© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Die „Firmen zahlen keine Steuern“-Lüge
Fiskus: Die augenblickliche Debatte über Luxemburg verstellt den Blick auf die Vorteile von Steuerwettbewerb
Fabian Grummes

Luxemburg war jahrzehntelang Konzernen bei der Steuervermeidung beziehungsweise -reduzierung behilflich. Entsprechende Enthüllungen erzeugen seit einigen Wochen nicht nur große Aufregung, sondern eröffnen eine weitere Runde einer schon lange andauernden Debatte.

Dabei geht es nicht – wie es naheliegend wäre – um die charakterliche Eignung des neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der nicht nur lügt, wenn es ernst wird, sondern als Regierungschef diese Praxis wohl maßgeblich gefördert hat. Was ja zunächst einmal nicht weiter verwerflich wäre, hätte er nicht zeitgleich in seiner Funktion als Chef der Eurogruppe immer und immer wieder der Steuerharmonisierung das Wort geredet. Nein, die Debatte dreht sich um den Steuerwettbewerb und die Frage, ob er nicht eine Steuersenkungsspirale auslöst und mittels Steuerharmonisierung (sprich: Zentralisierung) beseitigt werden muß.

Auf den ersten Blick sind die Argumente der Freunde einer EU-weiten, wenn nicht gleich globalen Steuerharmonisierung durchaus plausibel. Aus ihrer Sicht zwingt der Steuerwettbewerb die Einzelstaaten dazu, ihre Steuern immer weiter zu reduzieren. Ein „race to the bottom“ (dt. Abwärtswettlauf) setzt in der Folge ein. Schlußendlich sind die Staaten nicht mehr in der Lage, auch nur ihre grundlegenden Aufgaben zu erfüllen beziehungsweise zu finanzieren. Das Endergebnis dieses Teufelskreislaufs, so die klassische Argumentation der Etatisten, ist endloses Leid, Chaos sowie Verarmung und Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft.

Trotz Steuerwettbewerb neue Rekordeinnahmen

Aber stimmt das? Müßte nach dieser Logik der Zerfall nicht schon längst eingesetzt haben? Schließlich untergraben nicht nur Staaten wie Hongkong oder Singapur, sondern eben auch Luxemburg, die Kanalinseln oder Irland die sogenannte internationale Solidarität durch ihre niedrigen Steuersätze bereits seit Jahrzehnten. Neuerdings sind auch Estland oder die Slowakei „Steueroasen“. Zeitgleich aber vermeldet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jedes Jahr immer höhere Steuereinnahmen.

Tatsächlich ist der Unternehmenssteuersatz der OECD-Staaten in den vergangenen 30 Jahren deutlich gefallen. Lag er 1982 noch bei fast 50 Prozent, so waren es im Jahr 2000 nur mehr 33 Prozent, und 2007 war er sogar schon auf 27,6 Prozent gefallen. Der Ausbruch der Finanzkrise verlangsamte diesen Trend deutlich. Laut der Tax Foundation liegt der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz 2014 bei 25 Prozent. Die USA – weltweit größter Gegner des Steuerwettbewerbs – haben seit Mitte der 1980er Jahre ihren Unternehmenssteuersatz beibehalten, er liegt bei knapp 40 Prozent. Sie entziehen sich jeglichem steuerlichen Wettbewerb dadurch, daß sie jeden US-Bürger ebenso wie jedes US-Unternehmen steuerlich in den USA veranlagen, auch wenn der Wohnsitz im Ausland liegt beziehungsweise die Gewinne nicht in den USA erzielt wurden – was ebenso ungerecht wie unlogisch erscheint.

Noch bemerkenswerter ist aber die Tatsache, daß in dem entsprechenden Zeitraum das Aufkommen aus Unternehmenssteuern im OECD-Durchschnitt trotz sinkender Steuersätze gestiegen ist – von knapp über zwei Prozent auf deutlich über drei Prozent des BIP.

