© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Vertriebene auf neuen Wegen
Kommunale Partnerschaften: Auch jenseits des BdV werden Brücken in die alte Heimat gebaut
Andreas Graudin

Mit dem schleichenden Abgang der Erlebnisgeneration der Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten verliert der Bund der Vertriebenen (BdV) deutlich an Einfluß. Das hätte nicht so sein müssen. Aber schon die erste Nachkriegsgeneration hat sich mit dem BdV unwohl gefühlt. Die einen wegen Vereinsmeierei, die nächsten wegen der Erkenntnis, den Anspruch auf die Heimat als besiegte und geteilte Nation nicht gegen den Rest der Welt durchsetzen zu können, und viele wegen Desinteresse an der „kalten Heimat“.

„Verzicht ist Verrat“ verschwand zwar als Parole, aber „Schlesien bleibt unser“ ging in die gleiche Richtung. Ein Friedensvertrag, der das alles real machen sollte, war die vage Hoffnung. Der Traumtanz wurde durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag und den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag beendet. Zu den vertanen Chancen des BdV gehörte ein frühes Echo auf die Solidarnosc-Bewegung. Das Zeichen hätte inhaltlich lauten müssen: Die Kommunisten bauen auf eure Angst vor den „deutschen Revanchisten“. Die gibt es nicht (mehr)! Das kam nicht. Der BdV scheute nach 1990 davor zurück, seinen Mitgliedern der Erlebnisgeneration klarzumachen, daß sie ihr Recht auf Heimat nicht mehr in der alten Heimat verwirklichen könnten.

Und die deutschen Minderheiten? Auch sie sind marginal geworden in ihrer Heimat. Exodus nach Deutschland, Anpassungsdruck und Mischehen machen sie höchstens noch zu lokalen Faktoren in Osteuropa. Eine Rußlanddeutsche Republik an der Wolga oder gar in Nordostpreußen blieb ein Hirngespinst.

Nach der materiellen folgt die geistige Aneignung

Für neue Wege der deutschen Vertriebenen stand in Menschenrechts- und humanitären Fragen die Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO) und in kultureller Hinsicht der Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA). Für die Erlebnisgeneration blieben oft die Heimatkreise Bezugspunkte. Hier fanden sich die Vertriebenen einer Stadt oder eines Kreises zusammen, um sich in Heimweh und Erinnerung und auch bei Nachforschungen zu Verschollenen und Vermißten zu unterstützen.

Diese dezentralen Treffen waren überwiegend unpolitisch, und es ist kein Zufall, daß dort die Bereitschaft zum Dialog mit Polen in der alten Heimat am ausgeprägtesten war. Die häufig selbst von Krieg und Nachkrieg entwurzelten und schließlich in den Vertreibungsgebieten heimisch gewordenen Polen griffen in diesen Fällen gern den Gesprächsfaden auf, schon um mehr über die neue Heimat zu erfahren. Eine gewisse Neugier auf der einen und der Heimwehtourismus auf der anderen Seite brachte ehemalige und jetzige Bewohner von Kreisen und Städten zusammen. Dabei klinkten sich bald die deutschen Gemeinden ein, die Patenschaften mit den Heimatkreisen der Vertriebenen geschlossen hatten, und es entstanden Partnerschaften zwischen deutschen und polnischen Gemeinden.

Diese Zusammenarbeit findet in der Arbeitsgemeinschaft Kommunale Partnerschaft (AKP) ein Forum und eine Außenvertretung. Der in solchen Dreiecksverhältnissen tätigen AKP gelingt es seit Jahren, beispielhafte Kongresse mit hochkarätigen Referenten zu organisieren. Die Institutionalisierung internationaler kommunalpolitischer Kontakte steht nicht nur was Polen betrifft noch ganz am Anfang. In der AKP begegnen sich deutsche und polnische Kommunalpolitiker sowie die Vertreter der Heimatkreisgemeinschaften auf Augenhöhe, und sie sagen sich dabei gegenseitig die ungeschminkte Wahrheit. Deutsche Leidensgeschichte wird von Polen heute weder bestritten noch verharmlost und eigenes Fehlverhalten eingeräumt und analysiert. Das findet nicht ohne Emotionen, aber gänzlich ohne Haß statt. Einen solchen institutionalisierten Dialog konnte der BdV nicht herstellen. Wie auch? Jeder polnische Politiker wäre mit Kontakten zum BdV unter der in Polen zu Unrecht als „sehr böse“ wahrgenommenen langjährigen BdV-Präsidentin Erika Steinbach kompromittiert.

Über Kommunalpartnerschaftsverträge ist es der AKP und einzelnen in Deutschland als Vereine organisierten Heimatkreisgemeinschaften gelungen, in Polen den offiziellen Status einer „ideellen Gebietskörperschaft“ zu erlangen. Das entspricht dem wachsenden Interesse der in den Vertreibungsgebieten nachwachsenden polnischen Generationen an der Geschichte ihrer Gemeinden. Solche Begegnungen an der Basis beziehen auf deutscher Seite mittlerweile eine Altersgruppe mit ein, die der BdV nicht mehr erreichen konnte. Anders als zu Zeiten der kommunistischen Diktatur wird in Polen heute offen über das kulturelle Erbe der Deutschen gesprochen. Viele junge Polen stellen Fragen nach den einstigen Erbauern ihrer Häuser und sind an deutschen Chroniken interessiert. Es erfolgt so nach der materiellen die geistige Aneignung. Wenn es der AKP gelingt, die deutsche Minderheit in Polen in ihre erfolgreiche kommunale Außenpolitik einzubeziehen, hat sie das Potential, zum führenden Forum der deutsch-polnischen Beziehungen zu werden.

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