© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Fukushima kann es auch bei uns geben
Überlebenskunst: So bereiten sich Profis finanziell und psychisch auf einen möglichen Katastrophenfall vor
Henning Lindhoff

Wenn es ums Überleben geht, werden alle Ideologien irrelevant. Dann sind wir alle nur noch Menschen“, sagt heute Emir Cemirovic. 1992, im zarten Alter von neun Jahren, erlebte er die Belagerung Sarajevos durch serbisches Militär, der Tausende von Zivilisten zum Opfer fielen, am eigenen Leib. Cemirovic erinnert sich: „Ich bin damals aufgewacht und auf einmal besaß meine Familie nichts mehr. Überall Kälte, Hunger und Gewalt.“ Und er weiß: „Dies könnte jedem jederzeit passieren. Krieg und andere Katastrophen geschehen tagtäglich auf allen möglichen Erdteilen.“ Auf Grundlage seiner Erfahrungen und der Berichte vieler weiterer ziviler Opfer aus urbanen Konfliktzonen schufen die Programmierer des polnischen Spieleentwicklers 11 bit Studios das Survival-Computerspiel „The War of Mine“ (erhältlich im Internet auf www.gog.com). Im Gegensatz zu diversen bekannten „Killerspielen“ erfüllt der Spieler hier nicht als Soldat kriegsentscheidende Missionen, sondern schlüpft in die Rolle der Zivilisten an einem Kriegsschauplatz. Und diese Aufgabe ist bedrückend. Das Zusammenleben ist gezeichnet von permanentem Mangel, Hunger, Krankheit, Gefahr und der ständigen Verzweiflung. Ein wirklich erlösendes Ziel verfolgt der Spieler nicht. Es geht nur darum, so lange wie möglich zu überleben.

Das bislang in seiner Form einzigartige Spiel hat verschiedene Rückmeldungen provoziert. Es gilt vielen als Appell wider den Krieg und manchen als Aufruf, sich politisch gegen kriegslüsterne Politiker zur Wehr zu setzen. Doch auch der heute schon für den Untergang der westlichen Zivilisation planende Survivalist kann aus dem Computerspiel seine Schlüsse ziehen. Für ihn stellt es eine Simulation dar, die ihn mental auf das vorbereiten kann, was da Böses kommen wird: keine herbeiphantasierten Zombiehorden, sondern die realen Gefahren eines realistischen Katastrophenszenarios.

Steckenbleiben im Aufzug ist schon schlimm genug

Dieses Ziel der Vorbereitung hat sich auch Lars Konarek gesteckt. Denn in Survival-Situationen könne jeder Mensch sehr schnell geraten. Ob mit einem Knöchelbruch während einer Bergwanderung, mit defektem Bootsmotor auf der Nordsee oder für mehrere Stunden ohne Lebensmittel in einem defekten Aufzug. Der Buchautor hat beobachtet, wie sehr der Respekt der Menschen vor der Natur und ihren Gefahren, aber auch das Wissen über den Nutzen von Flora und Fauna für den einzelnen ist. Erschreckend sei der allgemeine Verlust des Bewußtseins für den eigenen Körper und dessen Fähigkeiten. Bedauerlich, denn gerade während einer Katastrophe könne der Mensch Unglaubliches vollbringen: „Wenn Sie denken, Sie seien an der Grenze, sind Sie noch lange nicht an der Grenze.“ Das hat Lars Konarek in vielen Extremsituationen auch am eigenen Leib erlebt. Heute gibt er praktische Überlebenstips. Das Überleben beginnt nach seiner Einschätzung bereits im Alltag: mit der körperlichen Abhärtung, der gesunden Lebensweise, der psychischen Vorbereitung und mit der Bildung helfender Netzwerke.

Einen konkreten Einstieg in die Vorbereitungen zum Überlebenskampf stellt das Notgepäck dar. In einen Rucksack für den Notfall gehören die grundlegenden Gegenstände wie Kleidung, Wasser, Feuerzeug, Taschenlampe, Seife, Brennstoff, Messer, Proviant und Verbandszeug. Doch viel wichtiger als das Materielle seien die psychologischen Eigenschaften und Fertigkeiten, so Konarek. Denn „schon Kleinigkeiten können die Laune im Ernstfall enorm heben oder auch absenken. Es ist wichtig, mental ausgeglichen zu sein.“

Überlebenswichtig seien im Krisenfall neben ausreichendem Schlaf genügend Wasser, Nahrung und Wärme auch ein geregelter Tagesablauf, straffe Disziplin und Übungen zur Streßbewältigung. In finanzieller Hinsicht gelte im Krisenfall: Nur Bares ist Wahres. Eine Regel, die auch heute schon, vor dem Hintergrund der Auflösung des Bankgeheimnisses und des Ausbaus des nicht zuletzt auch steuerpolitischen Überwachungsstaates, Anwendung finden sollte. Spätestens nach einer Katastrophe wird sich dieser zunächst salopp formulierte Spruch als schonungslose Wahrheit herausstellen.

Schließlich hat sich in allen Kriegen und Krisen gezeigt, daß sich Bargeld neben diversen Konsum- und Gebrauchsgegenständen als wertvolles Tauschmittel eignet. Auch im Fluchtgepäck sollte daher Platz für Münzen, Scheine, aber auch für echtes Geld, das heißt kleine Gold- und Silbermünzen, reserviert werden. Und wie so oft in Sachen Geldanlage gilt auch hier die Faustregel der Diversifikation. Tragen Sie im Notfall also nicht all Ihre Schätze im Rucksack, sondern einen gehörigen Teil auch am Körper. Und achten Sie auf kleine Scheine. Zudem könnte sich auch ein gewisser Bargeldbestand in den Währungen der Nachbarländer als von Vorteil erweisen, so Konarek. Schließlich könne man nie wissen, wie weit die Flucht im Ernstfall führen muß.

Disziplin unerläßlich im Überlebenskampf

Doch werden wir wohlig warm gebetteten Westeuropäer solcherlei Kenntnisse und Fähigkeiten überhaupt jemals wirklich nutzen müssen? Ja. Joel Skousen, Bruder des libertären Ökonomen Mark Skousen, ist sich da sicher. In seinem Newsletter „World Affairs Brief“ analysiert er die geopolitische Großwetterlage und gibt regelmäßig Hinweise zur Krisenvorbereitung. Skousen rät zum Aufbau nachhaltiger finanzieller Ressourcen, zur Stärkung der eigenen Autarkie von den Versorgungssystemen und vor allem auch dazu, sich von ideologisch gefärbten Gruppen fernzuhalten. Diese endeten stets mit einem starken Führer und Ego-Problemen. Vertrauen in die Mitmenschen sei im Ernstfall wichtiger als ideologische Reinheit. Emir Cemirovic wird dies bestätigen können.

Lars Konarek: Überleben in Krisen und Katastrophenfällen. Leopold Stocker Verlag, Graz 2014, broschiert, 232 Seiten, 24,95 Euro

Foto: Spielszene aus „War of Mine“: Gefahren eines realistischen Katastrophenszenarios, von denen auch der Normalbürger etwas lernen kann

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