© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Wandel eines Lebenswerkes
Neoexpressionismus: Das Haus der Kunst in München zeigt einen Querschnitt aus den Schaffensphasen des Malers und Bildhauers Georg Baselitz
Felix Dirsch

Georg Baselitz gehört neben Gerhard Richter und Sigmar Polke zu den bedeutendsten unter den Gegenwartskünstlern. Selbst in London ist es dem in Mitteldeutschland aufgewachsenen Maler und Bildhauer kürzlich gelungen, beträchtlichen Beifall zu erheischen – ein Erfolg, der sich bei einer früheren Ausstellung im Jahre 1982 noch nicht einstellen wollte.

Zu seinen Werken zählen großformatige Bilder mit Personen und anderen Motiven, die auf dem Kopf stehen. Das Münchner Haus der Kunst mit seinen großen, parallel gelegenen Räumen ist für eine Darbietung der Artefakte Baselitz’ wie geschaffen. Für diejenigen unter den Besuchern, die das vielschichtige Œuvre des 76jährigen kennenlernen wollen, ist die derzeitige Schau ideal, weil dem Interessierten ein Einblick über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg ermöglicht wird. Weiterhin werden die zentralen Sujets (Einzelpersonen, Adler, Porträts, Gruppen, Aktdarstellungen) präsentiert. Der Querschnitt durch das Werk ist eindrucksvoll.

An der Wand gegenüber dem Haupteingang ist ein erster Paukenschlag zu erkennen: „Die großen Freunde“ aus dem Jahre 1965, Ausdruck des frühen Schaffens. Dieses überdimensionierte Bild zeigt die Eheleute Elke und Georg Baselitz. Der Kopf der Gattin ist klein im Verhältnis zum Körper, kleiner als der des Gatten. Anders als auf manch anderem Bild steht das Paar mit den Füßen auf dem Boden. Die beiden vermitteln den Eindruck von Zerrissenheit. Helden, deren Abbilder man aus der nahen Vergangenheit zur Genüge kannte, sind sie nicht. Der Versuch einer manieristischen Verfremdung ist unübersehbar. Nicht zufällig beschäftigte sich der Künstler über einen längeren Zeitraum mit dieser Abkehr von der klassischen Formensprache. 1969 freilich ist die seinerzeit junge Gefährtin auf dem „Porträt Elke I“ bereits verkehrt herum gemalt. Immerhin stimmen die Proportionen einigermaßen.

Man sieht auch auf den frühen Arbeiten das Bemühen von Baselitz, gegenständliche Kunst zu schaffen. In der Zeit des West-Ost-Gegensatzes begriff man die Abstraktion in den Ländern, die sich die Freiheit auf die Fahne geschrieben haben, als Ausdruck der Unabhängigkeit – im Unterschied zur totalitär gehaltenen gegenständlichen Repräsentationskunst. Der seinerzeit in der DDR lebende Baselitz wollte den jeweiligen gesellschaftlich bedingten, künstlerischen Korsettstangen entkommen und jenseits des daraus resultierenden Konformismus wirken. Baselitz als Überwinder derartiger Gegensätze wird üblicherweise – ob sinnvoll oder nicht – dem Neoexpressionismus zugeordnet. Diese vorsichtige Rückkehr zum Gegenständlichen mutete für manche Beobachter konservativ an.

Zu den Höhepunkten des Schaffens zählen die Remix-Bilder. Baselitz hat Fotos von eigenen Bildern verwendet, um sie nochmals zu malen und so zu verbessern. Es geht nicht um Improvisation, sondern um eine Synthese aus Altem und Neuem. Auf diese Weise sind neben vielen anderen die monochromen Darstellungen „Moderner Maler“ und „Die rote Fahne 65“ entstanden. In einer der auffallendsten Remix-Darstellungen, die „Vorwärts Wind“ (2007) überschrieben ist, hängt eine Gestalt an einem Baum, die (mit dem charakteristischen Bärtchen) unzweifelhaft Adolf Hitler darstellen soll, der – wie Christus am Kreuz – die Hände ausbreitet. Von ferne an das Dritte Reich erinnern auch die vielen verfremdeten Swastika-Motive.

Der Umgang Baselitz’ mit der Vergangenheit dürfte nicht einmal allen Bewunderern gefallen. Zu den eindrucksvollsten Exponaten der Ausstellung zählt die aus drei Figuren bestehende monumentale Bronzeskulptur „BDM Gruppe“. Der Direktor des Hauses der Kunst, Okwui Enwezor, hat in einem Interview, nicht ohne leicht besorgten Unterton, die Frage gestellt, ob solche Anspielungen auf sensible zeitgeschichtliche Themen denn sein müßten. Baselitz antwortete, es sei ungesund, einen Teil der eigenen Vergangenheit oder genauer: den der Schwester, die Mitglied im Bund Deutscher Mädel war, zu verleugnen. Letztlich geht es ihm um Normalisierung aus weit späterer Perspektive. Wenn das NS-Regime zweifellos als Ganzes verbrecherisch war, bedeutet das nicht unbedingt, daß dieses Urteil für jeden Ausschnitt der damaligen Lebenswelt zutreffen müsse.

Der bei Kriegsende erst Siebenjährige, der von den Ereignissen dennoch bis heute geprägt ist, spricht sich überraschend deutlich gegen den unvermeidlichen theatralischen Kotau aus, der längst Ritual, damit aber auch oft inhaltsleer geworden ist. Er erwähnt in dem Interview, das in dem Begleitkatalog abgedruckt ist, den Zwang zur politischen Korrektheit. Nicht ohne Ironie verweist er auf die künstlerische Vergangenheitsbewältigung des früh verstorbenen Martin Kippenberger. Eines von dessen Gemälden aus dem Jahre 1984 trägt den aussagekräftigen Titel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“.

Weiter erregte die Skulptur „Sing Sang Zero“ Aufsehen, die im Stil ähnlich wie die „BDM Gruppe“ gestaltet ist. Am Ende der Aufzählungsreihe steht nicht das erwartete „Sung“, sondern der Hinweis auf das Ende, das nach Vergangenheit und Gegenwart unweigerlich folgt. Das Leben soll mit Liedern zu Ende gehen, ein „exklusives und unübertragbares Zero“ (Eric Darragon). Vielleicht eine Auseinandersetzung mit dem Tod. Möglicherweise ist die aktuelle Münchner Ausstellung die letzte große, auf die Baselitz selbst Einfluß nehmen kann – ein nicht unwesentlicher Grund für Interessierte, den Weg in die Prinzregentenstraße nicht zu scheuen.

Die Baselitz-Ausstellung ist bis zum 1. Februar 2015 im Münchner Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, täglich von 10 bis 20 Uhr, Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Telefon: 089 / 2 11 27 113

www.hausderkunst.de

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