© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Philosoph Homer
Zeichentrickserie mit Humor: Vor 25 Jahren gingen die „Simpsons“ auf Sendung
Henning Hoffgaard

Was wäre, wenn der weiseste Philosoph unserer Zeit gelbe Haut, vier Finger, drei Haare und einen Überbiß hätte? Was wäre, wenn der weiseste Philosoph unserer Zeit eine Zeichentrickfigur wäre, die auf den Namen Homer Simpson hört? Kostprobe? „Ein Atomreaktor ist einer Frau sehr ähnlich. Du mußt nur die Bedienungsanleitung lesen und die richtigen Knöpfe drücken.“

Es gibt wohl kaum eine Figur, die es schafft, alltägliche Wahrheiten so charmant und gewitzt auf den Punkt zu bringen. Und: Trotz aller Albernheiten ist Homer Simpson das Sinnbild einer ganzen Generation, die mit der Gesamtsituation irgendwie unzufrieden ist, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, wie das zu ändern wäre.

„Sohn, das Münzsammeln ist fast genauso wie das Leben. Es hat schon vor langer Zeit aufgehört Spaß zu machen.“ Aus solchen Sätzen spricht der zynische Überlebenskünstler. Einer, der die Welt völlig durchschaut hat, um dann zu entscheiden, sich nicht dafür zu interessieren. Einer über den sein Vater sagt: „Mein Homer ist kein Kommunist. Er ist vielleicht ein Lügner, ein Schwein, ein Idiot und ein Kommunist, aber er ist kein Porno-Star!“ Homer Simpson ist der letzte Welterklärer, der uns geblieben ist und der erkannt hat: „Der Versuch ist der erste Schritt zum Scheitern!“

Vor genau einem Vierteljahrhundert begann der Siegeszug des Königs unter den Philosophen. Und der seiner Familie. Am 17. Dezember 1989 sendete der konservative amerikanische Fernsehsender Fox die erste Pilotfolge („Es weihnachtet schwer“) der Zeichentrickserie „Die Simpsons“. 25 Jahre, 560 Folgen und etwa 12.320 Sendeminuten später steht die Sendung noch immer da, wo sie begann: an der Spitze der beliebtesten Serien dieser Welt. Die Zahl der Auszeichnungen geht in die Dutzende, die Zahl der Zuschauer in die Milliarden. Um die Zeichentrickserie ist längst ein eigenes Universum entstanden. Fanartikel, Fantreffen und sogar ein eigener Wikipedia-Ableger (simpsonspedia.net).

Konservative Kulturkritiker neigen angesichts dieser Kommerzialisierung dazu, in den Simpsons nicht mehr zu sehen als das beste Beispiel westlich dekadenter Beliebigkeit oder amerikanischer Kulturdominanz. Sie liegen falsch. Selten hat eine Serie, die gefahrlos von der Vierjährigen bis zum Großvater geschaut werden kann, den „American Way of Life“ so herrlich unbekümmert auseinandergenommen. Nicht mit der Brechstange, sondern mit dem Florett. So gut wie alle Gruppen, die meinen, ihr geschlossenes Weltbild tauge als Vorbild für den Rest der Menschheit, bekommen ihr Fett weg. Angefangen bei konservativen Evangelikalen über die Waffenlobby bis hin zu Liberalen, Vegetariern und selbsternannten Bürgerrechtlern.

Bestes Beispiel dafür ist Lisa Simpson, die Tochter der Familie. Sie ist gegen Atomkraft, gegen Fleischkonsum und sieht sich selbst als das moralische Gewissen der Welt. Dennoch beißt sie mit all ihren Plänen zur Rettung der Welt bei ihrem trotteligen, aber bauernschlauen Vater auf Granit.

Kern der Serie ist auch der Kern unserer Gesellschaft: die bürgerliche Kleinfamilie. Vater Homer arbeitet im Atomkraftwerk, seine Frau Marge kümmert sich aufopferungsvoll um die Familie. Ihre Kinder, Lisa (hochbegabt) und Bart (Schulrüpel) besuchen die Grundschule, während das Baby der Familie sich seit 25 Jahren standhaft weigert, zu sprechen. Egal, wieviel Streit die Protagonisten untereinander haben, am Ende hält die Familie immer zusammen. Wer die Simpsons schaut, bekommt garantiert ein Happy-End mitgeliefert. Am Ende jeder Folge ist die Welt wieder in Ordnung. Das ist es, was die Simpsons und ihren Erfolg ausmacht. Danach sehnen wir uns alle. Die heile, wenn auch nicht perfekte Welt. Konservativer geht es nicht

Die Simpsons fordern ihre Zuschauer nicht penetrant zur Selbstreflexion auf, sie verzichten auf den erhobenen Zeigefinger, sie reden niemandem ein schlechtes Gewissen ein. Ihre Mittel zur Gesellschaftskritik sind Sarkasmus, hintergründige Anspielungen und ironische Kommentare. Stets im Visier: die endlose Heuchelei der westlichen Gesellschaften in Politik, Religion und Alltag. „Du kennst mich Marge, ich mag mein Bier kalt, meinen Fernseher laut, und meine Homosexuellen sollen sich outen“ (Homer Simpson), „Ich habe alles getan, was in der Bibel steht, selbst den Mist, der an anderer Stelle widerrufen wird“ (der religiöse Nachbar der Simpsons, Ned Flanders), „Wir machen heute einen Test. Er nennt sich Qualifikationsaufgabentest für Schulabgänger, kurz: Quatsch.“ (Lisas Lehrerin Elizabeth Hoover).

Ähnlich wie etwa bei der libertär angehauchten Zeichentrickserie „South Park“ sparen die Macher der Simpsons nicht mit Anspielungen auf die US-Politik. Die konservativen Republikaner werden als durchtriebene Bösewichte dargestellt, in deren erlauchtem Kreis auch Graf Dracula seinen Platz gefunden hat. Damit werden die Vorurteile linker US-Medien aufgegriffen und ad absurdum geführt. Der Kandidat der republikanischen Partei in Springfield, der fiktiven Heimatstadt der Simpsons, äußert sich einmal spitzfindig über das Wahlverhalten der Amerikaner: „Euer schuldiges Gewissen treibt euch dazu, die Demokraten zu wählen. Aber tief in eurem Innern sehnt ihr euch nach einem kaltherzigen Republikaner, der die Steuern senkt, Verbrecher brutalisiert und euch regiert wie ein König.“

Dem Simpsons-Erfinder Matt Groening ist es gelungen, ganz Amerika in eine Kleinstadt zu zwängen. Mit all seinen Widersprüchen und Vorteilen. So findet sich am Ende fast jeder auch in der Serie wieder. Diese Mischung aus massentauglicher Familienunterhaltung und feinen Spitzen gegen die herrschenden Mißstände sind das Erfolgsrezept. Dazu kommen häufige Gastauftritte von Prominenten, etwa Bill Clinton oder Lady Gaga, deren Erscheinen in zahlreiche Anspielungen auf die Popkultur eingebettet wird. So sind die Simpsons am Ende selbst zum Kult geworden, deren Ende nicht in Sicht ist.

Die Lockerheit, die Selbstironie, dieser zu Herzen gehende Humor. Warum die Simpsons eine so außergewöhnliche Anziehungskraft auf Groß und Klein haben, läßt sich im Grunde mit einer einzigen Frage beantworten: Wie sähe die Serie wohl aus, wenn sie von einem deutschen Sender produziert werden würde?

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