© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/14 / 21. November 2014

Die Angst vor dem Heerwürmchen
Vor 50 Jahren wurde die NPD gegründet / Die anfänglich belächelte neue Kraft beunruhigte Ende der sechziger Jahre die bundesdeutsche Parteienlandschaft
Karlheinz Weissmann

Als am 28. November 1964 die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet wurde, nahm das die breitere Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis. Im Spiegel war spöttisch, aber zutreffend, von einem „Heerwürmchen“ die Rede, das antrete, um den Platz rechts von CDU und CSU zu besetzen. Obwohl an dieser Stelle des politischen Spektrums eine Lücke bestand, seit die konservative Deutsche Partei (DP) Ende der fünfziger Jahre durch Übertritt ihrer Spitze zur Union fast erledigt worden war und die Deutsche Reichspartei (DRP) nur noch als Schatten ihrer selbst existierte, hielt man die Aussichten für gering.

Die Initiative zur Bildung der NPD ging auf Friedrich Thielen, einen Unternehmer und Vorsitzenden des verbliebenen DP-Verbandes in Bremen, und auf Adolf von Thadden, den gerade gewählten Vorsitzenden der DRP, zurück. Thielens Motiv war in erster Linie die Enttäuschung über den Opportunismus der CDU (zu deren Gründungsmitgliedern er gehört hatte), Thaddens ein Ungenügen an jener Art von „Nationaler Opposition“, die sich je länger je mehr als unfruchtbar erwies.

Die DRP, die seit dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und dem Verschwinden aller möglichen Klein- und Kleinstgruppen einen Alleinvertretungsanspruch für diese politische Tendenz erheben konnte, schien zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Der Erfolg des bundesrepublikanischen Modells – Westbindung plus Wohlstand für alle plus Demokratie plus Antikommunismus – ließ ihr kaum Bewegungsspielraum, und die Polemik gegen „Bonn“, „das System“ und die „Lizenzparteien“ mit ihren „Bonzen“ genügte offenbar nicht, um eine hinreichend große Zahl von Bürgern zu gewinnen.

Resonanz in der nationalen Szene blieb verhalten

Die Folge waren Stagnation des Stimmenanteils bei den Bundestagswahlen auf niedrigstem Niveau (1953: 1,1 Prozent; 1957: 1,0 Prozent; 1961: 0,8 Prozent), Verlust der regionalen Hochburgen (zuletzt Niedersachsen; bei den Landtagswahlen 1963: 1,5 Prozent), ein finanzielles Desaster und ein Wiederaufbrechen von Fraktionskämpfen. Dabei ging es zum einen um die außenpolitische Orientierung, zum anderen um die Frage, ob Radikalisierung oder Mäßigung aussichtsreichere Konzepte seien.

Thadden ging massiv gegen die neutralistischen wie die „nationalbolschewistischen“ Strömungen innerhalb der Partei vor und plädierte für eine Variante des damals breit diskutierten „gaullistischen“ Konzepts, in dessen Zentrum ein atomar bewaffnetes Europa zwischen den Blöcken stand. Gleichzeitig tat er alles, um die Reichspartei für die gesellschaftliche Mitte attraktiver zu machen, Zweifel an der Verfassungstreue zu beseitigen und jene Kräfte zu schwächen, die nicht nur braune Nostalgien pflegten, sondern tatsächlich die Wiederanknüpfung an die NS-Zeit wünschten.

Abgesehen von seiner persönlichen Aversion gegenüber dem Nationalsozialismus spielte für Thadden auch eine Rolle, daß er die Mechanismen durchschaute, die eine zunehmende Stigmatisierung der politischen Rechten bewirkten, ausgelöst durch den Skandal um die Kölner Synagogenschmiererei Heiligabend 1959, bei der, wie Jahrzehnte später herauskam, die DDR-Staatssicherheit direkt die Finger im Spiel hatte, verstärkt durch den Beginn der Auschwitzprozesse und das Erstarken der „Neuen Linken“ im intellektuellen Milieu.

