© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Seitenhiebe auf die Privaten
Internationaler Bund (IB): Bei der lukrativen Rundumbetreuung der Asylbewerber fühlt sich der Berliner Verein als Erster unter Gleichen
Christian Schreiber

Es wird ein Rekordjahr, was die Zahl von Flüchtlingen betrifft. 200.000 Menschen beantragten in Deutschland Asyl. 166.000 waren es 1995, im letzten „starken“ Zuwanderungsjahr, als der 1993 geschlossene Asyl-Kompromiß langsam zu greifen begann. Danach gingen die Zahlen nach unten. Die Kommunen sanierten leerstehende Asylunterkünfte, bauten sie um und widmeten sie oftmals zu Studentenwohnheimen oder normalen Wohnräumen um.

Nun, da die Zahlen sprunghaft gestiegen sind, sucht der Staat händeringend nach Lösungen. Viele Städte und Gemeinden stöhnen ob der mangelnden Unterbringungskapazitäten, von den Kosten ganz zu schweigen. So ist in den vergangenen Monaten eine Einnahmequelle entstanden, die von zahlreichen Medien als „Geschäft mit den Flüchtlingen“ bezeichnet wird. Laut einem Bericht der Rheinischen Post werden die Ausgaben der Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die 2013 bereits 375,8 Millionen Euro betrugen, in diesem Jahr um mehr als 60 Prozent steigen. Auch das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales verweist auf einen erheblichen Anstieg der Gesamtausgaben von 74 Millionen (2013) auf prognostizierte 129 Millionen. Knapp zwei Drittel davon entfallen auf die Unterbringungskosten.

Der Staat gibt viel Geld an gemeinnützige oder private Betreiber, damit diese für die Unterbringung von Flüchtlingen sorgen. Berlin setzt dabei auf eine aufwendige Container-Lösung. Insgesamt sechs Containerdörfer will der Senat bauen, das erste wird Anfang Dezember unter Betreuung des Internationalen Bundes (IB) in Köpenick eröffnet.

Die gemeinnützige Organisation bezeichnet sich als „parteipolitisch und konfessionell unabhängig“ und arbeitet unter der Prämisse „Flüchtlinge menschlich behandeln!“ sowie dem Motto „Schwarz-Rot-Bunt“.

Präsidentin des eingetragenen Vereins ist die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Merkel, zu den Funktionären gehören zahlreiche führende Gewerkschafter, aber auch Sozialpolitiker aus der Union wie die ehemalige Staatssekretärin Sabine Bergmann-Pohl.

Die Organisation unterhält mit ihren rund 11.000 Mitarbeitern 28 Jugendwohnheime, 80 Jugendzentren, 87 Jugendmigrationsdienste, 110 Kindertagesstätten und 21 Wohnheime für Menschen mit geistiger Behinderung. Außerdem ist der eingetragene Verein im Bereich der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig und betreibt Hotels und Jugendherbergen.

40 Euro pro Kopf und Tag für die Betreuung

Im vergangenen Jahr sorgte der IB für Schlagzeilen, als er ankündigte, eine Vielzahl seiner Aktivitäten in eigenständige Gesellschaften auszugliedern, um damit „der kleinteilig gewordenen regionalen Arbeit“ besser Rechnung tragen zu können. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstellte dem Verein daraufhin, man wolle über dieses Modell bestehende Tarifverträge unterlaufen.

In der Bundeshauptstadt betreibt der Internationale Bund seit Dezember 2010 das ehemalige Notaufnahmelager an der Marienfelder Allee als Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber. „Es geht um mehr, als nur ein Dach über dem Kopf zu bieten“, erklärt Präsidentin Merkel. „Man darf die Menschen, die bei uns Zuflucht und Hilfe suchen, nicht einfach nur verwahren und verwalten. Zum humanitären Weltbild des IB gehört es, daß sie arbeiten und Bildungsangebote wahrnehmen können. Alles andere ist unmenschlich“, so Merkel.

Der Internationale Bund kritisiert dabei auch die Mitbewerber im sozialen Sektor. Vor Monaten waren Fälle bekanntgeworden, in denen Flüchtlinge in einer Unterkunft in Nordrhein-Westfalen vom Wachpersonal mißhandelt worden waren. Knackpunkt hierbei sei, so der IB, daß „angesehene Träger und Wohlfahrtsverbände es „nicht selten“ ablehnten, sich für „Aufträge zu bewerben, deren Rahmenbedingungen erkennbar keine fachlich verantwortbare Leistung“ ermöglichten. „Unter dem steigenden Druck der zunehmenden Flüchtlingszahlen und wegen knapper finanzieller Mittel“ griffen die Kommunen dann „oft auf die Angebote von weniger seriösen Anbietern zurück“, heißt es in einer Mitteilung, die zwischen den Zeilen deutlich macht, worum es geht. Der IB fordert mehr Geld für die Arbeit mit Flüchtlingen.

