© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Ohne Eile, aber auch ohne Pause
Kuba: Präsident Raúl Castro stemmt sich gegen den Untergang / „Wohlhabender Sozialismus“ als Staatsziel
Alessandra Garcia

Mariel heißt wieder die große Hoffnung Kubas. 1980 waren von dem alten Yachthafen aus 125.000 Kubaner mit selbstgebastelten Booten in Richtung USA geflüchtet. Jetzt entsteht in der wenige Kilometer westlich von Havanna gelegenen Kleinstadt ein rund 465 Quadratkilometer großer Industriepark mit dem modernsten Containerhafen der Karibik, ausgelegt für alle Schiffe, die künftig den Panamakanal passieren werden.

Denn auf dessen Erweiterung spekuliert das ehrgeizigste Bauvorhaben in der Geschichte des sozialistischen Kubas. Die Investitionssumme wird auf 900 Millionen US-Dollar geschätzt, finanziert von der Entwicklungsbank Brasiliens, die zwei Drittel der Kosten trägt. Bauherr ist entsprechend der brasilianische Mischkonzern Odebrecht.

USA droht Isolation in Lateinamerika

Künftig sollen hier Containerschiffe mit bis zu 15 Metern Tiefgang abgefertigt werden, das Terminal in der Endausbaustufe eine Kapazität von bis zu einer Million Containern haben. Anfang 2014 war der erste Teil eines Container-Terminals eingeweiht worden. Die Sonderentwicklungszone werde „ein großer Magnet für ausländische Technologien und Managementmethoden“, verkündete Präsident Raúl Castro vor der Nationalversammlung. Investoren sollen hier bis zu zehn Jahre keine Steuern zahlen müssen. Unternehmen aus Spanien, Frankreich, Italien, Brasilien, Rußland, China und den Niederlanden verhandeln derzeit mit den kubanischen Behörden über eine Ansiedlung. Das Parlament hat im Frühjahr extra ein neues Gesetz über die Bedingungen von Auslandsinvestitionen beschlossen.

Das Entstehen der Sonderwirtschaftszone Mariel setzt auch die USA unter Zugzwang, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, nach denen die USA wieder diplomatische Beziehungen mit dem kommunistischen Land aufnehmen wollen. Noch aber gilt das 1962 verhängte und 2013 noch einmal verschärfte Wirtschaftsembargo, mit dem Washington auf die Enteignungen US-amerikanischen Eigentums nach dem Sieg der Revolution reagierte und das die Regierung in Havanna bis heute für die verheerenden Zustände im Land verantwortlich macht.

Aber zunehmend widerspricht die Wirtschaftsblockade den Interessen US-amerikanischer Firmen, insbesondere der Erdölbranche und der Tourismusindustrie. Überdies besteht die Gefahr, daß sich die USA in Lateinamerika, dessen Regierungen große Sympathie für Kuba hegen, weiter isolieren. Noch sind Schiffe, die Kuba anlaufen, ein halbes Jahr lang für alle Häfen der USA gesperrt.

Sollte Mariel trotzdem zum wichtigsten Warenumsatzplatz der Karibik werden, hat Washington bald ein Problem. Geht das Projekt schief, dürfte sich ein weiterer Plan Castros zerschlagen haben, die kubanische Wirtschaft zu stabilisieren.

Wirtschaftlich geht es Kuba noch immer schlecht. Ähnelte bereits die Rede von Präsident Castro anläßlich des 55. Jahrestages der Revolution einem Offenbarungseid, so wurden auch für 2014 die Planziele verfehlt. Statt wie vorgesehen 2,2 Prozent, beträgt das Wirtschaftswachstum nur 1,3 Prozent. Geplant ist dagegen das aktuelle Haushaltsdefizit von 3,4 Milliarden US-Dollar.

