© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/14 / 05. Dezember 2014

Das Bewährte bewahrend
AC/DC: Nach dem Ausstieg des Bandgründers Malcolm Young meldet sich die Rockgruppe mit einem neuen Album zurück / 2015 steht eine Welttournee in Aussicht
Heiko Urbanzyk

Es gibt Rockgruppen wie die Rolling Stones, die trotz dauerhafter Medienpräsenz ständig totgesagt werden, und es gibt Gruppen, die sich selbst totstellen und jede Öffentlichkeit scheuen – wie AC/DC. Das Schema ist seit „The Razors Edge“ (1990) das gleiche: Album, Welttournee, jahrelange Funkstille. Keine Gerüchte, keine Skandale, vereinzelte Gastauftritte.

Sechs Jahre nach dem Kracher „Black Ice“ und drei Jahre nach dem gefeierten Konzertmitschnitt „Live at River Plate“ melden sich die australischen Hardrocker schottischer Herkunft nun mit dem Album „Rock or Bust“ zurück. Die CD kletterte noch vor dem Verkaufsstart in der Amazon-Rangliste auf Platz 1. Gleichzeitig reißen die Biologie und ein außer Kontrolle geratener Schlagzeuger Lücken in die Besetzung. Erste Abgesänge werden laut.

Doch siehe da: „Rock or Bust“ rockt! „Let’s play ball!“ röhrt es aus Brian Johnsons Kehle. Leichtbekleidete Frauen lassen im dazugehörigen Video tatsächlich die Bälle fliegen … In einem Hauch von Sportkleidung. AC/DC-Fans lieben das genauso wie den schlüpfrigen Text. Sie sind zudem strukturkonservativ. AC/DC, das ist für sie in immer gleicher Körperpose und Bühnenformation Malcolm Young (Rhythmusgitarre), Cliff Williams (Baß), Phil Rudd (Schlagzeug), Brian Johnson (Gesang) und Angus Young (Leadgitarre). Im „Play Ball“-Video fehlt jedoch Malcolm und … Wer ist der Typ am Schlagzeug?

Mitgründer Malcolm Young mußte die Gruppe, die er mit seinem Bruder Angus gründete, nach 41 Jahren verlassen. Schlaganfall und Demenz im Alter von 61 Jahren. Ein schnelles Leben mit Drogen in der Anfangsphase, Alkoholismus und noch mehr Nikotin endet in einem australischen Pflegeheim. Nicht nur Biographen wie Murray Engleheart und Arnaud Durieux („Maximum Rock’n’Roll“) oder Mick Wall („Hell Ain’t a Bad Place to Be“) gilt der schmächtige Rhythmusgitarrist und Backgroundsänger als Herz und Hirn von AC/DC. Ebenso Angus Young betonte stets die Rolle seines großen Bruders als Macher und Kopf der Truppe. Die Fans sehen das ähnlich. In die Trauer mischt sich in den Foren und auf der offiziellen Facebook-Seite erste Häme. „Ohne Malcolm kein AC/DC – aufhören“ und so ähnlich heißt es.

Die Welt veröffentlichte Ende September einen „Nachruf“: „Sie könnten problemlos einen Neffen in die Schuluniform von Angus stecken, ihn durch ein Gitarristen-Trainingslager scheuchen und zwischen die Hinterbliebenen von AC/DC auf die Bühne stellen. Malcolm ist nicht zu ersetzen,“ plärrt Altfan Michael Pilz. Edo Reents verkündete im Feuilleton der FAZ bereits Ende April: „Das Ende der größten Hardrock-Band aller Zeiten ist besiegelt. (…) Seit Malcolm Young krank ist, gibt es diese Band nicht mehr.“

Ähnlich nölten Medien 1980 nach dem tragischen Alkoholtod des bis heute abgöttisch verehrten Sängers Bon Scott – und wurden nur wenige Monate nach dessen Tod mit „Back in Black“ dermaßen erbarmungslos in ihre Schranken verwiesen, als hätten sie über die gesamte Albumlänge Schläge mit dem Rohrstock kassiert. Bis heute verkaufte sich die Platte fast 50 Millionen Mal.

Im Gespräch mit der Zeit vorige Woche gibt sich Angus Young kämpferisch. Nach Rücksprache mit seinen Mitmusikern sei er bereit, selbst in die Fußstapfen des großen Bruders zu treten. „Letztlich ist Malcolms Haltung zum Weitermachen der ganzen Band ins Blut übergegangen.“ Tatsache ist, daß niemand, vielleicht nicht einmal AC/DC, wissen kann, wie die Gruppe live ohne Malcolm klingen wird. Wer sollte jetzt das Recht haben, den Weg zu weisen, wenn nicht Angus & Co. selbst?

Der Neffe Stevie Young zupft jetzt offiziell die Rhythmusgitarre. Wie damals, 1988, auf US-Tour, während Onkel Malcolm auf Alkoholentzug war. Die meisten Fans bemerkten es seinerzeit nicht einmal.

