© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Stefan Sandmann führt den Kampf gegen eine Zusammenarbeit der SPD mit der Linken an
Das Wunder von Erfurt
Christian Schwiesselmann

Mit einer Reichsexekution wie in der Weimarer Republik muß die SPD nicht mehr rechnen, wenn die Genossen am 5. Dezember im Thüringer Landtag gemeinsame Sache mit Postkommunisten und grünen Müslisozialisten machen. Mit Bodo Ramelow zöge dann eine Partei in die Thüringer Staatskanzlei ein, die sich nie wirklich von der „menschenverachtenden SED-Diktatur und allen Grausamkeiten“ distanziert habe und in der sich „alte Stasi- und alte SED-Genossen auf die Schenkel klopfen und die Opfer – im stillen – weiter verhöhnen“. So warnt Stefan Sandmann, stellvertretend für eine kleine Zahl aufrechter Sozialdemokraten zwischen Gera und Jena.

1979 im etwa dreißig Kilometer südwestlich von Erfurt gelegenen Ilmenau geboren, geht es dem Sparkassenbetriebswirt ein bißchen wie David gegen Goliath. Er allein und auf der einen Seite der übermächtige Landesvorstand unter dem Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein. Obwohl der Wähler die Genossen in ihrem Gründungsland – 1869 in Eisenach als „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ (SDAP) – mit 12,4 Prozent beim Urnengang im September nahezu pulverisiert hatte, überzeugte die SPD-Führung die Basis in einer Mitgliederbefragung von dem Pakt mit der Linkspartei, um sich aus der Juniorpartnerrolle an der Seite der seit Bernhard Vogel dominanten CDU zu befreien.

Auf der anderen Seite befindet sich der Vorsitzende der Ilmenauer SPD, der gegen den sozialdemokratischen Herdentrieb rebelliert. In einem offenen Brief bekniete er die 4.300 Genossen flehentlich, nicht aus Frust über die Union der „SED-Nachfolgepartei zur Regierungsverantwortung zu verhelfen und damit Anstand und Moral über Bord zu werfen“. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung würde Thüringen zu einem Experimentierfeld der „SED 2.0“, ehemalige Stasi-Spitzel rückten an die Fleischtöpfe der Macht, und die Verbrechen der SED-Diktatur seien noch längst nicht aufgearbeitet. Zudem versinke die SPD auf historischem Boden in der Bedeutungslosigkeit, warnte Sandmann vergeblich das Parteivolk.

Die Landesgeschäftsstelle verweigerte dem Vater einer vierjährigen Tochter sogar die Zustellung seines Briefes an alle Mitglieder. Das historische Gewissen ließ Sandmann – er engagiert sich im Verein „Gesichter geben. Opfer der Diktatur von 1945 bis 1989“ – dennoch keine Ruhe. Fünftausend Bürger brachte er am 9. November zu einer überparteilichen Protestdemo gegen die linke Machtergreifung auf die Beine. Kerzen trugen er und seine Unterstützer von Ilmenau nach Erfurt – ein demütiges Wendesymbol gegen den Hochmut triumphierender SED-Kader. Am Vorabend der Wahl will Sandmann nun noch einmal Flagge zeigen: „Wir werden unseren Protest fortsetzen. Wir glauben an das Wunder von Erfurt und an eine Landesregierung ohne Stasi-Spitzel.“

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