Er ging deshalb mit jenen „Modernisierern“ in der DRP zusammen, die nicht nur die programmatische Ausrichtung der Partei, sondern auch ihre ganze Selbstdarstellung – den Namen und das Abzeichen der DRP mit Adler und schwarz-weiß-rotem Schild – ändern wollten. Das Projekt einer „Nationaldemokratischen Union“ gewann Attraktivität aber vor allem, weil es schon bei einer ersten Erprobung, der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft 1963, Erfolg hatte. Thielen erreichte in dem überschaubaren Stadtstaat, daß sich DP und DRP (sowie die noch kleinere Gesamtdeutsche Partei) zu einer Liste zusammenschlossen, die prompt die Fünfprozenthürde überwand. Das erweckte bei Mitgliedern der Rest-DP und der DRP in Hinblick auf die mit Sorge erwartete Bundestagswahl 1965 neue Hoffnung, führte allerdings auch dazu, daß Thielen einen Führungsanspruch geltend machen und den Vorsitz der neugegründeten NPD übernehmen konnte.

Die NPD war anfangs als Sammelbecken gedacht, eine Mitgliedschaft in DP und DRP sollte fortbestehen können. Selbst in der Einschätzung eines kritischen Beobachters erschien sie als „nichtrevolutionäre, moderate, grundsätzlich nationalistische Partei, ausgerichtet auf die Wiedervereinigung und die Schaffung eines starken, autoritären, aber nicht totalitären Rechtsstaates“.

Die Resonanz blieb trotzdem verhalten, auch innerhalb der nationalen Szene, und bei der Wahl im Bund erreichte die junge Partei lediglich zwei Prozent der Stimmen. Ursache für das schlechte Abschneiden war neben der Finanzschwäche und den Anlaufschwierigkeiten – die ganze Organisation ruhte auf den verbliebenen Strukturen der DRP – die scharfe Konkurrenz um jenes politische Milieu, aus dem die NPD neue Anhänger gewinnen wollte.

Große Koalition schaffte Platz auf dem rechten Flügel

Die „nationale Welle“, die Mitte der sechziger Jahre registriert wurde, nutzte in erster Linie den etablierten Kräften, etwa den Befürwortern einer „Formierten Gesellschaft“, die den amtierenden Kanzler Ludwig Erhard unterstützten, oder den Anhängern des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, der seine Rückkehr in die Bundespolitik vorbereitete, oder einem Konkurrenten wie dem Verleger Gerhard Frey mit seiner National-Zeitung (Auflage: etwa 100.000 Exemplare), der die Idee einer großen, primär antikommunistischen Rechtspartei unter Einschluß der Union favorisierte.

Tatsächlich schien es schon kurz nach ihrer Gründung so, als ob die NPD ihre Zukunft hinter sich habe. Es kam zu massiven Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und schließlich zum Zerwürfnis zwischen Thielen und Thadden, das am 9. Mai 1967 mit dem Rücktritt Thielens endete, der bald die Partei verließ.

Damit konnte Thadden, ohne Zweifel der „fähigste Politiker des ‘nationalen Lagers’“ (Eckhard Jesse), das Amt des Vorsitzenden übernehmen. Er erkannte rasch die Möglichkeiten, die sich durch die seit der Bundestagswahl deutlich veränderte politische Lage ergaben.

Die „Große Koalition“ aus Union und SPD im Bund hatte nicht nur auf dem linken, sondern auch auf dem rechten Flügel Platz geschaffen, es gab Anzeichen für ein Erlahmen der Konjunktur und die Endlichkeit des Wirtschaftswunders und das Übergreifen der Studentenrevolte verstörte nicht nur das nationale Bürgertum und die traditionelle Anhängerschaft der Rechten, sondern auch den „kleinen Mann auf der Straße“. Eine gewisse Rolle spielte außerdem die Annäherung der Regierung Kiesinger-Brandt an Moskau, die schon ahnen ließ, was mit der Neuen Ostpolitik folgen würde. Thadden griff deshalb sein Konzept zur Reform der DRP wieder auf und suchte die NPD als fast ideologiefreie „Partei für Recht und Ordnung“ zu präsentieren. Die Erfolge, die die Nationaldemokraten in der Folge errangen, bestätigten diese Strategie. Die Zahl der Mitglieder wuchs rasant, von anfangs 13.000 auf etwa 28.000, sie zog in mehrere Landtage ein und erhielt schließlich am 28. April 1968 in Baden-Württemberg triumphale 9,8 Prozent der Stimmen.

