© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Dem hohen Anspruch gerecht werden
Politische Debatte um Suizidhilfe: Zu Beginn der Diskussion erscheint ein Verbot organisierter Sterbehilfe möglich
Gerhard Vierfuss

Es handle sich um „das vielleicht anspruchsvollste Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode“, erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Eröffnung der Debatte über „Sterbebegleitung“ im Bundestag am vergangenen Donnerstag. Es gehe um die Frage, „wie der Staat seine unaufgebbare Verpflichtung zum Schutz des Lebens und zum Schutz der Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem sterbenden Menschen wahrnehmen kann“. Dafür habe der Gesetzgeber nicht nur die Frage zu klären, „wo es zwischen individueller Selbstbestimmung auf der einen Seite und ärztlicher Verantwortung auf der anderen Seite Handlungs- und Regelungsbedarf gibt, sondern auch, ob überhaupt und wie dieser Handlungsbedarf in allgemeinverbindlichen gesetzlichen Regelungen überzeugend gelöst werden kann“.

Um diese Fragen ausführlich diskutieren und schließlich beantworten zu können, hat sich das Parlament einen großzügigen Zeitplan gesetzt: Auf die vierstündige Orientierungsdebatte der vergangenen Woche wird Anfang des nächsten Jahres eine weitere Plenardebatte folgen, mit der die eigentliche Gesetzesberatung beginnt; nach den Sitzungen der Fachausschüsse wird dann im weiteren Verlauf des Jahres der Bundestag entscheiden.

Bis jetzt liegen noch keine Gesetzentwürfe vor. Diese werden voraussichtlich in den nächsten Wochen auf der Grundlage der Positionspapiere erarbeitet, die mehrere Gruppen von Abgeordneten inzwischen vorgelegt haben.

Dabei unterscheiden sich drei dieser Papiere nur in Nuancen: Sowohl die Abgeordneten Michael Brand, Claudia Lücking-Michel und Michael Frieser aus der CDU/CSU-Fraktion als auch Kerstin Griese und Eva Högl aus der SPD-Fraktion sowie Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe aus der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen sprechen sich für ein strafrechtliches Verbot der organisierten Suizidhilfe aus. Alle machen dabei deutlich, daß sie von dem Verbot nicht nur Sterbehilfevereine erfaßt sehen wollen, sondern jedes regelmäßige, auf Wiederholung angelegte Handeln, also auch dasjenige von Ärzten. Einig sind sie sich auch darin, daß die Rechtslage für Angehörige wie auch für den behandelnden Arzt, der im Einzelfall die Entscheidung trifft, seinem Patienten bei der Selbsttötung zu helfen, unverändert bleiben soll.

Einen völlig anderen Ansatz verfolgen die Abgeordneten Peter Hintze, Katherina Reiche und Dagmar Wöhrl aus der CDU/CSU-Fraktion sowie Carola Reimann, Karl Lauterbach und Burk-hard Lischka aus der SPD-Fraktion. Sie schlagen in ihrer Stellungnahme eine zivilrechtliche Regelung vor: Im Umfeld der Vorschriften zur Betreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch solle ein Paragraph eingefügt werden, der es unter eng umschriebenen Bedingungen schwerstleidenden Patienten am Lebensende ermöglichen soll, ärztliche Hilfe beim Suizid zu erlangen. Auf diese Weise würden die unterschiedlichen standesrechtlichen Regelungen der Ärzteschaft ausgehebelt und für Rechtsklarheit gesorgt.

Beide Ansätze schließen einander nicht aus: Im Bundestag plädierte Lauterbach für eine Kombination des zivilrechtlichen und des strafrechtlichen Vorschlags. Damit zeichnet sich ein weitgehender Konsens hinsichtlich eines Verbots organisierter Sterbehilfe ab. Über die Rolle der Ärzte hingegen wird es im Parlament noch Diskussionen geben.

 

Aktive Sterbehilfe

Hierunter versteht man die gezielte Herbeiführung des Todes eines Patienten durch Maßnahmen, die keinem therapeutischen Zweck dienen (diese beiden Kriterien grenzen sie von der indirekten Sterbehilfe ab) und auch nicht lediglich darin bestehen, die Therapie zu beenden (Abgrenzung zur passiven Sterbehilfe). Im Unterschied zum assistierten Suizid liegt die Letztverantwortung beim Sterbehelfer. Dieser führt die entscheidende Maßnahme aus. Beispiel: Injektion eines tödlichen Giftes. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar (§ 216 Strafgesetzbuch: Tötung auf Verlangen). Sie ist auch nicht Gegenstand irgendeines Gesetzesvorschlags oder Positionspapiers in der aktuellen Diskussion. Anders ist die Rechtslage in Luxemburg, den Niederlanden und Belgien. Dort ist die aktive Sterbehilfe durch Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen straffrei.