Der im Mai dieses Jahres sechzig Jahre alt gewordene Phil Rudd, abgesehen von einer Pause zwischen 1983 und 1995, gut dreißig Jahre fest auf dem Schlagzeughocker angewachsen, fehlte beim Videodreh zu „Play Ball“. Seinen Platz nahm Bob Richards (Shogun, Adrian Smith Band) ein. Die Hintergründe sind unklar. Rudd wurde wegen eines „familiären Notfalls“ beim Drehtermin entschuldigt. Erst einen Monat später kam es zu seiner Verhaftung in Neuseeland wegen Drogenbesitzes und angeblicher Morddrohungen. Auf Kaution draußen, muß er sich demnächst vor Gericht verantworten. Richards ersetzte Rudd ebenfalls beim Videodreh zum Titelstück „Rock or Bust“, was die Spekulationen um eine endgültige Trennung in Szenemagazinen weiter anheizt.

Phil Rudd gilt als ein außergewöhnlich guter Schlagzeuger. Sein Taktgefühl soll der Präzision eines Metronoms entsprechen. Er wäre ein Verlust, aber nicht unersetzlich, wie die Geschichte von AC/DC zeigt. Die Tour 2015 wird stattfinden. Wie die Videodrehs beweisen, notfalls ohne ihn. Bei Redaktionsschluß dieser Ausgabe ist Rudd noch immer auf der offiziellen Facebook-Seite als Drummer aufgeführt.

Seit dem 28. November heißt die Parole unabhängig von alledem „Rock or Bust“. Malcolm Young schrieb an den Stücken mit, solange es die Krankheit zuließ. Stevie spielte sie mit ein. Das Album zu besprechen ist eine undankbare Aufgabe. Große Teile insbesondere der älteren Fans hängen nach wie vor an der Bon-Scott-Ära. Noch nach 35 Jahren schwebt über jedem Album die Kritik, daß AC/DC nicht mehr „so gut wie früher“ sei. Die Zeitschrift Metal Hammer beklagt, es fehle den Liedern der zündende Funke. Der Spiegel vermißt Hits wie „T.N.T.“ oder „Highway to Hell“ und meint, das Album klinge „altersschwach“; es wäre für AC/DC besser gewesen, in die „hart erarbeitete Rente“ zu gehen.

Wer sich aus der Endlosschleife solcherart Nörgelei lösen kann – und das müssen weltweit immerhin Millionen Käufer sein – bekommt mit „Rock or Bust“ nichts anderes als AC/DC: Im besten Sinne konservativ, das Bewährte bewahrend, ist zwischen den einzelnen Titeln für Abwechslung gesorgt. Mit 35 Minuten ist es das kürzeste AC/DC-Album überhaupt. Kaum eines der elf Lieder dauert länger als dreieinhalb Minuten; das erhöht die Schlagkraft und vermeidet Langeweile.

„Rock or Bust“ mit seinem einprägsamen Kehrvers ist abgehackter Primitiv-Rock, der Erinnerungen an „Rising Power“ oder „Hard as a Rock“ wach werden läßt. Erste Stimmen vermissen die Mitsingqualität für Konzerte, andere verheißen „ein riesiges Live-Potential“. Dieser Streit wird 2015 in den Stadien entschieden.

„Rock The Blues Away“ richtet sich wie der Klassiker „You Shook Me All Night Long“ an die harmoniebedürftige Kuschelrockfraktion. Die fröhliche Partynummer „Miss Adventure“ ist alles andere als ein Lückenfüller. Düster, aber mit viel Groove wird es bei „Dogs of War“; eines der einprägsamsten Stücke. Das flotte „Baptism by Fire“ könnte aus den späten Siebzigern stammen und gehört neben dem rotzig-bluesigen „Rock the House“ zu den Höhepunkten des Albums. Nein, das Album ist keine neue „Highway to Hell“. Aber frech, verschmitzt, unverbraucht und mit durchgehender Ohrwurmqualität machen AC/DC ihr Ding. Stillsitzen? Unmöglich!

Das Album sollte den Spekulationen um die Zukunft vorerst ein Ende setzen. Nach der Welttournee wird sich zeigen, ob die grauhaarigen Hardrocker es noch einmal ohne Malcolm wagen werden. Die Ansage von Angus gegenüber den Gästen der „Rock or Bust“-Party am 18. November in New York ist klar: „We keep going for you!“ Wir machen weiter!

AC/DC Rock or Bust Smi Col (Sony Music) www.sonymusic.de

Foto: AC/DC-Sänger Brian Johnson und Gitarrist Angus Young während des ersten Konzertes ihrer „Black Ice“-Tour 2009 in Leipzig: Große Teile insbesondere der älteren Fans hängen nach wie vor an der Bon-Scott-Ära

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