Einzug in den Bundestag galt 1969 als wahrscheinlich

Der Urnengang hatte ohne Zweifel unter dem Eindruck der gewalttätigen Osterunruhen gestanden, die von der studentischen Linken ausgegangen waren, und es erschien der Parteiführung als aussichtsreiches Konzept, die wachsende Verstörung der Bevölkerung zu nutzen. Tatsächlich hielten viele Kommentatoren die NPD zu diesem Zeitpunkt schon für einen Faktor der westdeutschen Innenpolitik, mit dem zu rechnen war. In bezug auf die anstehende Wahl des Bundespräsidenten gab es vorsichtige Kontaktaufnahmen von Vertretern der Union mit NPD-Landtagsabgeordneten, und der Einzug in den Bundestag galt zumindest als wahrscheinlich, wenn nicht als gewiß.

Allerdings erhöhte sich gleichzeitig der Druck auf die NPD. Dafür bot die Partei, nicht nur wegen der politischen Biographie eines Teils ihrer Funktionäre, sondern auch wegen ihrer Rhetorik, immer wieder Anlaß. Wichtiger als das war aber, daß die ausländische Presse sehr früh und begierig mit Attacken auf die „neuen Nazis“ und den „neuen Adolf“ begonnen hatte und die Gefahr eines „neuen 1933“ genüßlich ausmalte. Dem schlossen sich mit geringer Variationsbreite die Leitmedien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das zunehmend an Einfluß gewinnende Fernsehen in der Bundesrepublik an. Aus den öffentlichen Kassen flossen erhebliche Geldmittel für die etablierten Parteien und ihre Vorfeldorganisationen zwecks Bekämpfung des unvermutet aufgetauchten Konkurrenten, und Verbotsforderungen wurden laut.

Das war aber nur ein Vorgeschmack auf die „antifaschistische“ Militanz der Linken, die die Auftritte Thaddens im Bundestagswahlkampf 1969 systematisch attackierte, störte und teilweise undurchführbar machte. Die Wirkung auf die Öffentlichkeit war für die NPD fatal, ganz gleich, ob die Polizei einschritt oder es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und dem wegen der Angriffe gebildeten „Ordnerdienst“ kam. Denn in einem merkwürdigen, aber typischen Reflex wiesen diejenigen, die eigentlich sehr ansprechbar für Law- and-order-Parolen waren, der NPD eine Mitschuld an den Gewaltakten zu, und vielleicht war es ein einzelner Vorgang – die Schüsse, die ein Leibwächter Thaddens in unübersichtlicher Lage abfeuerte –, der wenige Tage vor dem Urnengang den Ausschlag gab.

Die NPD scheiterte mit 4,3 Prozent der Stimmen am Einzug in den Bundestag. Eine Niederlage, von der sich die Partei faktisch nie wieder erholte. Alles, was folgte, war nur noch ein Abgesang und eine Variation jener personellen Querelen, internen Streitereien und sektiererischen Kämpfe, die die radikale Rechte nach 1945 seit je gekennzeichnet hat.

Fotos: Der Publizist Erich Kuby beschimpft NPD-Funktionäre (in der Mitte sitzend Adolf von Thadden) bei einer Diskussion in der Technischen Universität, Berlin 1967: „Nationale Welle“ nutzte eher den Etablierten; NPD-Anhänger im August 1968 auf dem Berliner Kurfürstendamm: Viele Kommentatoren hielten die NPD zu diesem Zeitpunkt für einen Faktor der westdeutschen Innenpolitik, mit dem zu rechnen war

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