Diese scheinbare Paradoxie erklärt sich durch die Tatsache, daß zum einen die Bemessungsgrundlage deutlich ausgeweitet wurde, und zum anderen, daß die Unternehmensgewinne ebenso deutlich gestiegen sind. Erst die Finanzkrise machte dem ein Ende und ließ die Einkünfte aus Unternehmenssteuern sinken – am Ausbruch der Finanzkrise aber ist der Steuerwettbewerb sicherlich nicht schuld.

Es ließe sich einwenden, daß ohne die Senkung der Steuersätze das Steueraufkommen noch deutlich höher ausgefallen wäre, aber dies ist eine Spekulation. Schließlich hätte den Unternehmen dann auch weniger Geld zur Verfügung gestanden, um in Forschung und Entwicklung zu investieren oder um weiterführende Investitionen zu tätigen. Dies aber bildete die Basis für die steigenden Gewinne.

Überhaupt wird das Thema gerade von den Befürwortern von mehr Steuerzentralismus verkürzt betrachtet. Steuern sind für Unternehmen nur ein Standortfaktor. Ebenso wichtig, wenn nicht gar wichtiger, sind Faktoren wie beispielsweise Infrastruktur, Rechtssicherheit und gut ausgebildete Mitarbeiter. Steuern dürften höchst selten das (einzige) Motiv zur Standortverlagerung darstellen.

Daß die Debatte so emotional aufgeladen ist, erscheint verständlich: Unternehmen haben mehr Möglichkeiten als der einfache Bürger, den staatlichen Steuerzugriff abzumildern. Dies erscheint den meisten Bürgern zu Recht unfair – daß Unternehmen aber keinerlei Steuern zahlen würden, ist schlicht die Unwahrheit. An der Gewerbesteuer kommen sie ohnehin nicht vorbei. Sie treiben für den Staat die Umsatzsteuer ein. Die Einkommenssteuern und Sozialabgaben der Mitarbeiter werden letztlich auch durch die Unternehmen bezahlt, bei welchen der Steuerbürger beschäftigt ist. Ausgeschüttete Dividenden werden zwar ebenfalls von Privatpersonen versteuert – erwirtschaftet aber wurden sie zuvor von dem ausschüttenden Unternehmen.

Abstimmung mit den Füßen muß möglich sein

Das wichtigste Argument aber für den Steuerwettbewerb ist, daß er nicht nur eine hervorragende, sondern auf lange Sicht vermutlich sogar die einzige funktionierende Disziplinierungsmaßnahme gegen die Ausgabenlust der öffentlichen Hand ist. Nur wenn Unternehmen gegen Steuergier und Behördenwillkür „mit den Füßen abstimmen“ können, verfügen sie über glaubhaftes Drohpotential.

Der Steuerwettbewerb zwingt den Staat dazu, sich gegenüber den zu Besteuernden maßvoll zu verhalten und ihnen eine einigermaßen effiziente und kooperative Verwaltung sowie eine funktionierende Infrastruktur anzubieten. Hiervon profitieren am Ende nicht nur Unternehmen, sondern insbesondere die Bürger. Insofern ist Wettbewerb am Ende solidarischer als Teilen, auch und gerade in Fragen der Besteuerung.

 

Vorbild Schweiz

In der Schweiz sind die Unternehmenssteuern von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Die Maximalsätze rangieren zwischen 10 und 25 Prozent. Ein Manager eines internationalen Investmentfonds berichtet aus seiner Praxis: „Wenn wir eine Fabrik planen, dann fragen wir bei der Kantonsbehörde an, wie die Steuern aussehen, wenn wir 300 Arbeitsplätze schaffen.“ Wenn die Behörde acht Prozent anbiete, dann würde er mit Abwanderung in den Nachbarkanton drohen: „Da sind es nur sechs Prozent.“ Das Land kennt keine Steuerflucht, und die Steuerehrlichkeit ist höher als in den meisten anderen Ländern der Welt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen