© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Einen schlechten Ruf erworben
Erbitterte Freundschaft: Die Leipziger Ausstellung „Unter Druck!“ beleuchtet das Spannungsverhältnis von Medien und Politik seit 1945
Christian Dorn

Information ist das einzige, das mehr wird, wenn man es teilt.“ Das beiläufige Fazit des Satirikers Bernd Zeller – in seinem Online-Medium Zeller Zeitung vom 7. Dezember 2014 – weist zugleich auf den entscheidenden Paradigmenwechsel des Medienbetriebs. Begreift doch das mediale Tagesgeschäft heute zwangsläufig weniger die Beschaffung von Informationen, sondern deren Bewältigung als seine Hauptaufgabe.

Dennoch bleibt erstere eine heikle Angelegenheit. Der Anruf des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff auf der Mailbox des Mobiltelefons von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ist ein solches Exempel – und Exemplar: Denn in der Schau „Unter Druck! Medien und Politik“, die das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig vergangene Woche eröffnete, ist nicht nur das kaputte Blackberry-Gerät Diekmanns hinter Glas aufgebahrt wie eine Reliquie der medialen Neuzeit, darunter sind die abhörsicheren Kopfhörer, über die der Besucher erstmals den minutenlangen, inhaltlich redundanten Anruf des Bundespräsidenten im Originalton hören kann. Dessen vielleicht berüchtigtster Satz, demzufolge „der Rubikon überschritten“ sei, offenbarte dabei den endgültigen Verlust an Selbstkontrolle – war es doch gerade diese Drohung Wulffs, die den von ihm beklagten Vorgang erst manifestierte.

„Eine Gefährdung der Pressefreiheit“ sei diese Eskapade allerdings nicht gewesen, betonte SWR-Gründungsintendant Peter Voß anläßlich der Ausstellungseröffnung. Dabei will die Schau nichts Geringeres, als die Rolle der Medien in Deutschland seit 1945 zu beleuchten. Deren zuweilen symbiotisches Verhältnis zur Politik charakterisierte Voß als „erbitterte Freundschaft“. Beide hätten sich einen derart schlechten Ruf erworben, daß sie heute auf der Skala ganz unten, knapp über der Prostitution rangierten. Dies habe auch mit dem föderalen System Deutschlands zu tun, das faktisch einen Dauerwahlkampf hervorbringe. Zudem mutiere der heutige Journalismus immer häufiger zu einem „renditeorientierten Kapitalunternehmen“, das dem genuinen Verlegerverständnis zuwiderlaufe. Auch sei immer häufiger zu beobachten, wie Journalisten sich – einen alten Witz zitierend – ihre „gute Geschichte“ nicht mehr durch Recherche kaputtmachten. Befördert werde dies durch ein „immer schneller und komplexer“ werdendes Geschehen. Er kenne keinen, so Voß beispielhaft, der etwa „den Vertrag von Nizza gelesen, geschweige denn verstanden hat“, und konstatierte den Vertrauensverlust gegenüber der Politik mit der Frage: „Wer weiß überhaupt noch, worüber er abstimmt?“

Doch im Unterschied zu den Politikern hat der Besucher die Wahl, zumindest hier zwischen den mehr als 900 Objekten. So präsentiert die kurzweilige neue Wechselausstellung eine Wand mit großem Bildschirm, vor dem die Besucher auf zwei Buzzern mit „Ja“ oder „Nein“ abstimmen können über die Frage, ob politische Talkshows die politische Meinungsbildung befördern. Der betreffende Raum befindet sich etwa in der Mitte der Schau, die einerseits chronologisch gegliedert ist, andererseits mit thematischen Einzelrubriken aufwartet. Diese stellen bestimmte Phänomene exemplarisch vor, etwa die 1971 von Alice Schwarzer und der Zeitschrift Stern gestartete Kampagne „Wir haben abgetrieben“ oder die apokalyptischen Visionen zum „Waldsterben“, für die paradigmatisch das Spiegel-Titelbild von 1981 steht.

Hetzkampagne gegen Alexander von Stahl

Die hier mit medialer Macht sich ausbreitende „Hysterie“, für die vor allem die drei „Leitmedien“ Spiegel, Stern und Die Zeit verantwortlich zeichneten, reflektiert der Journalist Ernst Elitz im begleitenden Ausstellungatalog mit vielen namhaften Beiträgern, der dem Besucher unbedingt zu empfehlen ist, gewissermaßen als zweite Seite der Münze. Sind hier doch die kritischen Anmerkungen zur unrühmlichen Rolle der Presse zu finden, für die in der Schau selbst kein Platz ist. Besonders hervorzuheben in dem Band ist der brillante Exkurs des Publizisten Wolfram Weimer über die „Medien als Diener des Zeitgeists“, der zugleich eine treffliche Philippika ist, zum Beispiel mit Blick auf die mediale Mode der „Liquid Demoracy“, der Weimer mit dem Zivilisationskritiker Oswald Spengler begegnet: „Die Masse ist am Ende das radikale Nichts.“

Während hier, wie auch bei Elitz, das Scheitern der „Vierten Gewalt“ als Magd oder gar Hure des Zeitgeists aufscheint, vergessen beide in ihren Beispielen die fragwürdige Beziehung zwischen Politik und Journalisten im Zuge der Euro-Einführung, wie sie etwa der Publizist Udo Ulfkotte in seinem Werk „Raus aus dem Euro, rein in den Knast“ minutiös nachgezeichnet hat. Eine weitere Leerstelle in diesem Sinne ist die Entstehung der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT als publizistisches Gegengewicht, während der taz als Beispiel linker Gegenöffentlichkeit in der Exposition eine Schautafel gewidmet ist. Insofern wäre wohl auch an Thilo Sarrazins Werk „Der neue Tugendterror“ über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland hinzuweisen gewesen. Wie eine unfreiwillige Ironie wirken da die in der Ausstellung präsentierten Ausweise des LVZ-Korrespondenten Dieter Wonka von der Bundespressekonferenz, der nicht nur als lebhaftester Fragesteller dieser Institution gilt, sondern auch in unsolidarischer Weise versucht hatte, die Aufnahme des JF-Politikredakteurs in den Verband zu verhindern.

Doch diese Kritik soll den Wert der Ausstellung nicht in Frage stellen. Beispielsweise beim Thema „investigativer“ Journalismus, das plakativ mit Titelbildern vom Skandal „Neue Heimat“ und zur „Flick-Affäre“ illustriert wird. Daneben hängt – zur Causa Bad Kleinen, der blutig endenden Festnahme der RAF-Terroristen Hogefeld und Grams Ende Juni 1993 – das Porträt des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl, in der Hand die Spiegel-Nummer, die ausschlaggebend wurde für dessen Entlassung durch die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Das Ölgemälde der Künstlerin Karoline Koeppel gilt der Projektleiterin Anne Martin als beispielhaft für einen „investigativen“ Journalismus, der nichts anderes war als eine Hetzkampagne, für die hier vor allem mit Hans Leyendecker einer der prominentesten Vertreter des investigativen Journalismus in Deutschland steht. Lesenswert im Katalog ist daher das Gespräch mit Alexander von Stahl, in dem dieser auch daran erinnert, daß nach einer Umfrage aus den neunziger Jahren bereits damals etwa 70 Prozent der Journalisten sich auf der linken Seite des politischen Spektrums verorteten.

Die Ausstellung „Unter Druck! Medien und Politik“ ist bis zum 9. August 2015 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Str. 6, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 10 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 22 20-0 www.hdg.de/leipzig/

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