© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Jederzeit kann der Terror ausbrechen
Islamischer Fundamentalismus: Ein Film zeigt den Einfluß von Gotteskriegern auf den Alltag von Menschen im malischen Timbuktu
Claus-M. Wolfschlag

Nicht erst seit dem Vorrücken der IS-Miliz in Syrien und im Irak ist die Präsenz islamistischer und salafistischer Gruppierungen ein öffentlich diskutiertes Thema geworden. So liest man viel über die Taliban in Afghanistan, Boko Haram im Norden Nigerias oder die al-Shabaab-Mudschaheddin in Somalia. Nun hat sich der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako des Themas in einem Spielfilm angenommen.

Der Film spielt 2012, als Teile des nördlichen Mali um die Stadt Timbuktu in die Hände der „Ansar Dine“-Rebellen und der Gruppierung „al-Qaida im Maghreb“ fielen und dort ein strenges islamistisches Regiment errichtet wurde. Erst ein knappes Jahr danach konnten französische und malische Regierungstruppen die Region wieder unter ihre Kontrolle bringen.

Die Haupthandlung des Films dreht sich um den Viehzüchter Kidane, der mit seiner Frau Satima, seiner Tochter Toya und dem zwölfjährigen Hirtenjungen Issan in den Sanddünen unweit der Stadt Timbuktu lebt, die in die Hände islamischer Fundamentalisten gefallen ist. Die Nachbarn haben sich schon fortbewegt, doch Kidane denkt nicht an Wegzug. Dann gerät er in Konflikt mit einem unweit lebenden Fischer und der Scharia-Justiz.

Salafisten herrschen mit Verboten und Strafen

Deutlich zeigt „Timbuktu“, daß die salafistische Herrschaft vor allem eine der Restriktionen ist. Der religiöse und moralisch tugendhafte Mensch soll durch Verbote und drakonische Strafen herbeigeführt werden. Auch steht die ebenfalls muslimische Bevölkerung der salafistischen Herrschaft teils reserviert gegenüber, doch bleiben den Beherrschten nur kleine Freiheiten, die allerdings bereits eine Form der passiven Opposition darstellen. Hier wäscht eine Frau ihr Haar und entgegnet der Aufforderung eines Milizionärs, dieses zu bedecken, mit der kecken Antwort, daß er einfach nicht hinschauen solle. Dort spielen Jugendliche pantomimisch Fußball ohne Ball, was die herbeieilende Scharia-Polizei irritiert wieder abziehen läßt.

Die Figuren sind realistisch gezeichnet, keinesfalls in übertriebenen Gut-Böse-Schemata des amerikanischen Kinos. Auch die Salafisten haben ein Gesicht und oft eine menschliche Seite.

Auf diese Weise betont Sissako aber auch die Widersprüche und Zwänge innerhalb der salafistischen Herrschaft. Ein Salafist raucht heimlich und wird dabei von seinem Kollegen gedeckt. Junge Milizionäre unterhalten sich angeregt über die Erfolge internationaler Fußballclubs, während zugleich das Fußballspiel im Stadtgebiet per Dekret verboten wird. Ein Scharia-Polizist spürt nachts verbotenen musikalischen Klängen nach, die durch ein Stadtquartier hallen. Als er die Quelle ausfindig gemacht hat, fragt er bei seinem Vorgesetzten nach, ob der Verursacher wirklich verhaftet werden soll, handle es sich doch offenbar um Lobgesänge auf Allah. Ein junger Milizionär und ehemaliger Rapper vermag es nicht, vor der Kamera seine Teilnahme am Dschihad zu begründen.

Einerseits werden junge Leute, die sich heimlich zu einer kleinen Party treffen, gnadenlos abgeurteilt. Andererseits bleibt eine verschrobene französisch sprechende Frau, irgendwo zwischen animistischer Künstlerin und Voodoo-Priesterin stehend, die in bunte Gewänder gehüllt die Milizen auf offener Straße verhöhnt, unbehelligt. Möglichenfalls, weil sie einige Milizionäre mit halluzinogenen Drogen versorgt? Unbehelligt kann auch ein älterer Fürsprecher der Bevölkerung offen Kritik am salafistischen Weg zu Allah äußern. Die Szenerie ist also vielschichtig, aber zugleich schwebt die Wolke der Unberechenbarkeit über der Stadt. Jederzeit kann es zum Ausbruch des Terrors kommen.

Regisseur Sissako zeigt zudem die ethnischen Differenzen und Konflikte der Region, was allerdings vorrangig mit der Materie vertrauten Zuschauern auffallen wird. Die Salafisten sprechen Arabisch im Gegensatz zur vorherrschenden Tuareg-Bevölkerung der Region, die sich in Tamascheq verständigt. Verständnislos fragt Kidane einen Tuareg-Volksgenossen, der sich den arabischen Salafisten als Dolmetscher angeschlossen hat, in Tamascheq, was er mit diesen Leuten eigentlich zu tun habe. Er deutet damit an, daß er in den Salafisten fremd-ethnische Besatzer sieht. Zugleich steht der Tuareg und Viehzüchter Kidane im Konflikt mit einem Nachbarn, der dem westafrikanischen Bozo-Stamm angehören dürfte, der traditionell vom Fischfang am Niger-Fluß lebt.

Ein nicht verheiratetes Paar wurde zu Tode gesteinigt

Sissako präsentiert somit einen Film, der sich fern der Sehgewohnheiten von Hollywood-Filmen bewegt. Die Mischung gelingt. Die Bildeinstellungen sind wohltuend ruhig, ohne deshalb langweilig zu werden. Die Geschichte ist tendenziell handlungsarm, ohne deshalb an Spannung zu verlieren. Man spürt, daß der Regisseur durch seine kulturelle Herkunft ganz nah am Geschehen ist. Das unterscheidet „Timbuktu“ im Ergebnis beispielsweise von einem Film wie dem vor zehn Jahren erschienenen „Hotel Ruanda“ des irischen Regisseurs Terry George, der das Massaker von 1994 an der ruandischen Tutsi-Bevölkerung bewegend darstellte.

„Timbuktu“ ist dagegen weit weniger auf den Plot konzentriert, der auch eine relativ schlichte Geschichte erzählt. Statt dessen entfernt er sich immer wieder von der Hauptgeschichte gleitet in kurze Nebenschilderungen ab, die aber dadurch die Restriktionen durch die salafistische Herrschaft um so anschaulicher werden lassen.

Man sieht, ohne daß dies gewaltpornographisch in Szene gesetzt würde, die allgegenwärtige Scharia-Polizei, die Tribunale, eine Auspeitschung, eine Steinigung. Letztere stellt wohl einen Vorgang in der Kleinstadt Aguelhok dar, den Regisseur Sissako als „ein unsägliches Verbrechen (…), das von den Medien und somit dem Rest der Welt einfach ignoriert wurde“, bezeichnete: „Ein Paar in den Dreißigern, das mit zwei Kindern gesegnet war, wurde zu Tode gesteinigt. Ihr Verbrechen: Sie waren nicht verheiratet. Die Szenen ihres Sterbens, die von ihren Folterern online gepostet wurden, sind grauenvoll. (…) Aguelhok ist nicht Damaskus oder Teheran. Deshalb wird nichts darüber berichtet. Was ich niederschreibe, ist unerträglich, ich weiß. Ich versuche keineswegs, über Schockgefühle einen Film zu promoten. Jetzt, wo ich davon weiß, muß ich in der Hoffnung darauf davon erzählen, daß nie wieder ein Kind später erfahren muß, daß seine Eltern sterben mußten, weil sie sich liebten.“

www.trigon-film.org/

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