© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Übereinander statt miteinander reden
Pegida I: Die verbalen Attacken auf die neuen Wutbürger reißen nicht ab, doch mit ihren konkreten Forderungen beschäftigt sich kaum jemand
Christian Schreiber

Es ist knapp drei Monate her, daß Lutz Bachmann das erste Mal mit einigen hundert Anhängern durch die Straßen von Dresden zog. Mittlerweile beherrscht sein Bündnis Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) seit Wochen die Schlagzeilen. Mehr als 15.000 Menschen konnten zuletzt für die Demonstration mobilisiert werden.

Überregionale Medien sind sich in ihrer Beurteilung einig und bezeichnen Pegida fast durchgehend als „Islamfeinde“, „Wutbürger“ und „Rechtspopulisten“. Dabei ist die Masse, die Woche für Woche durch Dresden zieht, durchaus heterogen. Es sind viele „normale“ Bürger darunter, die die Sorge vor einem sich ausbreitenden Islam umtreibt. Es finden sich Anhänger der AfD, christlich geprägte Migranten, aber auch vereinzelt Personen aus der rechtsextremen Szene. Initiator Bachmann auf dessen Vorstrafenregister viele Medien immer wieder genüßlich hinweisen, hat stets bekräftigt, keine ausländerfeindlichen Ziele zu verfolgen. Ein Blick auf die offiziellen Verlautbarungen der Pegida stützt seine Version. 19 Punkte hat das Bündnis in einem Positionspapier zusammengefaßt und schon zu Beginn heißt es eindeutig: „Pegida ist für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten. Das ist Menschenpflicht.“ Weiterhin sprechen sich die Organisatoren für eine dezentrale Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus, statt in „menschenunwürdigen Heimen“.

Daß die Flüchtlingszahlen in der Vergangenheit wieder stark angestiegen sind und sich dem Höchststand der Asylwelle des Jahres 1992 annähern, wurde oft diskutiert. Vertreter der etablierten Parteien verweisen gerne darauf, daß die Anerkennungszahlen von Asylbewerbern in der Bundesrepublik sehr gering seien. Allerdings ist auch die Abschiebequote äußerst niedrig. Grundsätzlich sind Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union nach dem Dublin-Verfahren zu behandeln. Die Kriterien zur Bestimmung der Zuständigkeit folgen im wesentlichen dem Grundgedanken, daß der Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll, der die Einreise veranlaßt oder nicht verhindert hat. Grenzländer mit erhöhter Flüchtlingsproblematik wie Italien wiesen daher darauf hin, daß die bisherige Regelung ungerecht sei, da die Bundesrepublik keine Grenzen zum außereuropäischen Bereich habe, es Asylsuchenden de facto gar nicht möglich sei, nach Deutschland einzureisen.

Diese Einschätzung teilt auch Pegida. Das Bündnis spricht sich für einen gesamteuropäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge und „eine gerechte Verteilung auf die Schultern aller Mitgliedsstaaten“ aus. Gleichzeitig soll der Betreuungsschlüssel für Asylsuchende gesenkt werden. Mit der bisherigen Regelung, daß ein Sozialarbeiter für 200 Menschen zuständig sei, sei „faktisch keine Betreuung dieser traumatisierten Menschen möglich“.

Einwanderungsregelung nach kanadischem Vorbild

Neben diesen durchaus liberalen Positionen finden sich in dem Papier auch Forderungen, die viele Konservative und Freiheitliche ansprechen dürften. So wird das Entstehen von Parallelgesellschaften ebenso kritisiert wie Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche Organisationen wie die PKK. Pegida spricht sich für einen Stellenausbau bei der Polizei aus und für „eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten.“

Darüber hinaus richte sich der Protest nicht gegen „hier lebende, sich integrierende Muslime“, sondern gegen eine „frauenfeindliche, gewaltbetonende Ideologie“, verdeutlichen die Verfasser. Neben dem zentralen Thema Asyl und Islam formuliert Pegida in dem Papier Ziele, die teilweise auch aus dem Programm der AfD stammen könnten. So wird eine Einwanderungsregelung nach kanadischem Modell gefordert, man spricht sich für Volksentscheide nach Schweizer Vorbild aus und verurteilt das „widersinnige Gender Mainstreaming“. Aber auch hier weisen die Positionen teilweise liberale Züge auf. „Pegida ist für sexuelle Selbstbestimmung“, heißt es und Bachmann kontert damit die Kritik der Homo-Lobby: „Wir bekennen uns ausdrücklich zur christlich-jüdischen Tradition des Abendlandes. Dazu zählt auch Toleranz.“

Dennoch wehte den Pegida-Organisatoren auch zum Jahreswechsel ein eisiger Wind um die Ohren. So erteilte Grünen-Chef Cem Özdemir kurz vor Weihnachten allen Überlegungen zu Gesprächen mit den Demonstranten eine harsche Absage. Er halte nichts von „so einer weinerlichen Haltung im Umgang mit Pegida“, sagte Özdemir dem RBB.

Schröder fordert „Aufstand der Anständigen“

„Klartext ist angesagt und nicht dieses Gesülze, was ich da zum Teil höre von manchen Kollegen von mir.“ Er verstehe, wenn jemand seine Sorgen zum Ausdruck bringen wolle. „Aber man hat schon auch die Aufgabe zu schauen, welche Parolen neben einem gerufen werden und was auf den Plakaten steht, neben denen man läuft“, sagte Özdemir.

Ähnlich äußerte sich der neue thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei). „Mit Rassisten in Nadelstreifen haben wir nicht zu reden“, sagte Ramelow vor Weihnachten bei einem Besuch eines Flüchtlingsheims in Suhl. Richtig sei aber, das Gespräch mit den Teilnehmern zu suchen, die befürchteten, daß Flüchtlinge ihnen Arbeitsplätze wegnehmen könnten. Ihnen müsse man erklären, daß solche Ängste unbegründet seien, sagte Ramelow. „Und die Sorgen der Flüchtlinge muß man genauso ernst nehmen.“ Den Pegida-Organisatoren warf Ramelow vor, das christliche Fundament, auf dem das Abendland stehe, und das Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit beinhalte, zu mißachten.

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) forderte unterdessen eine Neuauflage des sogenannten „Aufstands der Anständigen“ aus dem Jahr 2000. „In Berlin haben damals 200.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus protestiert, und selbstverständlich sind Bundespräsident und Bundeskanzler vorneweg marschiert. So eine öffentliche Reaktion brauchen wir auch jetzt“, sagte Schröder kurz vor Weihnachten in einem Online-Interview mit dem Magazin Couragiert.

Foto: Pegida-Demonstration im Dezember in Dresden: „Zur christlich-jüdischen Tradition des Abendlandes gehört auch die Toleranz“

 

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