© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Stuttgart macht Schule
Bildungspolitik: Der Protest gegen Frühsexualisierung erreicht Niedersachsen
Christian Vollradt

Die beste Gegend Hannovers ist das Steintor nicht. Hier wimmelt es von Internetcafés und Spielhallen, hier gibt es – gegenüber einem „Helal“-Supermarkt – Tabledance im „Lady Lux“, und ein Etablissement namens Sansibar verspricht „True Love“, wahre Liebe. Eigentlich wird dort, die abgeklebten Fensterscheiben deuten es an, nur die Ware Sex feilgeboten. Der richtige Ort für eine Kundgebung unter dem Motto „Ehe und Familie vor!“? Vielleicht. Denn der Protest des Aktionsbündnisses, das zu einer „Demo für alle“ nach dem Vorbild Stuttgarts (JF 44/14) auch in der niedersächsischen Landeshauptstadt aufgerufen und am vergangenen Sonnabend etwa 1.200 Teilnehmer mobilisiert hatte, richtet sich vor allem gegen die Frühsexualisierung von Schülern und ist motiviert von wahrer Liebe: der Eltern für ihre Kinder.

Den Anlaß bot ein jüngst im Kultusausschuß des Landtags beschlossener Antrag zur Änderung des Schulgesetzes. Demnach sollen in allen Klassenstufen fächerübergreifend „sexuelle Vielfalt“ sowie gleichgeschlechtliche Lebensweisen verpflichtend thematisiert werden (JF 40/14). Außerdem werden die Schulen aufgefordert, mit Initiativen wie „SchLAu“ (JF 47/14) zusammenzuarbeiten. Die Veranstalter der Demonstration, vor allem zahlreiche Familieninitiativen sowie christliche und politische Gruppen, darunter „Kirche in Not“, das Forum Deutscher Katholiken, Verbände des Evangelischen Arbeitskreises in der CDU und der „Christdemokraten für das Leben“, der Freien Wähler sowie der niedersächsischen AfD, sehen in den rot-grünen Plänen einen massiven Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht. „Dagegen wehren wir uns, und dies ist heute unsere Botschaft an die Landesregierung“, so Koordinatorin Hedwig von Beverfoerde von der Initiative Familienschutz zum Auftakt der Kundgebung. Beverfoerde lobt zwar einen Änderungsantrag, den die CDU-Fraktion eingebracht hatte, kritisiert aber die Christdemokraten, daß sie der Demonstration ferngeblieben sind. Zunächst hatte der Landesverband der Schüler Union seine Teilnahme zugesagt, dann nach innerparteilichem Druck von „höherer Stelle“ wieder abgesagt.

Während weitere Redner ihre Sicht als betroffene Eltern darstellen, wie etwa Gerriet Kohls, Bezirksvorsitzender der Freien Wähler und Initiator einer Online-Petition gegen diese Reformpläne, übten der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker und der Publizist Jürgen Liminski grundsätzliche Kritik.

Stadt hißte Regenbogenflaggen

Statt Sexualität zu kultivieren und ihre Schönheit zu vermitteln, ziele die „Sexualkunde der Vielfalt“ darauf ab, Ehe und Familie zu zerstören, stellte Spieker fest und bewertete dies als Mißachtung der niedersächsischen Verfassung sowie des Grundgesetzes. Liminski warnte vor einer drohenden Meinungsdiktatur und zog eine historische Linie: „Erst vor ein paar Wochen konnte man lesen, wie die Grünen in den achtziger Jahren die Pädophilie legalisieren wollten. Die Parteispitze entschuldigt sich heute dafür. Aber gleichzeitig sollen die Schulen umfunktioniert werden zu Anstalten der Frühsexualisierung.“ Wenn die Grünen es ernst meinten mit ihrer Reue, sollten sie von solchen Plänen Abstand nehmen, forderte Liminski.

„Der Regenbogen ist ein Geschenk Gottes“, rief eine vielfache Mutter und Großmutter von der Tribüne herab, „die Ideologie dahinter aber ist es nicht.“ Sie spielte damit auf die Fahnenmasten rings um den Kundgebungsort an, die von der Stadtverwaltung mit Regenbogenflaggen bestückt wurden. Dies geschah, so eine Sprecherin gegenüber der JUNGEN FREIHEIT „auf Veranlassung der Beratungsstelle für Lesben und Schwule“ als Zeichen „für die Akzeptanz unterschiedlichster Lebensformen“. Eine Woche zuvor habe man „Hannover steht auf gegen Rechts“ gehißt.

„Wir lassen uns davon nicht provozieren“, sind sich die Veranstalter der „Demo für alle“ jedoch einig. Unangenehmer waren da schon die ungefähr 300 Gegendemonstranten, die zum Teil der linksextremen Szene entstammen. Sie wurden zwar von der Polizei in Schach gehalten, jedoch sehr nah an die Kundgebung herangelassen. Pfeifen, Rasseln und Sprechchöre („Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“) stören manchen Teilnehmer der Kundgebung empfindlich.

Eine Mutter mit ihren zwei Kindern, die an den gasgefüllten Ballons der „Demo für Alle“ interessiert sind, bleibt stehen und hört sich die Redebeiträge an. Als ein Gegendemonstrant permanent „Scheiße, Kacke, Pisse“ brüllt, schauen ihn die Kleinen entgeistert an. „Hört einfach nicht hin!“ sagt die Mutter leicht resigniert. Das zurückhaltende Vorgehen der Polizei stehe im Widerspruch mit dem, was in Vorgesprächen beschlossen wurde, heißt es aus Kreisen der Veranstalter. Immerhin: Der Zug der Demonstranten zum Landtag und der dortige Abschluß der Kundgebung verlaufen völlig störungsfrei. Beverfoerde ist sichtlich zufrieden mit der Premiere in Norddeutschland. Ihre Parole „Wir kommen wieder“, nehmen die Teilnehmer mit Beifall auf.

Unter ihnen sind neben Älteren auch Familien mit Kindern und Gruppen von Jugendlichen. „Ich bin durch meine Gemeinde darauf aufmerksam gemacht worden“, erzählt ein junger Mann, Anfang Zwanzig und freikirchlicher Christ: „Wenn ich später mal Kinder habe, sollen die nicht mit diesem Gender-Kram in der Schule konfrontiert werden.“ Eine Schülerin kritisiert, daß ohnehin schon so schamlos in der Schule über Sexualität geredet werde. Befürchtet sie, als uncool zu gelten, wenn sie mitdemonstriert? „Das ist doch so was von egal! Wenn man von etwas überzeugt ist, soll man das auch bekennen.“

Foto: Demonstrationsteilnehmer in Hannover: „Hört einfach nicht hin“

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