Der Verein sieht hier vor allem Bund und Länder in der Verantwortung, die Kommunen auch finanziell mehr zu unterstützen, um die Vergabe von Aufträgen zur Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen nicht in erster Linie billig, sondern fachlich angemessen zu gestalten. „Oder anders ausgedrückt: Kompetenz hat ihren Preis“, heißt es an anderer Stelle deutlicher.

Laut Rechenschaftsbericht bestreitet der IB mehr als ein Drittel seines jährlichen Umsatzes durch Zuwendungen der Bundesagentur für Arbeit. 15 Prozent steuern die Bundesländer sowie die Landkreise bei. Neben sonstigen Erträgen fließen weitere fünf Prozent direkt aus Bundesmitteln. Nur etwa 0,2 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet der IB aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. „Der IB wurde in den vergangenen Jahren auch, wie die anderen Träger, einem beispiellosen Preisdruck und Konkurrenzkampf ausgesetzt. Wo der IB e.V. nicht in der Lage war, seine Maßnahmen zu Marktpreisen anzubieten, mußten diese in die IB GmbH verlagert werden – sofern diese marktfähig war“, teilt die Organisation mit. Der Seitenhieb auf die private Konkurrenz kommt nicht von ungefähr.

Die Flüchtlingsproblematik betrifft vor allem die Ballungsgebiete. Berlin leidet besonders. Vor allem, weil die Behörden den Mißständen kaum Herr werden. So verdoppelten sich die Ausgaben Berlins für die Unterbringung von Asylbewerbern von 49,5 Millionen 2013 auf prognostizierte 90 Millionen Euro in diesem Jahr.

Da trifft es sich eigentlich gut, daß es Menschen gibt, die sich selbst in der Rolle des Samariters sehen. Mit dem Spruch „Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern dort wo man verstanden wird“, wirbt die Gierso Boardinghaus GmbH auf ihrer Internetseite. Sie betreibt in Berlin drei Sammelunterkünfte mit insgesamt 700 Bewohnern. Neben ihr sind vor allem auch die Privaten Sozialen Dienste Wohnungsbau GmbH (Prisod) sowie die Professionelle Wohn- und Betreuungsgesellschaft (PeWoBe) in Berlin aktiv. Sie betreiben etwa die Hälfte der Einrichtungen, die sich um die Unterbringung von Flüchtlingen kümmern.

In diesem Zusammenhang geriet in der Hauptstadt Sozialsenator Mario Czaja (CDU) unter Druck. Ihm wird vorgeworfen, seine Aufsichtspflicht beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) vernachlässigt zu haben. Dessen Behörden-Chef Franz Allert wird vorgeworfen, einen staatlichen Auftrag an die Gierso beziehungsweise die mit ihr verbundene PeWoBe vergeben zu haben. Pikantes Detail am Rande: Die Gierso-Geschäfte werden von einem Patenkind Allerts geführt. Dieser gibt zwar zu, daß die Vergabe ohne Ausschreibung erfolgt sei, rechtfertigt dies aber damit, „daß sich für das Projekt die Firma PeWoBe als einziger der dem Lageso bekannten Betreiber in der Lage sah, diese Unterkunft kurzfristig zu realisieren.“ Die weitere Rechtfertigung klingt wie eine Bankrotterklärung. „Die Kurzfristigkeit der Maßnahmen erfordert schnelles Handeln“, sagte Allert, der Unterbringungsdruck sei so groß, daß die Behörden nicht in allen Fällen die Möglichkeit hätten, Bonität und Seriosität der Betreiber zu prüfen.

Recherchen des Berliner Tagesspiegels ergaben, daß zumindest ein Gesellschafter der PeWoBe seinen Sitz kurzfristig ins Ausland verlegt habe. Zudem sei eine andere Firma von einer „bilanziellen Überschuldung“ betroffen. Doch die Verzweiflung ist vor allem in der Hauptstadt derart groß, daß externe Angebote dankbar angenommen werden. „Regelmäßig werden Immobilien durch die potentiellen Betreiber selbst angeboten, so daß nur im Einzelfall zu prüfen ist, ob das Angebot den Vorgaben entspricht“, teilte der Lageso-Chef auf Anfrage mit.

Auch in anderen Bundesländern häufen sich die Klagen. So kam in Nord-rhein-Westfalen die Firma European Homecare (EHC) wegen Mißhandlung ins Gerede. Das Unternehmen betreibt seit rund zwei Jahrzehnten Unterkünfte für Flüchtlinge und verpflichtet sich dazu, die Heimbewohner ganzheitlich zu versorgen. Dazu gehören auch die Verpflegung sowie die Sicherheit der Bewohner. Doch EHC hatte einen Subunternehmer eingeschaltet, einen Security-Service, der auch den Ordnungsdienst in Diskotheken übernimmt. Für diese Dienstleistung bekam die EHC zwischen 30 und 40 Euro pro Kopf und Tag. Die Sätze unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland.

Foto: Neues Containerdorf für Flüchtlinge im Berliner Bezirk Köpenick: Bis Ende Juni verschlang die Unterbringung bereits 44,7 Millionen Euro aus dem Stadtsäckel. Die örtlichen Betreiber wittern gute Geschäfte

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