© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/15 / 02. Januar 2015

Die Maut für alle heißt Parkzone
Verkehr: Das Konzept der Bundesregierung ist falsch, sagen Kritiker und fordern eine Innenstadtabgabe
Christian Schreiber

Ein findiger Journalist hat es einmal so umschrieben: „Die Diskussion um die Pkw-Maut dient in Deutschland allenfalls dazu, das Sommerloch zu füllen, nicht aber das Staatssäckel.“ Seit Monaten wird darüber gestritten, wer auf Deutschlands Straßen künftig zur Kasse gebeten werden soll. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist ein Befürworter der Pkw-Maut. Die genaue Umsetzung ist aber trotz eines vom Kabinett auf den Weg gebrachten Gesetzentwurfs nicht zuletzt wegen Zweifel aus Brüssel immer noch ungeklärt.

Dabei würde sich die Bundesrepublik in guter Gesellschaft befinden. In neun EU-Ländern gibt es nach Auskunft des Automobilverbands ADAC eine streckenbezogene Maut, bei der sich die Höhe des zu zahlenden Betrags an den zurückgelegten Kilometern bemißt. Dazu zählen Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Kroatien, Polen, Portugal und Spanien. Andere Länder bevorzugen ein Vignetten-System mit einer Einmalzahlung. Dazu zählen Bulgarien, Österreich, Rumänien, Schweiz, Slowenien, Tschechien und Ungarn.

In Deutschland gestaltet sich die Diskussion schwierig. Dobrindt wollte zunächst nur ausländische Fahrer zur Kasse bitten, dann wurde doch über eine generelle Mautpflicht diskutiert. In der großen Koalition herrscht Uneinigkeit, mittlerweile gibt es Stimmen, das Vorhaben auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben. Seit Jahren kommen aus dem Verkehrsministerium, aber auch von Verbänden wie dem ADAC Klagen über den schlechten Zustand deutscher Straßen. Es herrsche Investitionsstau und Reformunwilligkeit. Ebenso lange wird darüber diskutiert, wie der Staat zusätzliche Einnahmen generieren könne, um mehr Geld für den Straßenbau einzusetzen. Gleichzeitig haben Umweltpolitiker auf eine erhöhte Emissionsausschüttung in deutschen Innenstädten hingewiesen. Neben dem „Verkehrsinfarkt“ drohe auch der „Luftinfarkt“.

Die Stadt London hat bereits vor Jahren reagiert. Dort gibt es eine Innenstadtmaut. Pro Tag ist eine Gebühr in Höhe von zehn Pfund zu bezahlen. Nach Zahlung der Maut kann der Fahrer so oft ins Mautgebiet fahren, wie er möchte. Bis zum 4. Juli 2005 betrug die Tagesgebühr fünf Pfund, bis zum 3. Januar 2011 acht Pfund. Bei Nichtbezahlung droht ein Bußgeld in Höhe von 120 Pfund (etwa 145 Euro). An 174 Einfahrpunkten werden die ein- und ausfahrenden Fahrzeuge mit Hilfe von Überwachungskameras aufgenommen. Innerhalb der Zone sind nochmals 50 Kameras fest installiert sowie mehrere mobile Kameras im Einsatz. Die aufgenommenen Nummernschilder werden durch automatische Nummernschilderkennung mit einer Datenbank abgeglichen. So wird festgestellt, ob die Maut entrichtet wurde. Für Bewohner der Mautzone gilt übrigens ein Rabattsystem, mit dem sich bis zu 90 Prozent der Kosten einsparen lassen.

Mailand investierte das Geld in seine Straßen

Die Erfahrungen sind aus Sicht der Kommunalpolitiker positiv. Das Verkehrsaufkommen habe sich um 10 bis 15 Prozent verringert, zudem sei die Zahl der Staus um rund ein Viertel zurückgegangen.

Auch in der schwedischen Hauptstadt Stockholm gibt es eine Innenstadt-Maut. Dort erhebt der Staat seit dem 1. August 2007 eine „trängselskatt“ (Stau-Steuer). Zwischen 6.30 und 18.29 Uhr müssen Autofahrer, die an Werktagen in die Innenstadt fahren wollen, eine Gebühr entrichten, die je nach Tageszeit variiert und zwischen 10 und 20 schwedischen Kronen (knapp ein bis zwei Euro) liegt.

Die norditalienische Metropole Mailand vermeldet aus ihrer Sicht ebenfalls Erfolge. Durch eine Maut wurde erreicht, daß im Durchschnitt 41.000 Fahrzeuge pro Tag weniger im Stadtverkehr unterwegs seien.

Autofahrer zahlen an Wochentagen fünf Euro für die Einfahrt in die Innenstadt. Die Maut brachte der norditalienischen Metropole über 20 Millionen Euro, von denen 13 Millionen in die öffentlichen Verkehrsmittel und ein Fahrradverleihsystem investiert wurden.

Eine Maut für alle –nicht nur auf Autobahnen?

Der Wirtschaftsjournalist Günter Ederer hält die Gefahren eines Verkehrskollapses in Deutschland für nicht unbegründet. Im September 2014 veröffentlichte er sein Buch „Deutschland im Stau“.

Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit auf Deutschlands Straßen. „Bei unseren Recherchen kam heraus, daß über Jahrzehnte Milliarden für die Schiene und die Binnenschiffahrt investiert wurden, um die Straße zu entlasten, daß der Marktanteil der Straße aber trotzdem gleich geblieben und sogar noch zugenommen hat. Der Fehler liegt im System“, sagt Ederer, der „von Planwirtschaft, Mißmanagement und einem gestörten System“ spricht.

Der Journalist sieht überall Lobbyisten am Werk, ein durchgreifender Wandel sei nicht gewünscht. Denn von der derzeitigen Lage würden viele profitieren. Auch in den Innenstädten. Dort ist ein regelrechter Kampf um kostenpflichtige Parkplätze ausgebrochen. 1954 wurde in Duisburg die erste Parkuhr aufgestellt, damals konnte man für zehn Pfennige eine Stunde parken. Heute kostet die gleiche Dauer rund fünf Euro. Doch nicht nur die Preise sind explodiert, auch die Zahl der Autos. In München gibt es nach ADAC-Berechnungen heute 38 Prozent mehr Pkw als in den achtziger Jahren. Die Parksituation wird immer prekärer und treibt entsprechend bunte Blüten. Nicht selten werden Stellplätze für Hunderttausende Euro versteigert, berichtet die Tageszeitung Die Welt.

Städte stocken Personal auf, um Falschparker zu jagen

Fast alle deutschen Städte haben mittlerweile das Ordnungspersonal massiv aufgestockt. Seinen Pkw in der Innenstadt eine Stunde abzustellen, ohne ein Knöllchen zu kassieren, wird immer schwieriger. Schätzungen zufolge nehmen die Kommunen mittlerweile rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr ein, Tendenz steigend. Gleichzeitig haben viele Gemeinden lukrative Verträge mit Parkhaus-Betreibern wie Vinci, Contipark oder Apcoa abgeschlossen. „Von diesem Geld fließt natürlich nichts in den Straßenbau oder die Infrastruktur“, klagt Experte Ederer: „Es ist Teil des Systems, in dem man gut verdient.“ Von daher wird sich so schnell nichts ändern.

Foto: Verkehrsstau in Berlin: Andere Städte haben den Verkehr in ihren Innenstädten durch eine Maut um mehr als zehn Prozent senken können

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