Nur so konnten der Peso stabil gehalten und die „primären wirtschaftlichen und sozialen Ziele“ garantiert werden. Um noch in Wachstumsbranchen investieren zu können und das für die Bevölkerung kostenlose Gesundheits- und Bildungssystem aufrechtzuerhalten, mußte sich Kuba auch 2014 weiter verschulden. Trotzdem setzt die Regierung für 2015 auf ein Wachstum von mindestens vier Prozent. Die Wirtschaft werde trotz des Embargos und der Finanzschwierigkeiten weiter voranschreiten, versichert Wirtschaftsminister Marino Murillo.

Kubaner fürchten Währungsreform

Mehr als sieben Milliarden US-Dollar sollen in die Wirtschaft, vor allem in die Bauindustrie sowie die Landwirtschaft investiert werden. Das sind 29 Prozent mehr als 2014. Keine Abstriche soll es bei den Sozialausgaben geben. Dafür steigt das Haushaltsdefizit auf 5,6 Milliarden US-Dollar. Einsparungen plant Kuba bei Lebensmittelimporten. Außerdem wurden neue Steuern und Gesetze verabschiedet, mit denen die Behörden gegen Steuerbetrug und illegale Tätigkeiten vorgehen können.

Ohne Abstriche an dem in der Verfassung festgeschriebenen Staatsziel des „Aufbaus des Sozialismus“ zu machen, bietet Raúl Castro eine neue Definition an. Dieser Begriff sei dasselbe wie „die Unabhängigkeit und Souveränität der kubanischen Nation“. Tatsächlich war der bewaffnete Aufstand der Rebellen um Castro und die revolutionäre Bewegung in den Städten vor allem eine nationale Bewegung, zu deren Zielen die Vollendung der kubanischen Befreiungskriege, das Ende der US-Vorherrschaft, eine umfassende Landreform und Demokratie zählten. Nur der Sozialismus garantiere Kubas Unabhänigigkeit und Souveränität, wirbt Castro gleichzeitig für den Status quo und Reformen.

„Ohne Eile, aber ohne Pause“, lautet dabei die zentrale Losung. „In der Geschichte sind nicht wenige Erfahrungen über die katastrophalen Ergebnisse aufgezeichnet, die durch die Verletzung des Tempos und das Überspringen von Schritten verursacht wurden“, so Castro. Niemals werde man „im revolutionären Kuba Schocktherapien zulassen“. Deswegen läuft auch die angekündigte Abschaffung der Parallelwährungen aus nationalem und konvertiblem Peso langsam. Den Bürgern hat Castro versprochen, daß bei einer Währungsreform sowohl ihr Bargeld als auch die Einlagen bei den Banken sicher seien. Trotzdem ist die Unruhe unter der kleinen Mittelschicht groß.

Skeptisch zeigt sich auch die Landbevölkerung. Wenige Bauern nahmen bisher das Angebot an, brachliegendes Land auf eigene Rechnung zu bewirtschaften. Wo es möglich ist, nutzen Bauern zwar die Möglichkeit, alle zusätzlich zur staatlich vorgegebenen Quote produzierten Waren frei auf dem Markt zu verkaufen oder private Lieferverträge mit Großmärkten, Restaurants oder Hotels abzuschließen. Staatliche Preisvorgaben wird es nur noch für Grundnahrungsmittel wie Reis, Kartoffeln, Bohnen und Tomaten geben, alles andere soll der Markt regeln.

Zu Castros Ziel eines „wohlhabenden und nachhaltigen Sozialismus“ gehört auch, weitere Kubaner zu ermuntern, als Selbständige zu arbeiten. Zuckerbrot und Peitsche heißt hier die Devise, denn während der Regierungschef auf der einen Seite eine Lockerung der Vorschriften ankündigt, fordert er andererseits „Respekt vor dem Gesetz und strikte Einhaltung der Steuerpflichten“. Letztere zu umgehen, hat sich zum Volkssport entwickelt – woraufhin Castro die „unzureichende Kontrolle“ kritisierte. Infolge hagelt es seit Monaten Bußgelder.

Foto: Raúl Castro und Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (l.) feiern die Grundsteinlegung des Großhafens Mariel (Januar 2014): Als Hauptfinanzier der ambitionierten Sonderwirtschaftszone spielt Brasilien eine wichtige Rolle in Kubas Anti-USA-Interessenpolitik

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