© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Eine Partei schwimmt sich frei
AfD: Der Ausgang des anhaltenden Streits im Vorstand entscheidet darüber, welche Rolle Bernd Lucke künftig spielen wird
Marcus Schmidt

Lucke ist die Partei, und ohne Lucke ist die Partei nichts. Mit diesem Satz ließ sich lange das Verhältnis von AfD-Sprecher Bernd Lucke zu der von ihm mitgegründeten Euro-kritischen Partei beschreiben. Doch damit scheint es vorbei zu sein. In der AfD ist ein offener Machtkampf ausgebrochen. Es geht dabei nicht nur um die künftige Führungsstruktur der AfD und die Zukunft Luckes an der Parteispitze, sondern auch um eine Richtungsentscheidung.

Ausgelöst hatte den bereits seit dem Erfurter Parteitag schwelenden Streit in der vergangenen Woche Parteivize Alexander Gauland. Für einen längeren Artikel in der Zeit über Gauland hatte eine Redakteurin diesen auch nach Lucke gefragt. Daraufhin hatte der AfD-Fraktionschef im Potsdamer Landtag hervorgehoben, daß Lucke die Partei zusammenhalte und er ihn sehr schätze. Eine große Schwäche habe der AfD-Chef jedoch: „Lucke ist ein Kontrollfreak. Er will alles kontrollieren, auch im kleinsten Landesverband“, sagte Gauland.

Frauke Petry und Konrad Adam leisten Widerstand

Nachdem die Zeit am Mittwoch vergangener Woche diesen Satz in einer Vorabmeldung verbreitet hatte, schlugen die Wogen hoch. „Alexander Gaulands Verhalten macht mich sprachlos. Ich werde mich nicht öffentlich dazu äußern, sondern auf dem Satzungsparteitag der AfD eine persönliche Erklärung abgeben“, sagte Lucke in einer ersten Reaktion der JUNGEN FREIHEIT.

Mittlerweile hat sich die Aufregung wieder gelegt. In der FAZ gab sich Lucke am Wochenende einsichtig: „Ich will gar nicht bestreiten, daß ich mich in vieles einschalten muß – eben weil es sonst drunter und drüber ginge.“ Gauland reagierte überrascht angesichts der Wirkung seines „Kontollfreak“-Zitats. Er habe das für eine Bagatelle gehalten.

Und in der Tat ist ein anderer Satz über Lucke viel entscheidender, um die gereizte Stimmung im Parteivorstand zu verstehen. „Der Versuch, einen einzelnen starken Vorsitzenden zu installieren, erinnert mich an Frau Merkel“, hatte Gauland der Zeit gesagt. Gemeint war damit der Versuch Luckes auf dem Satzungsparteitag Ende Januar in Bremen durchzusetzen, daß die AfD künftig nur noch von einem, statt von drei gleichberechtigten Sprechern geführt wird. Daran, daß er den alleinigen Vorsitz für sich beansprucht, besteht kein Zweifel.

Damit stellt Lucke die Machtfrage. Er begründet seine Pläne, mit denen er in Erfurt bereits im Ansatz gescheitert war – die Mitglieder strichen die Satzunsgdiskussion gegen Luckes Willen von der Tagesordnung – mit der Notwendigkeit, angesichts der gewachsenen Arbeitsbelastung durch eine Reduzierung der Sprecherposten und die Einsetzung eines Generalsekretärs für klare Führungsstrukturen an der Parteispitze zu sorgen. So steht es auch im Entwurf der Satzungskommission, der im Oktober an die Mitglieder verschickt wurde.

Im Vorstand stoßen diese Pläne auf erheblichen Widerstand. Luckes Kosprecher, die sächsische Fraktionschefin Frauke Petry und der hessische Landes-chef Konrad Adam haben sich in der Satzungsfrage mittlerweile offen gegen ihn gestellt. „Ich habe Bernd Lucke bislang immer unterstützt und ich habe ihm nie Schwierigkeiten bereitet. Aber seine weitreichenden Satzungspläne lehne ich ab“, sagte Adam der JUNGEN FREIHEIT. Er verstehe Luckes Argumentation nicht. „Wenn er überlastet ist, könnte er Arbeit delegieren. Aber das tut er nicht. Statt dessen will er sogar alleiniger Vorsitzender werden.“ Ein Alternativentwurf der Kritiker sieht vor, daß die Partei von „mindestens“ zwei Sprechen geführt wird. Petry will in diesem Fall erneut kandidieren. Auch Adam schließt das für sich nicht aus. Dabei will niemand Lucke von der Spitze verdrängen. Nur allein soll er die Partei nicht führen.

Doch es geht nicht nur um Personen. Gauland fürchtet, daß Lucke mit seinem Anspruch auf den alleinigen Parteivorsitz versuche, die Partei programmatisch wieder auf die Ursprungsthemen Euro-Kritik und Bankenunion zu verengen. „Lucke steht vor allem für die transatlantische, freihändlerische Ausrichtung“, sagte Gauland. Doch mittlerweile sei die Partei viel breiter geworden und könne nicht mehr nur von einer Person repräsentiert werden. Wichtig sei auch, den Themen, mit denen die Partei im Osten Erfolg gehabt habe, Geltung zu verschaffen, forderte Gauland, der im Wahlkampf in Brandenburg unter anderem auf die Themen Kriminalität und die Flüchtlingsproblematik gesetzt hatte.

Zusätzliche Schärfe erhielt die Auseinandersetzung in den vergangenen Tagen dadurch, daß Lucke es offen gelassen hat, ob er erneut für die Parteispitze kandidiert, sollte er sich mit seinen Plänen in Bremen nicht durchsetzen. In der Partei war dies als Drohung, gar als Erpressung gewertet worden. „Luckes Rücktrittsdrohungen sind der Versuch, den Widerstand gegen die Satzungspläne zu brechen“, glaubt Adam, der es für unwahrscheinlich hält, daß Lucke das Feld tatsächlich räumen würde. Für jemanden der alles kontrollieren möchte, wäre alles andere als das Spitzenamt undenkbar, heißt es aus der Partei. „Bernd Lucke hat ein Ziel, er will in den Bundestag“, sagt ein Mandatsträger. Daraus, daß das Europaparlament nur eine Zwischen- und Notlösung für ihn ist, hat Lucke nie einen Hehl gemacht.

Derzeit können sich daher wohl nur die wenigsten in der AfD die Partei ohne Lucke an der Spitze vorstellen. Dennoch: Auch wenn Lucke die Machtfrage für sich entscheiden sollte, wird er nicht mehr die unangefochtene Führungsfigur sein. Das ist bereits jetzt spürbar. Ein führender AfD-Funktionär beschreibt den Stimmungswandel so: „Früher gab es in der Partei Applaus, wenn sich jemand als Mann Luckes präsentiert hat. Heute bekommt Beifall, wer sich als Kritiker Luckes outet.“ Die Partei beginnt sich von ihrem Gründungsvater zu emanzipieren.

Foto: AfD-Chef Bernd Lucke: Frauke Petry und Konrad Adam haben sich gegen ihn gestellt

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