© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Ein Schreckgespenst kehrt zurück
Afghanistan: Nach dem Abzug der Isaf-Kampftruppe wittern die Taliban Morgenluft
Christian Schreiber

Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2001 war der afghanische Präsident Hamid Karsai bester Dinge. Er hielt den Terrorismus in seinem Land für weitgehend besiegt und erklärte, daß nur noch vereinzelt Terroristen auf der Flucht seien. Das Schreckgespenst der Taliban, der islamistischen Gotteskrieger, schien ausgetrieben.

Im Winter 2014 sieht die Lage erschreckend anders aus. Der Terroranschlag auf eine Schule im Nachbarland Pakistan, bei der 140 Kinder ums Leben kamen rief den islamischen Terrorismus ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurück. Als Drahtzieher des Anschlags in Peschawar gilt Mullah Fazlullah, Chef der Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP).

Nur die großen Städte sind Hochburgen der Regierung

Seit einigen Monaten regiert Karsais Nachfolger Aschraf Ghani Ahmadsai und die Terror-Milizen sind nach wie vor alles, nur keine „vereinzelten“ Gruppen. Bis auf die Metropolen Mazar-i-Sharif, Herat, Kandahar und Kabul beherrschen die gut vernetzten Taliban weite Teile Afghanistans. Vor allem die Hauptstadt leidet unter Terroranschlägen. Das Ende des 13 Jahre währenden Kampfeinsatzes der Nato-Truppe Isaf trug seinen Teil dazu bei.

Nagieb Khaja, ein dänischer Fernsehjournalist mit afghanischen Wurzeln, gelang es, so nah wie noch kein anderer westlicher Medienvertreter an die Taliban heranzukommen. Für den englischen TV-Sender BBC recherchierte er monatelang in Afghanistan und kam mit Billigung der höchsten Taliban-Führung mit Kämpfern ins Gespräch.

Khaja ist es gelungen, den 27jährigen Said Rahman vor die Kamera zu bekommen. Er nennt sich „Gouverneur Badri“ und zählt zu den Führungsfiguren der Taliban in ihrem selbsternannten Islamischen Emirat Afghanistan.

Rahman gibt sich selbstbewußt und offen, er spricht fließend Englisch und glaubt, „daß sich viele der Menschen, die hier leben, eine islamistische Regierung wünschen.“

Die Taliban waren unter ihrem Führer Mohammed Omar von 1996 bis zum Einmarsch der internationalen Truppen 2001 schon einmal Machthaber in Kabul. Es gilt bis heute als Schreckensherrschaft. In keinem Land der Welt wurde die Scharia strenger ausgelegt als in Afghanistan.

„Die Zeit arbeitet für uns“, sagt Rahman, der die neue Generation der Taliban verkörpert. Sie waren nie wirklich weg, die ehemaligen Anführer haben sich nach Pakistan abgesetzt oder sind untergetaucht, an ihre Stelle sind Leute wie der 27jährige getreten, die in den Koranschulen im Nachbarland ausgebildet wurden.

Zwar behaupten Vertreter der afghanischen Armee, sie hätten die Lage im Griff, doch Rahmans Äußerungen widersprechen dem. Er macht keinen Hehl daraus, daß seine Truppen längst wieder das gut eine Stunde Autofahrt von Kabul entfernte Tangi-Tal kontrollieren, eine wichtige Zufahrtsschneise zur Hauptstadt. An der Imam-Abu Hanifa-Schule, die von der Regierung unter anderem mit britischen Fördergeldern betrieben wird, sorgen Anhänger der Taliban für die Verbreitung ihres Glaubens. Mädchen werden natürlich nicht unterrichtet.

Im südöstlich von Kabul gelegenen Tangi-Tal, so erzählt es Rahman, herrschten ohnehin längst wieder eigene Gesetze. Streitigkeiten in der Bevölkerung klärt er höchstpersönlich. „Mit der Hilfe von Allah treffen wir unsere Entscheidungen schneller als der Oberste Gerichtshof. Das sind Dinge, die die Leute nicht brauchen.“ Er und seine Mitstreiter sehen sich als legitimierte Volksvertreter. Doch während des Interviews spielt ein kleiner Junge mit einer Kalaschnikow. Was er denn damit machen wolle, wird er gefragt: „Auf Leute schießen, natürlich“, antwortet er. „Gouverneur Badri“ nimmt es mit Nachsicht zur Kenntnis. „Unsere Freunde haben nichts zu befürchten. Wir schießen nur auf Feinde.“ Wirklich beruhigend klingt das nicht.

Khajas Fazit ist entsprechend eindeutig: Nach dem Isaf-Abzug werden die Taliban bei der künftigen Gestaltung der Region eine Schlüsselfunktion spielen.

Foto: Pakistans Talibanführer Mullah Fazlullah: Gut vernetzt mit den Glaubenskämpfern in Afghanistan

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen