr bezahlen.“

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