© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Viele Vögel sind schon weg
Unaufhaltsame Monotonisierung: Eine ernüchternde umweltpolitische Bilanz in Sachen Biodiversität
Dieter Menke

Politik, so lautet die berühmte Definition von Max Weber, „bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“. Eine Faustformel, die das Publikum darauf vorbereitet, daß gut Ding Weile haben will, aber zugleich verheißt, auch das härteste Brett werde einmal durchgebohrt sein.

Als Weber diese optimistische Erwartung 1919 veröffentlichte, ahnte er nicht, daß die nach 1945 beginnende Geschichte der internationalen Entwicklungspolitik seine Metapher einst als wenig realitätstauglich blamieren könnte. Auch nach siebzigjährigem Bohren ist auf diesem Politikfeld kein Erfolg in Sicht.

Nur drei Getreidearten dominieren die Ackerflächen

Kaum eine bessere Bilanz weist die Umweltpolitik auf. Das zeigen die dürftigen Resultate von 25 Jahren hektischem Konferenzzirkus zur globalen „Klimarettung“ oder zum Artenschutz. Auch im kleineren nationalen Rahmen weist auf diesem Sektor bisher kein Brett ein Loch auf. So erstaunt es nicht, wenn Wissenschaftler jetzt eines der ehrgeizigsten umweltpolitischen Projekte der Bundesregierung, das 2007 proklamierte und umständlich formulierte Ziel, bis 2015 die „Erhöhung der Populationsgrößen der Mehrzahl der Arten in landwirtschaftlichen Ökosystemen“ erreichen zu wollen, für gescheitert erklären.

Zwei Dutzend Agrarwissenschaftler, überwiegend aus den Spezialfächern Agrarökologie, Geobotanik, Vegetationskunde, Pflanzenzucht, legen dazu in der Hauszeitschrift des Bonner Bundesamtes für Naturschutz (Natur und Landschaft, 9-10/2014) ihre Zusammenfassungen umfangreicher Feldstudien vor. Diese lassen in eine tiefe Kluft zwischen dem politisch Gewollten und dem tatsächlich Erreichten blicken.

Nur in der Hauptursache für die starken Biodiversitätsverluste in der Kulturlandschaft Mitteleuropas stimmen Politik und Wissenschaft überein. Sie gehen auf die Intensivierung der agrarischen Nutzung seit Ende des Zweiten Weltkrieges zurück. Der Göttinger Pflanzenökologe Christoph Leuschner, der sich mit seinem Team auf Niedersachsen und Schleswig-Holstein konzentrierte, kann allein für diese beiden Bundesländer gravierende Veränderungen in den für die Agrodiversität wichtigen Zustandsgrößen Dauergrünfläche, Fruchtartenvielfalt, Schlaggröße, Düngerverbrauch und Pestizideinsatz dokumentieren.

Nur drei Getreidearten – Winterweizen, Winterraps und Mais – nahmen 2010 in Niedersachsen 53, in Schleswig-Holstein sogar 73 Prozent der Ackerfläche ein. Der Flächenanteil der für die Segetalflora, die gern als „Ackerunkraut“ geringgeschätzte Vegetation, bedeutsamen Ackerränder halbierte sich seit 1950 mit wachsender Schlaggröße. Zugleich gingen seit dieser Zeit in beiden Nordstaaten 8.000 Quadratkilometer Dauergrünland durch Umnutzung verloren – das sind 48 beziehungsweise 34 Prozent der Grünlandflächen von 1950.

Für die Flora und Fauna hat dieser von Flurbereinigung, Entwässerung, Optimierung der Bodenbearbeitung durch Unterdrückung der „Unkräuter“ sowie Erhöhung der Düngermengen forcierte Strukturwandel verheerende Konsequenzen. Gehe man davon aus, so verweist Leuschner auf die älteren Befunde von Vegetationsökologen, daß vor fünfzig Jahren aufgrund der extensiveren Ackerbewirtschaftung auch das Feldinnere von artenreichen Segetalgemeinschaften besiedelt war, so betrage der Habitatverlust für Ackerwildkräuter bis heute niederschmetternde 95 Prozent.

