© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Kalaschnikow-Islam kommt
Das Ende einer orientalischen Multikultur
Oliver Busch

Die „jahrtausendealte Multikultur“ Arabiens gehe soeben in einer „Kernschmelze des Orients“ unter. Martin Gehlen, Schüler des Religionssoziologen Hans Joas und seit 2008 Korrespondent deutschsprachiger Zeitungen in Kairo, beruft sich für dieses dramatische Fazit aus den Abwehrkämpfen gegen den „Islamischen Staat“ (IS) auf die „ganz wenigen selbstkritischen“ arabischen Intellektuellen, die sich in der nahöstlichen Krisenregion überhaupt noch zu äußern wagen (Herder Korrespondenz, 11/2014).

Nach deren Einschätzung profitieren die „barbarischen Zeloten“ des IS, die mit ihrem „Kalaschnikow-Islam“ Krieg gegen die „Wiege der Zivilisation“ und des „kosmopolitischen Menschheitserbes“ führen, allerdings nur von einer historischen Fehlentwicklung. Denn ein Drittel der Mitglieder der Arabischen Liga sind gescheiterte oder scheiternde Staaten. Ein weiteres Drittel ist „schwach und schwankend“, der Rest „hyperautoritär“. Nirgendwo sei nach der Entkolonialisierung, als sich zunächst Militärregime etablierten, eine stabile Demokratie entstanden, geschweige denn ein Sozialstaat.

Zwar gab es in arabischen Nationalstaaten bis weit in die sechziger Jahre ein spürbares Wirtschaftswachstum, soziale Mobilität und erweiterte Bildungschancen, aber seit vierzig Jahren bestehe die Unruheregion aus „säkularen Despotien“. Diese „korrupte und amateurhafte Staatlichkeit“ sei der Nährboden des islamischen Fundamentalismus und der Gedankenwelt der „IS-Schlächter“.

Die Dschihadisten des IS, so zitiert Gehlen Hisham Melhem, Studioleiter des Senders Al Arabiya, seien daher nicht aus dem Nichts, sondern aus dem „verrottenden, hohlen Kadaver herausgekrochen“, der von der kollabierten Zivilisation der 200 Millionen Araber 2010 noch übrig war. Und zivilgesellschaftliche Kräfte, kulturell-religiöse Quellen, „ethische Infusionen“, die Wandel schüfen, ließen sich für unabsehbare Zukunft nicht erkennen. Zumal die arabischen Gesellschaften – abgesehen vom Ölexport – als im Weltvergleich wirtschaftlich wenig produktiv und wissenschaftlich abgehängt gelten.

Eine Rückständigkeit, die selbst den Bildungsstand von Geistlichen auf ein inzwischen „miserables Niveau“ drücke, so daß die herkömmliche Theologie und Koran-ausbildung vor modernen Herausforderungen kapitulieren und das Feld dem „puritanisch-monomanen Gegenmodell“ des Fundamentalismus der „Gotteskrieger“, der „Advokaten der Eindeutigkeit“ überlassen müßten.

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