© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Die Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht
Große Koalition: In Berlin wachsen zum Jahresende die Spannungen zwischen Union und SPD
Paul Rosen

Weihnachtlicher Friede will in der Großen Koalition nicht mehr aufkommen. Zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) herrscht Rosenkrieg. Noch ist das Tischtuch nicht zerschnitten. Aber das kann ganz schnell passieren. Hatte Merkel der SPD wegen der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen eine „Bankrotterklärung“ bescheinigt, so attestierte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann der CDU „Schrumpfgröße“, weil sie nur noch in vier Ländern den Regierungschef stellt. Gabriel selbst spottete über die auf dem CDU-Parteitag von Merkel vorgetragenen Attacken auf die SPD: Er gönne der Union den Parteitagskarneval in Köln.

Merkel ahnt, daß das Ende schnell kommen könnte

Die Lage ist relativ einfach zu beschreiben. Die rot-rot grüne Kampfformation hat in Thüringen der CDU eine wichtige Landesregierung abgenommen. Das hat dem Lager der nach eigenem Verständnis fortschrittlichen Kräfte starken Auftrieb gegeben. Thüringen ist die Blaupause für den Bund. Die Mehrheit der Mandate wäre jetzt schon da.

Zwar ist es nicht so einfach, ein Regierungsbündnis zu verlassen, aber intern bereitet die SPD alles vor. Öffentlich wird der Ton schärfer, indem sich Gabriel über „SPD-Bashing“ des Koalitionspartners beschwert. Die Große Koalition hat in einem Jahr 80 Prozent ihres Pensums abgearbeitet. Dabei haben sich die Sozialdemokraten mit Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rente mit 63, Frauenquote in Aufsichtsräten und einem völlig liberalisierten Zuwanderungsrecht alle Wünsche erfüllt, während die CDU gerade mal das Betreuungsgeld und die schwarze Haushaltsnull für sich reklamieren kann, beides keine Wahlkampfbrüller. Wenn nicht eine internationale Entwicklung kommt, bei der sich Merkel als eiserne Lady wie damals Margaret Thatcher im Falklandkrieg profilieren kann, wird die CDU dem Regierungstreiben bald von den harten Bänken der Opposition aus zuschauen. Die Große Koalition hat ihre Schuldigkeit getan, sie kann beendet werden.

Oppermann hat recht: Der Übernahme der Regierungsgewalt im Bund geht der Gewinn der Länder voraus. Wenn dieses alte politische Gesetz der Bundesrepublik noch gilt, dann sind Merkels Tage als Kanzlerin gezählt. Die meisten Sozialdemokraten lauern doch nur darauf, die ungeliebte „Groko“ zu verlassen und mit Grünen und Linken an den Umbau der Republik zu gehen.

In den vergangenen Tagen goß der unter Kinderpornoverdacht stehende Ex-SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy vor seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuß an diesem Donnerstag zusätzlich Öl ins Feuer, indem er einen Parteifreund belastete, ihn vor den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gewarnt zu haben. Wegen der Plauderei mit der SPD-Führung über den Fall Edathy verlor die Union den Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Die SPD-Führung kam ungeschoren davon, obwohl sie versucht haben soll, Ermittlungen zu beeinflussen. Wenn die Version von Edathy stimmt, dann haben führende Sozialdemokraten ihr Wissen über Ermittlungen weitergereicht. In der CDU/CSU wird schon gefragt, ob man die SPD mit einem Bauernopfer davonkommen lassen kann, indem alle Verantwortung auf den wegen eines Rauschgiftdelikts ohnehin angeschlagenen Abgeordneten Michael Hartmann abgeladen wird. Die Edathy-Affäre könnte der Sprengstoff sein, der die ganze Koalition auseinanderfliegen läßt.

Merkel ahnt, daß das Ende schnell kommen könnte. Wohl deshalb beschwor sie in Köln die alten Zeiten mit der FDP, was die SPD noch mehr auf die Palme brachte. Und sie beginnt Fehler zu machen, indem sie die jüngste Demonstration friedlicher Bürger in Dresden mit 15.000 Teilnehmern in drastischen Worten verurteilte: „Es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.“

Die bleierne CDU scheint nicht mehr in der Lage, eine sich ändernde Stimmung auf ihre Mühlen umzuleiten. Merkel wirkt, als würde ihr Karren tief im Dreck festsitzen. Die Ratschläge aus Bayern helfen auch nicht weiter. Früher war auf die CSU Verlaß. Sie band die konservativen und rechten Wähler an sich. Die wählten sogar CDU, da die CSU außerhalb Bayerns nicht zur Wahl stand. Heute führt die von Horst Seehofer mehr schlecht als recht zusammengehaltene Partei nur noch Kasperletheater auf.

Die heutige CDU wird nicht mit der AfD zusammengehen, sollte sich eine solche Koalition rechnerisch anbieten. In dieser Hinsicht bot der Kölner Parteitag eine klare Aussage. Damit isoliert sich die CDU, macht sich von den Grünen abhängig, die ihre einzige Alternative zur Großen Koalition wären. Doch würden nur wenige Grüne einen Versuch mit der CDU wagen wollen.

Merkel hat nur noch wenige Perspektiven. Dazu gehören eine kriegerische Auseinandersetzung oder ein Zusammenbruch des Hauses Europa, was die Deutschen in einem postparteipolitischen Kanzlerstaat zusammenschweißen könnte. Auf der tagespolitischen Ebene hat Merkel schon verloren.

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vize Sigmar Gabriel (SPD): Ungeliebte „Groko“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen