© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

„Wir kommen auf jeden Fall wieder“
Demokratiebewegung in Hongkong: Wie die Jugend der einstigen Kronkolonie um ihr Wahlrecht kämpft
Hinrich Rohbohm

Am vergangenen Montag war es soweit. Causeway Bay ist gefallen. In dem Stadtteil auf Hongkong Island befand sich das letzte prodemokratische Protestcamp, das noch nicht von der Polizei geräumt worden war. Nun entfernten Uniformierte die Reste eines mehr als drei Monate andauernden Widerstandes gegen das kommunistische Regime in Peking, das Hongkongs Bürgern vorschreiben möchte, wen sie in ihrer Stadt zu wählen haben. Ursprünglich sollte die Sieben- Millionen-Metropole ab 2017 frei und demokratisch ihre eigene Regierung bestimmen können. So jedenfalls sieht es die britisch-chinesische Rückgabever-einbarung vor. Die Kommunistische Partei Chinas (KPC) hat jedoch ihre eigene Auslegung.

Natürlich dürfe das Volk ab 2017 wählen, heißt es. Aber: Die Kandidaten dafür würden in einer Vorauswahl von Peking bestimmt. So hat es der Nationale Volkskongreß Chinas Ende August dieses Jahres beschlossen. Und sich damit den Zorn vor allem vieler jüngerer Hongkonger zugezogen.

Bis zu 200.000 Menschen sind auf die Straße gegangen, um für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Sie hatten Zelte aufgebaut, schützten sich mit Regenschirmen gegen die Hitze der Sonne, gegen Niederschläge. Und gegen das von Polizisten gegen sie eingesetzte Pfefferspray und Tränengas. Schnell machte das Schlagwort von der „Regenschirm-Revolution“ die Runde.

„Auch wir werden früher oder später geräumt“, sagt Lucy, eine 23 Jahre alte Studentin der JF. Das war vor zwei Wochen auf Hongkong Island. Zu diesem Zeitpunkt stehen noch Hunderte von Zelten auf dem Asphalt, sind die Straßenbarrikaden noch nicht fortgeschafft, hängen die Plakate und Transparente noch an Brücken und Zeltwänden.

Sie zeigen zumeist Hongkongs Regierungschef Leung Chun-ying. In drastischen Posen. Mal als Vampir, der Stadt den Lebenssaft aussaugend, mal als menschenfressender Wolf. Auch als Pinocchio mit Lügennase und an Fäden hängende Marionette Pekings muß der Politiker und Unternehmer auf Karikaturen herhalten.

Regierungschef zieht den Haß auf sich

Leung Chun-ying, von Hongkongs Bürgern kurz CY genannt, ist neben dem kommunistischen Regime in Peking die zentrale Haßfigur der Demonstranten. Sie vermuten, daß er ein heimliches Mitglied der KPC ist. Ein Verdacht, der durch die ehemalige Kommunistin Florence Leung Mo-han verstärkt wird, die behauptet, CY sei schon früh Mitglied der KPC gewesen, sein politischer Aufstieg in der Stadt von der Partei systematisch gefördert worden. Bei seiner Antrittsrede vor zwei Jahren redete CY als erster Regierungschef Hongkongs auf mandarin, der Sprache des Festlandes. Ein Traditionsbruch. Seine Vorgänger hatten stets auf kantonesisch gesprochen, der in Hongkong üblichen Sprache.

Die Zeitung Renmin Ribao, ein Zentralorgan der KPC, feierte die Wahl von CY vor zwei Jahren mit den Worten, daß nun „Genosse Leung“ die Geschicke der Stadt lenke. „Aber mit Genosse reden sich nur KPC-Mitglieder an“, gibt Lucy zu bedenken. Sie hat wie viele andere ihr blau-orangefarbenes Iglozelt mitten auf der Connaught Road aufgebaut, einer Hauptverkehrsader der Stadt im Regierungsviertel Admiralty. „Auch wir werden früher oder später geräumt“, ist sie sicher, während sie vor ihrem Zelt hockt und sich aus Chips, Schokoladenkeksen, Wasser und kaltem Kaffee aus der Dose ein notdürftiges Frühstück zubereitet. Ein Gericht der Stadt hatte per Anordnung die Räumung der besetzten Straßen verfügt.

„Hongkong hat sich verändert“, sagt Lucy. Die Verwaltung. Die Justiz. Die Polizei. Ein Land, zwei Systeme, hatte es mal geheißen. In der Vergangenheit hatte sich China an das vom einstigen Kommunistenführer Deng Xiaoping ausgegebene Prinzip gehalten. Seit der Finanzkrise von 2008 sei das anders. Der Westen sei schwächer, China stärker geworden. Die Volksrepublik fürchte den Westen nicht mehr, Willkür und Repressionen durch die Polizei würden seitdem zunehmen.

„Früher haben wir unseren Eltern erzählt, daß wir zu einer Demonstration gehen. Das war kein Problem, weil sie wußten, es kann nichts passieren, die Polizei ist ja da. Heute erzählen wir unseren Eltern nichts mehr. Weil sie wissen, daß die Polizei da ist“, verdeutlicht Lucy die neue Lage.

Auch Esther, eine 52 Jahre alte Kauffrau mit Brille und leicht ergrauten Haaren, gehört zur Demokratiebewegung. „Die Polizei überschreitet immer häufiger ihre Grenzen“, empört sie sich. Schlagstöcke und Tränengas würden zunehmend gegen die Demonstranten eingesetzt.

„Die Kommunistische Partei hat schon häufiger Versuche unternommen, unsere Bewegung zu zersetzen“, erklärt sie. Dann würden Leute versuchen, sich zu Wortführern zu erheben. „Sie geben uns dann den Ratschlag, daß es klüger sei, die Proteste abzubrechen, und sähen Streit unter den Organisatoren.“

Einmal habe sie selbst erlebt, wie eine Gruppe sich unter die Protestler mischte und vor dem Regierungsgebäude randalierte. „Sie haben den Rasen vor dem Gebäude zerstört und mit Steinen geworfen, dann sind sie schnell wieder verschwunden“, berichtet sie. Kurze Zeit später sei die Polizei mit Schlagstöcken aufgetaucht, habe wahllos auf Demonstranten eingeprügelt. „Später haben die sich dann damit gerechtfertigt, daß wir randaliert hätten. Aber das ist nicht wahr, unser Protest verläuft absolut friedlich.“ Erst später habe sich herausgestellt, daß die Jugendlichen zu ihrem Verhalten angestiftet und bezahlt worden seien.

Esther macht sich keine Illusionen. „Letztlich werden wir von der Straße weichen müssen.“ Aber: „Wir kommen auf jeden Fall wieder“, ist sie überzeugt.

Fotos: Blockaden für die Freiheit: Monatelang besetzten die Protestler Hongkongs Straßen; Kritik vor dem Regierungsgebäude: Flaggen westlicher Staaten als Symbole für den Wunsch nach Demokratie

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