© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Von Erfurt nach Berlin
Christian Schreiber

Gregor Gysi sieht die Gunst der Stunde endlich gekommen. Am vergangenen Wochenende sprach er sich für ernsthafte Gespräche mit SPD und Grünen über ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene aus. Seitdem Anfang Dezember in Thüringen mit Bodo Ramelow der erste linke Ministerpräsident gewählt wurde, wittert die Linkspartei Morgenluft. Spätestens nach der Bundestagswahl 2017 soll die Dauer-Opposition auf Bundesebene beendet werden.

Gysi forderte, daß die Parteivorsitzenden von SPD, Linkspartei und Grünen „Personen benennen, die das gesamte politische Spektrum ihrer Parteien repräsentieren. Wir müssen ausloten, wo wir uns inhaltlich annähern können.“ Mit diesem Schachzug hat der gewiefte Taktiker Sozialdemokraten und Grüne unter Druck gesetzt. Innerhalb der SPD hatte es aufgrund des Thüringer Tolerierungsmodells kräftig rumort und Grünen-Chef Cem Özdemir wird schon seit längerem nachgesagt, er stehe in regem Austausch mit Kanzlerin Angela Merkel zur Vorbereitung eines schwarz-grünen Bündnisses.

Entsprechend brüsk wies Özdemir Gysis Avancen zurück: Vor Gesprächen müsse die Linke zunächst ihren Kurs ändern. „Weder ein Anti-Euro-Kurs, noch ein Anti-Israel-Kurs noch ein Pro-Putin-Kurs oder ein Pro-Schulden-Kurs ist mit uns machbar“, sagte er. Und auch die SPD reagierte auffallend abwehrend. „Gysis Idee ist absurd“, erklärte Generalsekretärin Yasmin Fahimi, „die SPD klärt ihre Koalitionsentscheidungen nicht in Arbeitsgruppen. Alle Spekulationen über die nächste Bundesregierung sind völlig aberwitzig.“

Doch ganz so abwegig sind die Gedankengänge nicht. Vertreter des linken SPD-Flügels wie der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner gelten als Befürworter eines r2g-Bündnisses, auch Arbeitsministerin Andrea Nahles werden solche Sympathien nachgesagt. Schon seit längerem ist bekannt, daß sich Bundestagshinterbänkler aus den drei Parteien zu einem Meinungsaustausch treffen. Doch noch gibt es zahlreiche Sollbruchstellen. Die Rußland-Politik gehört ebenso dazu wie die Frage nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Zudem stellen führende Sozialdemokraten gerne die Frage nach der Zuverlässigkeit der Linkspartei. Diese hält die Genossen auch davon ab, im Saarland die Machtprobe zu wagen. Dort verfügt Rot-Rot-Grün, wie im Bund übrigens auch, über eine rechnerische Mehrheit der Sitze.

Allerdings führt dort der ehemalige SPD-Chef Oskar Lafontaine die Linksfraktion. Der hatte sich unlängst ein hitziges Wortgefecht mit Gysi geliefert und behauptet, dieser und einige von den Medien als Reformer gewürdigte Politiker der Linken versuchten, das Vermächtnis „Nie wieder Krieg!“ von Karl Liebknecht aus der Programmatik der Partei zu entsorgen. Eine von Lafontaine geduldete Landesregierung ist für alle Beteiligten daher ein Alptraum-Szenario. Sein früherer Ziehsohn und heutiger Bundesjustizminister Heiko Maas hat die Bedenken der Sozialdemokraten gegenüber ihrem Ex-Chef auf den Punkt gebracht. „Wer sich auf ihn verläßt, ist irgendwann verloren.“

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