 

Passive Sterbehilfe

ist das Unterlassen von lebenserhaltenden Maßnahmen oder deren Beendigung, etwa das Einstellen der künstlichen Beatmung oder Ernährung, durch den behandelnden Arzt. Als passiv wird das Abschalten dafür eingesetzter Apparate durch den Arzt oder in seinem Auftrag deshalb gewertet, weil diese Geräte nur seinen „verlängerten Arm“ darstellen: Es kann rechtlich keinen Unterschied bedeuten, ob er es unterläßt, die Mund-zu-Mund-Beatmung fortzuführen, oder ob er die Beatmungsmaschine abstellt. Die passive Sterbehilfe ist, sofern sie mit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten erfolgt, zulässig und sogar geboten (§ 1901a Bürgerliches Gesetzbuch). In einer neueren Entscheidung spricht der Bundesgerichtshof statt von „passiver Sterbehilfe“ von „Behandlungsabbruch“. Die Voraussetzungen sind unverändert geblieben.

 

Indirekte Sterbehilfe

Von indirekter Sterbehilfe spricht man bei ärztlichen Maßnahmen, die therapeutischen Zwecken dienen, als unbeabsichtigte Nebenfolge aber lebensverkürzend wirken. Im Endstadium sehr schwerer Krankheiten kann die Situation eintreten, daß eine Linderung unerträglicher Leiden nur durch Schmerzmittel in einer Dosierung erreichbar ist, die den vorzeitigen Tod bewirken kann. In diesem Dilemma ist es dem Arzt erlaubt, der Linderung des Leidens den Vorzug zu geben vor der unbedingten Erhaltung des Lebens. Dies ist unstrittig. Gleichwohl fehlt eine gesetzliche Grundlage für die Rechtfertigung der Lebensverkürzung. Daher hat der Deutsche Juristentag den Gesetzgeber bereits 2006 aufgefordert, eine klarstellende Vorschrift zu schaffen. Die jetzt anstehenden Gesetzesberatungen im Bundestag bieten erneut eine Gelegenheit hierfür.

 

Beihilfe zur Selbsttötung

Der Suizid ist in Deutschland straflos. Daraus folgt – nach der bis jetzt geltenden Rechtslage –, daß auch die Hilfe zum Suizid nicht bestraft wird. Voraussetzung ist, daß es sich um eine freie Entscheidung des Suizidenten handelt und daß dieser die Herrschaft über das Geschehen innehat, also etwa selbst den Giftbecher zum Mund führt.Allerdings fällt der Helfer, sobald der Suizident das Bewußtsein verliert, in eine rechtliche Grauzone: In seinen früheren Entscheidungen statuierte der Bundesgerichtshof von diesem Moment an eine Rettungspflicht. Inzwischen räumt er dem Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen eine größere Bedeutung ein. Rechtssicherheit besteht jedoch gegenwärtig nicht. Einschränkungen gelten unter berufsrechtlichen Gesichtspunkten für Ärzte: Die meisten Landesärztekammern untersagen die Suizidhilfe.

 

Organisierte Sterbehilfe

wird durch Vereine wie Exit und Dignitas in der Schweiz sowie Dignitas Deutschland und Sterbehilfe Deutschland durchgeführt. Daneben bieten einzelne Ärzte Hilfe zur Selbsttötung, auch über den Kreis ihrer eigenen Patienten hinaus, an. Bis jetzt gibt es für die organisierte Sterbehilfe in Deutschland keine besondere gesetzliche Regelung. Die meisten im Bundestag vorgestellten Initiativen zielen auf ihr Verbot ab. Voraussetzung für Suizidhilfe durch einen der genannten Vereine ist eine Mitgliedschaft. Die Jahresbeiträge bewegen sich zwischen 45 Franken (Exit) und 200 Euro (Sterbehilfe Deutschland), wobei eine Sterbebegleitung erst nach mehrjähriger Wartezeit erfolgt (ohne Wartefrist bis zu 7.000 Euro einmalig). Alle Vereine betonen, sie arbeiteten nicht geschäftsmäßig und gewinnorientiert und ihre Vorstände seien ehrenamtlich tätig.

Foto: Zwischenmenschliche Kontakte am Lebensabend: Nicht immer ist eindeutig, ob die dargereichte Hand Leben schützt oder beendet

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