© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Waffendienst mit der Feder
Dichter im Ersten Weltkrieg: Die Schriftsteller Richard Dehmel, Klabund und Ernst Lissauer stehen stellvertretend für die poetische Mobilmachung auf deutscher Seite / Teil 1 einer JF-Serie
Felix Dirsch

Die Reaktion der meisten Schriftsteller zu Beginn des Ersten Weltkrieges hat manche Zeitgenossen überrascht. Nicht nur der Pazifist Wilhelm Herzog war darüber irritiert, daß viele der ausdrücklichen Friedensfreunde und Kritiker des „preußischen Militarismus“ von ihren Vorstellungen vor 1914 nichts mehr wissen wollten. Der größte Teil der als Querulanten verschrienen Intellektuellen sah sich nach der vielzitierten Rede Kaiser Wilhelms II.

als Teil der „Volksgemeinschaft“, die sich in dem Bewußtsein bildete, nur mittels Einheit könne das eigene Land gegen eine „Welt von Feinden“ (Wilhelm II.) bestehen.

Dennoch: Der nationale Aufbruch der Literaten kündigte sich bereits vor dem ersten Schuß in der Sehnsucht nach dem Großen, Hehren, Diskontinuierlichen, Außergewöhnlichen an. Überall vernahm man Normalitätsüberdruß und Ekel vor der allgemeinen Zufriedenheit insbesondere des Besitz- und Bildungsbürgertums. Der Schriftsteller und Lyriker Georg Heym brachte dieses Gefühl auf den Punkt: „Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen wollte, was nicht diesen faden Geschmack von Alltäglichkeit hinterläßt (…) Dieser Frieden ist so faul ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln“. Die Erlösung von der Öde folgte bald.

Zu den nicht wenigen Dichtern, die gegenüber ihren Vorkriegsansichten nicht wiederzuerkennen waren, gehörte das „seelische Flammenwunder“ Richard Dehmel, einer der bekanntesten Lyriker um die Jahrhundertwende. Aus der Mark Brandenburg stammend, zog er noch als bereits 51jähriger, jenseits aller Verpflichtung, die Uniform an, was etlichen Zeitungen einen Bericht wert war. Sein Vorkriegswerk, das zwischen „romantischer Sentimentalität und expressivem Pathos“ (Kindlers Neues Literaturlexikon) schwankt, rief vor allem deshalb Widerspruch hervor, weil es allzusehr auf sexuelle Lüste und individualistischen Lebensgenuß fixiert ist („Ich will ergründen alle Lust, / so tief ich dürsten kann; / ich will sie aus der ganzen Welt / schöpfen, und stürb’ ich dran.“) Manches an der Kulturkritik des expliziten „Antibürgers“ erinnert an Nietzsche.

Aufgrund eines Aderleidens schied Dehmel, der wegen seiner Tapferkeit zum Leutnant befördert und für seinen Einsatz mehrfach ausgezeichnet wurde, als kriegsuntauglich vorzeitig aus und arbeitete im weiteren Verlauf des Krieges als Propagandist hinter den Frontlinien. Aufsehen erregte eine öffentliche Rede im Januar 1916, die in der Feststellung gipfelte, ein „mit dem Tode bezahlter Sieg“ sei würdiger als „ein erbettelter Friede“.

Von seinen während des Krieges veröffentlichten Texten ist besonders die poetische Sammlung „Kriegs-Brevier“ (1917) zu erwähnen. Daß die Gedichte einen patriotischen Überschwang erkennen lassen („Deutschland, du mein heiliges Vaterland“), kann kaum überraschen. Indessen geht ein religiös konnotiertes Gedicht besonders unter die Haut: „Der Entkreuzigte“. Es thematisiert ein von Granaten gefälltes Kreuz, das gerade in zerstörtem Zustand die Gestalt des Gottessohnes um so eindrucksvoller hervortreten läßt.

Der Anfang Februar 1920 an den Folgen seiner Erkrankung verstorbene Dehmel blieb eine gewisse Zeit im kollektiven Gedächtnis präsent. 1928 nahm ihn Ernst Jünger in den von ihm herausgegebenen Sammelband „Die Unvergessenen“ auf, der an prominente Opfer des großen Ringens (beispielsweise August Macke, Hermann Löns und Franz Marc) erinnert. Doch so mancher „Unvergessene“ verlor schnell seine Bekanntheit.

