© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die Nazi-Vorwürfe gegen Helmut Schmidt, die zuerst vom Spiegel aufgegriffen und von Bild etwas abgeschwächt weitergegeben wurden, haben ihre Basis offenbar in dessen Bekenntnis, trotz des elterlichen Einspruchs und des jüdischen Großvaters gerne HJ-Mitglied geworden zu sein, Gefallen an der Verknüpfung von nationaler und sozialer Idee gefunden und sich geschämt zu haben, wenn er im Krieg nicht Soldat geworden wäre. Keines dieser Fakten ist wirklich neu und die sensationelle Aufmachung offenbar ein Versuch des Piper-Verlags, ein neues Buch über Schmidt zu lancieren. Aber vielleicht darf man den symptomatischen Wert des Vorgangs auch nicht unterschätzen. Als in den 1980er Jahren eine andere Ikone der alten Bundesrepublik – Martin Niemöller – bekannte, er sei schon vor 1933 für die NSDAP eingetreten, war das sowenig Grund für ein Scherbengericht wie das Geständnis, er habe sich vor Gericht damit verteidigt, zwar öffentlich für Juden eingetreten zu sein, ohne deshalb Sympathie für diese „Rasse“ zu empfinden, und er – der hochdekorierte U-Boot-Kommandant des Ersten Weltkriegs, den man ins KZ gesteckt hatte – wäre 1939 selbstverständlich zum Dienst für das Vaterland bereit gewesen, auch als einfacher Matrose. Man kann auch an der gewandelten Einstellung erkennen, daß es nichts ist mit „Historisierung“ der NS-Zeit, mehr noch, daß hier perpetuiert wird, was Konrad Lorenz sprachlich unschön, aber treffend als „Verbösung“ der Vergangenheit bezeichnet hat.

„Die gegenwärtige Unordnung kann man keineswegs etwa mit jener vergleichen, die die Welt nach dem Sturz des Römerreiches verheerte. Wir erleben nicht das natürliche Sterben einer großen menschlichen Kultur, sondern die Geburt einer unmenschlichen Kultur, die sich nur auf dem Wege über eine weithinreichende, maßlose, allgemeine Sterilisierung der hohen Lebenswerte errichten läßt.“ (Georges Bernanos)

In einem Punkt gleichen sich die Herrschenden aller Zeiten aller politischen Ordnung: Sie sind überzeugt, daß die Leute nicht wissen, was gut für sie ist.

Tatort, ARD, 30. November: Eine Frau mit syrischem Migrationshintergrund lockt den Assad-Schergen, der ihren Vater vergiftet hat, durch Kontakte in der syrischen Community nach Deutschland und dingt einen Mann mit syrischem Migrationshintergrund als Mörder. Der erweist sich als unfähig, die Tat auszuführen und wird seinerseits mit zwei übergroßen Apfelstücken ums Leben gebracht. In einer Nebenhandlung geht es noch um humanitären Menschenhandel und humanitäre Urkundenfälschung durch einen Mann mit syrischem Migrationshintergrund und eine weitere Frau mit syrischem Migrationshintergrund, die aus Angst vor Entdeckung beim illegalen Grenzübertritt ihr Kleinkind erstickt hat. Dessen älterer Bruder, also ein Knabe mit syrischem Migrationshintergrund, versucht zum Schluß barfuß ein Fahrrad zu stehlen, läßt sein Stofftier zurück, wird aber vom ermittelnden Kommissar erwischt, der verspricht, ihm ein anderes zu besorgen. Die eigentliche Schlüsselszene dürfte aber die gewesen sein, als der Sohn des gescheiterten Mörders mit syrischem Migrationshintergrund zu der ermittelnden Kommissarin sagt, daß er Deutscher wie sie auch sei, und die Kamera das beredte Schweigen und den unbewegten Gesichtsausdruck des nordisch-blonden Langschädels festhält. Das alles zeigt, wo man hinkommt, wenn es der Zensur an Sensibilität fehlt.

Man sollte seine Aufmerksamkeit in bezug auf die Sprachdiktatur des Feminismus nicht nur auf das Offensichtliche lenken. Interessanter ist doch, daß keinem Lektor mehr auffällt, wenn dem „Mädchen“ wie dem „Weibchen“ als Pronomen „sie“ zugeordnet wird. Das Subkutane ist immer das Wirksamere in solchen Prozessen der Gehirnwäsche.

Endlich ein Schritt in Richtung auf konsequente Gleichberechtigung: Norwegen führt die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen ein. Oder vielleicht doch nicht: Rekrutinnen muslimischen Glaubens wird das Tragen des Kopftuchs im Dienst erlaubt.

„Es ist eine Gnade des Schicksals beim Einzelmenschen, daß er vergessen kann. Wie könnten wir als einzelne leben, wenn all das, was uns an Leid, Enttäuschungen und Trauer im Leben begegnet ist, uns immer gegenwärtig sein würde. Und auch für die Völker ist es eine Gnade, vergessen zu können.“ (Theodor Heuss nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 12. September 1949)

Bildungsbericht in loser Folge

LXVII: Die beiden europäischen Länder, die sich dem Ideal des „college for all“ am weitesten angenähert haben – Frankreich und Spanien –, verzeichnen nicht nur die höchste Jugendarbeitslosigkeit, sondern auch den geringsten Einkommensabstand zwischen Akademikern und Nichtakademikern.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 2. Januar in der JF-Ausgabe 2/15.

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