© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/14 / 28. November 2014

Knapp daneben
Einfach nicht zur Kenntnis nehmen
Karl Heinzen

Viele atmeten auf, als die tätowierte Theologin Sinéad O’Connor vor knapp zehn Jahren ankündigte, sich aus dem Musikgeschäft zurückzuziehen. Immerzu hatte sie die unbedarften Hörer ihres Gedudels mit Gruselgeschichten aus ihrem Leben oder privatreligiösen Skurrilitäten behelligt. Das war irgendwann einfach zu viel des Guten.

Gehalten hat sie ihr Versprechen allerdings nicht. Nach kurzer Schampause suchte sie schon wieder Konzertsäle und Aufnahmestudios heim. Aufmerksamkeit erzielten jedoch weniger ihre dürftigen Lieder, sondern der Krawall, den sie produzierte, und die Gerüchte, die über ihre Beziehungen kursierten. Auch ihre jüngste Haßattacke gegen die Kollegen der Band U2 sollte man als Content-Marketing für ihr aktuelles Album auslegen.

Die Wut ist verständlich. Sie muß ihre Musik verkaufen und ist dabei nur mäßig erfolgreich. U2 hingegen hat sein neues Machwerk einfach kostenlos in den Download-Ordner aller iTunes-Kunden einstellen lassen. Nach Auffassung von Sinéad O’Connor grenzt dies an Terrorismus. Niemand habe das Recht, auf solche Weise in das Leben anderer Menschen einzudringen.

Es kommt häufig vor, daß Popstars plötzlich glauben, sie dürften ihre Fans auch noch moralisch belehren.

Die Schärfe der Kritik mag überraschen. Meistens stört sich niemand daran, wenn er etwas geschenkt bekommt, was ihm nicht gefällt. Im Fall von U2 ist diese Gleichgültigkeit unangebracht.

Es kommt häufig vor, daß Popmusiker plötzlich glauben, sie dürften ihren Fans nicht nur das Geld aus der Tasche ziehen, sondern sie auch noch moralisch belehren. Niemand, nicht einmal Bob Geldof, hat diese Masche aber so sehr kultiviert und zum steuerlich optimierten Geschäftsmodell gemacht wie U2. Aids, Hunger, Diktatur, MS, Apartheid, Armut – es gibt kaum eine Geißel der Menschheit, gegen die die Band nicht angesungen hätte. Man traut sich kaum noch, irgendein großes Weltproblem öffentlich zu diskutieren. Stets lauert die Gefahr, daß Bono mit seiner Brille um die Ecke kommt und das Thema zu barer Münze macht. Das Handwerk wird ihnen keiner legen können. Aber es gibt das Grundrecht darauf, sie nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.

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