© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/14 - 01/15 / 19. Dezember 2014

Absolute Sicherheit darf niemand erwarten
Nanotoxikologie: Riesige Vielfalt der Methoden und widersprüchliche Aussagen
Ludwig Dircks

Im breit angelegten Themenschwerpunkt, den die jüngste Ausgabe der Zeitschrift Angewandte Chemie (126-2014) zur Nanoforschung präsentiert, findet sich die dem Laien zugänglichste Botschaft im letzten der Beiträge. Der verspricht rasche Fortschritte in der Krebsbehandlung. Nanopartikel als Wirkstoffträger würden das Gebiet der Krebstherapie „in naher Zukunft“ geradezu „revolutionieren“, was Lebensqualität und Lebenszeit von Patienten „signifikant“ verbessere.

Das Publikum ist seit langem an solche Prognosen gewöhnt. Für das Gemeinwesen verantwortliche Ministerien und Bundesoberbehörden möchten gegenwärtig jedoch eher Antwort auf die Frage haben, ob sich die finanzielle Unterstützung dieser Zukunftstechnologie lohnt, oder ob man in ein Sicherheitsdesaster investiert. Die Industrie wirft zwar derweil eine Unzahl von „Nano­produkten“ auf den Markt, ist sich ihrer biologischen Effekte aber keineswegs gewiß. Nichtregierungsorganisationen wiederum tun das, was sie gewöhnlich tun: Sie warnen und verlangen „vollkommene Sicherheit“ für Verbraucher und Patienten. Und die Wissenschaft, um ihren Anspruch auf staatliche Förderung zu rechtfertigen, erwartet von der jungen Disziplin der Nanotoxikologie Auskunft auf ihre Fragen nach der biologischen Relevanz von Nanomaterialien.

Wenige Studien, unspezifische Ergebnisse

Kein Wunder, daß deswegen seit der Jahrtausendwende Publikationen zum Thema Nanosicherheit einen „nahezu exponentiellen Anstieg“ verzeichnen. Harald F. Krug, Toxikologe, Forschungsmanager in St. Gallen und Berner Titularprofessor, zählt über 10.000 Veröffentlichungen seit 2001, 5.000 davon allein seit 2010, die sich den Nanomaterialien im Kontext von „Umwelt und Gesundheit“ widmen. Nur brächten die meisten dieser Studien leider keine Klarheit in der Sicherheitsfrage. Was Krug nach der Auswertung dieser mit Widersprüchen und mit „völlig falschen Schlußfolgerungen“ gespickten, von „babylonischer Vielfalt der Methoden“ zeugenden Literaturmassen immerhin resümieren kann, sind einige Kernaussagen.

Unbestreitbar ist, daß synthetisch produzierte Nanomaterialien, Partikel, Plättchen und Fasern (ENMs: engineered nanomaterials) Haut, Lunge und Magen-Darm-Trakt als Eingangspforte in den Körper nutzen. Indes werde nur ein sehr kleiner Teil der verabreichten Dosis ins Blut und zu den sekundären Organen transportiert. Den größten Anteil absorbieren in der Lunge Makrophagen. Mit den Reinigungsprozessen würden diese Dosen aus der Lunge entfernt und aus dem Magen-Darm-Trakt ausgeschieden. Eine humantoxikologisch relevante Wirkung auf innere Organe wiesen daher nur wenige Studien aus, aber auch hier fehle der Nachweis einer „spezifischen ENM-Wirkung“. Ebensowenig belegen Inhalationsexperimente „nanospezifische Effekte“ in der Lunge. Auch bei faserigem Nanomaterial zeigten Versuche lediglich leichtere Entzündungseffekte, wie sie Feinstaubpartikel auslösen.

Seine „globale Betrachtung“ des aktuellen Forschungsstandes rechtfertigt für Krug das beruhigende Fazit, „daß offensichtlich trotz größter Anstrengung vieler Arbeitsgruppen keine unerwarteten besorgniserregenden Ergebnisse für technische Nanomaterialien erhalten worden sind“. Relativierend fügt er hinzu, daß etwa über etwaige Langzeitwirkungen von ENMs bei Lungenexposition keine „belastbaren Aussagen“ möglich seien. Aber absolute Sicherheit, wie sie politische Gremien fordern, sei durch die Forschung auch nicht zu erreichen, sondern nur eine Risikoabschätzung.

Foto: Ein prüfendes Auge auf eigentlich Unsichtbares: Ein Chemiker hinter einem Atommodell, das Calcium-carbonat darstellt. Dessen Firma produziert mit nanometerkleinen Partikeln versetzte Zahnpasta.

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