© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/14 / 12. Dezember 2014

Reise in die Vergangenheit
Dalmatinische Geisterbeschwörung: Regina Schillings Dokumentarfilm „Titos Brille“ über die Familie der Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras
Sebastian Hennig

Vor drei Jahren veröffentlichte die aus Zagreb stammende Schauspielerin, Theaterregisseurin und Autorin Adriana Altaras ihr autobiographisches Erfolgsbuch „Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“. Eine Astrologin hat ihr geraten, sich den Orten ihrer Familiengeschichte anzunähern, um Distanz zu gewinnen. Die Dokumentarfilmerin Regina Schilling begleitete Adriana Altaras auf dieser Erkundungsreise; ihr Film läuft jetzt in den Kinos an.

Für die unruhigen Geister der Familie verwendet Adriana Altaras den hebräischen Ausdruck Dibbuk. Ihre Eltern stammen aus jüdisch-kroatischen Familien. Im Krieg wurden sie erst zu Verfolgten der Nationalsozialisten, dann mit der Partisanenarmee zu Siegern, am Schluß jedoch zu Emigranten. Nach dem Krieg gehörten die Architektin und der Arzt zur staatstragenden kommunistischen Elite.

1964 siedeln die Eltern zunächst in die Schweiz über, zwei Jahre später gehen sie nach Deutschland. Adriana wird unterdessen am Gardasee in die Obhut der antikommunistischen Tante gegeben. In Gießen kommt die Familie wieder zusammen. Adriana besucht ein Waldorf-Internat. An der Hochschule der Künste Berlin absolviert sie ein Schauspielstudium. Ihre Eltern entdeckt sie eigentlich erst postum in ihren Hinterlassenschaften.

Zur Geisterbeschwörung gehört auch etwas Mummenschanz. Mehrmals posiert die Erbin der Relikte, Erinnerungen und Mythen in der viel zu großen Uniform ihres Vaters mit allen Ehrenzeichen. Es ist ihre Geschichte. Und es ist zu bemerken, wie sie diese teils beängstigend umfängt, oft genug aber auch auf das Ungewöhnliche daran stolz vor sich her trägt.

Die Tante erinnert sich ohne Verklärung

Die Selbststilisierung ist der Leitfaden für Reise und Film. Sie hat in ironischer Brechung die Attitüde direkt von den Eltern übernommen. In alten Super-8-Filmen und Diapositiven flattern die Gespenster der Verstorbenen immer wieder vorüber. Die treue Sekretärin des Vaters an der Klinik in Gießen berichtet davon, wie die Altaras sich zu ihren Wurzeln durchgegraben haben. Die Tochter bestätigt aus eigener Wahrnehmung: „Sie wurden zunehmend jüdischer, eigentlich stündlich.“ In Gießen gründen sie schließlich eine jüdische Gemeinde und bauen eine Synagoge.

Diese Familie ist ein Leitfossil einer Epoche, die bereits weit zurückliegt. Früher war davon kaum die Rede. Heute, wo Adriana Altaras in Berlin wohnt, werden die Orte der Vergangenheit zunehmend sagenhaft. Sie sagt: „Ich finde die Deutschen machen die Vergangenheitsbewältigung gut. Fast so gut wie Autos bauen. Der Mercedes von meinem Vater fährt nun schon 35 Jahre.“

In besagter Limousine besucht sie Gießen, Zagreb, Split, Titos Villa in Bled, die neunzigjährige Tante Jele am Gardasee und die Insel Rab mit dem Lager, in dem ihre Mutter und Tante interniert waren und von Partisanen befreit wurden. Die Tante erinnert sich daran ohne Verklärung: „Die Kommunisten kamen hereinspaziert und wühlten in unseren Koffern.“

Nach der Reise hat sich für die heute 54jährige Adriana Altaras das Verhältnis zum Ballast der Geschichte weiter entspannt. So meint sie zuletzt: „Wer zuviel wegwirft, ist ein Faschist.“ Also werden die alten Koffer aus Zagreb mit den Schmalfilmen, Uniformen, Urkunden, Fotos und Arztkitteln des Vaters weiter bewahrt. Tante Jele hat gesagt: „Die Vergangenheit ist jetzt.“

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