Klabunds Gedichte riefen Widerspruch hervor

Der 1890 geborene Lyriker, Roman-autor und Dramatiker Alfred Henschke, populär geworden unter dem Namen Klabund, war eine Generation jünger als Dehmel, ist jedoch in mancherlei Hinsicht mit ihm vergleichbar. Er wirkte ebenfalls als sozialkritischer, expressionistischer Bürgerschreck. Seine Gedichte („Es hat ein Gott mich ausgekotzt, / Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck, / Und komm und komme nicht vom Fleck“) beschäftigten mitunter nicht nur Gerichte, sondern riefen auch im Lager der politischen Rechten heftigen Widerspruch hervor. Erst recht verfemten ihn die Nationalsozialisten.

Klabunds unstet-hastiger Wesenszug und seine unfertige Arbeitsweise, die eine Zuordnung seines Stils schwer machen, hängen eng mit einer ernsten Krankheit zusammen, die ihn begleitete und Mitte August 1928 zum frühen Tod führte, aber auch mit dem Ableben seiner ersten Frau im Kindbett. Daher auch das Pseudonym als Mischform von Klabautermann und Vagabund. Ab 1917 zeigte er eine entschieden pazifistische Einstellung. Im gleichen Jahr forderte er den Kaiser zum Rücktritt auf. Nach dem Krieg mußte er sich für seine anfängliche Euphorie rechtfertigen.

Vor allem Kriegsgesänge und Soldatenlieder, die auf Feldpostkarten weite Verbreitung fanden, stammten aus der Feder des Kriegsfreiwilligen, der aufgrund seines Lungenleidens gar nicht hätte einrücken dürfen. Dabei zählt Henschkes Kriegslyrik eher zu den (verglichen mit anderen) schwächeren Teilen seines Gesamtwerkes. Wenig erbaulich war es, wenn der enorm produktive Schreiber sich von dem damals bekannten Maienlied „Frühling, Frühling wird’s überall“ zu dem Refrain eines Schlachtgedichts „Tiger, Tiger brüllt übers Feld“ inspirieren ließ.

Auch die Soldatenlieder legen an mehreren Stellen zuviel Volkstümliches und Rüdes an den Tag. Manche Derbheit stieß damalige Leser ebenso ab wie sie heutige pikiert. Klabunds Bedeutung als Dichter wird in toto durch diese Einstufung nicht gemindert.

Lissauers „Haßgesang gegen England“

Als deutschester aller jüdischen Autoren wollte Ernst Lissauer gelten. Er entstammte einer assimilierten Fabrikantenfamilie. Bereits seine ersten lyrischen Arbeiten („Der Acker“, „Der Strom“) lassen einen antizivilisatorischen Impetus erkennen. Natur und Gott sind darin konservative Konstanten, die die Weltsicht des Verfassers verdeutlichen.

Berüchtigt wurde sein mit starken Affekten durchsetzter „Haßgesang gegen England“: „Dich werden wir hassen mit langem Haß, / Wir werden nicht lassen von unserem Haß …“ Nicht zuletzt für diese Dichtung erhielt er – wie andere patriotische Literaten für ihre Leistungen (Walter Flex, Gerhart Hauptmann, Rudolf Alexander Schröder) – den Roten Adlerorden verliehen.

Doch gerade die Formulierungen dieser Dichtung erwiesen sich als kontraproduktiv. Um derartige Überspitzungen für ihre Zwecke ausnutzen zu können, ließen die Engländer die Verse nachdrucken.

Er plädierte für eine starke Führergestalt

Lissauer diente als Landsturmmann. Am Ende des Krieges plädierte er für eine starke Führergestalt, die den Wiederaufstieg des Landes einleiten sollte. Hindenburg schien dafür wie geschaffen. Einige Zeilen in „Um Deutschland“ deuten eine solche Vision an. Nach 1918 versuchte er sich allerdings schrittweise von seinem offensichtlich selbst als zu hurrapatriotisch empfundenen Engagement im Krieg zu distanzieren. Als Zeichen dieser Wandlung kehrte er wieder zu naturlyrischer Betrachtungsweise zurück.

Dennoch kann Ernst Lissauer als Antipode zu jüdisch-internationalistischen Bestrebungen betrachtet werden, wie sie etwa von dem sozialdemokratischen Vordenker Eduard Bernstein gefördert wurden. Wer die Kontinuität seines Schaffens im Auge behält, wird seine dezidiert vaterländische Haltung in der großen weltgeschichtlichen Auseinandersetzung nicht nur als Resultat des Loyalitätsdrucks begreifen, dem Juden oft ausgesetzt waren, sondern als Ausdruck tiefer innerer Überzeugung bewerten.

Die zweite Folge in der kommenden JF-Ausgabe 52/14–1/15 widmet sich den Schriftstellern Heinrich Lersch, Ernst Thrasolt und Ina Seidel.

Foto: Richard Dehmel als Soldat im Ersten Weltkrieg: Als 51jähriger meldete er sich freiwillig zum Militäreinsatz

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