Uferschnepfe und Bekassine verschwinden für immer

Parallel dazu vollziehe sich die „Monotonisierung der Ackerlandschaft“ durch die Reduzierung der angebauten Arten von einst 25 auf 16 Kulturarten. Winterweizen und -raps sowie Mais dominieren auf zwei Drittel der Fläche. Stark verringerte sich hingegen der Hackfruchtanbau, der Anteil von Gerste, Hafer und generell von Sommergetreide. In Schleswig-Holstein ging der Kartoffelanbau auf zehn Prozent der früheren Anbaufläche zurück.

Der sich beschleunigende Artenverlust mündet laut Leuschners Mitarbeiter Stefan Meyer unweigerlich in eine „drastische Vereinheitlichung der Segetalgesellschaften“, die schließlich überhaupt die Agroökosysteme Mitteleuropas bedrohen. Die Artenzahl pro Aufnahmefläche im Feldinneren habe um 71 Prozent abgenommen. Grobe Hochrechnungen lassen bei vielen charakteristischen Arten mit poetischen Namen wie Acker-Rittersporn, Lämmersalat, Kahles Ferkelkraut, Rundblättriges Hasenohr oder Acker-Hahnenfuß Populationsrückgänge von bis 99 Prozent annehmen. Darüber hinaus zeigen stärker gefährdete Arten eine ungünstigere genetische Struktur als weniger gefährdete, denn die genetische Isolation vieler Restpopulationen sei hoch.

Klar zeichne sich ab, daß die spezialisierten Arten den wenigen „Generalisten“ weichen. Im Feldinneren fänden sich daher lediglich noch fünf bis sieben von diesen herbizidtoleranten Überlebenskünstlern. Der Waldökologe Benjamin Krause bestätigt Meyers Studien für das Grünland und betont, daß dort die insektenbestäubten Arten von den stärksten Verlusten betroffen seien.

Wie krasse Diversitätsverluste auf die Brutvogelwelt einwirken, stellt der Ornithologe und Experte für Populationsökologie Hermann Hötker (Kiel) dar. Die großen, bis Ende der 1980er registrierten Bestandsrückgänge bei den Brutvögeln der Agrarlandschaft seien durch die EU-Programme zur Flächenstillegung zwar zeitweise korrigiert worden. Aber das Verschwinden der meisten Brachen, auf denen seit 2007 vermehrt Mais angebaut wird, löste eine neue Rückgangswelle aus, die am schlimmsten die an Grünland gebundenen Arten erfaßte, und die bisher durch keine der vielen Naturschutzmaßnahmen aufgehalten worden sei. Mit Brachen und Grünländern „verschwanden vielerorts die letzten halbnatürlichen, nicht mit Pestiziden behandelten und nahrungsreichen Habitate aus der Kulturlandschaft“. Und mit ihnen dürften sich bald Uferschnepfe, Bekassine, Rotschenkel oder der Große Brachvogel für immer verabschieden.

Ein Gegengewicht könnte der ökologische Landbau bilden. Doch dessen Flächenanteil betrug 2012 in der deutschen Landwirtschaft gerade einmal sechs Prozent, und er nimmt kaum zu. Auch das mit Prämien belohnte „Greening“ des neuen EU-Förderprogramms werde Hötker zufolge wegen der zu geringen Flächen, die davon profitieren, „nicht in der Lage sein, einen entscheidenden Beitrag zum Stopp des Rückgangs der Vögel der Agrarlandschaft zu leisten“.

Foto: Felder in Rheinland-Pfalz und Naturvielfalt im Schweizer Kanton Bern (o.): Gerade der vermehrte Maisanbau zur Energiegewinnung ist verantwortlich für die großen Bestandsrückgänge bei den Brutvögeln

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