© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Liebe ist auch nur ein Geschäft
Rezension: Durch die Brille der Österreichischen Schule wirft Gérard Bökenkamp einen Blick auf unsere Sexualität
Alexander Bagus

Sex sells, gilt als einer der wichtigsten Grundsätze in den PR-Agenturen dieser Welt. Zu deutsch: Sex verkauft sich (gut). Doch dieses eigensinnige Leitmotiv dürfte nicht die Motivation Gérard Bökenkamps gewesen sein, als er sein neuestes Werk „Ökonomie der Sexualität“ zu Papier brachte. Anders als der Titel auf den ersten Blick suggeriert, geht es nicht (ausschließlich) um das älteste Gewerbe der Welt. Vielmehr ist dieses nur ein Aspekt von vielen.

Es ist eine Herausforderung, das breite Feld der gesamten menschlichen Sexualität durch die Lesart der Österreichischen Schule der Nationalökonomie zu betrachten. Warum das möglich ist, stellt Bökenkamp in der Einleitung klar: „Die ‘Austrians’ haben versucht, eine allumfassende Theorie des menschlichen Handelns, der sozialen Kooperation und der ethischen Normen zu entwickeln.“ Der Historiker erschließt damit also einfach ein neues Feld. Wenn denn die Theorie so allumfassend sei, wie sie es vorgebe zu sein, so müsse auf ihrer Basis die Beschreibung einer „Ökonomie der Sexualität“ möglich sein.

„Sexualität ist Teil einer langfristigen Strategie“

In fünf Kapiteln dekliniert Bökenkamp die Thematik durch. Zuerst bereitet er die Denkweise der Österreichischen Schule auf, nach der es dem Menschen bei jeder Handlung um die Maximierung des psychischen Einkommens geht. Ganz nüchtern stellt der Autor daher fest: „Sex ist eine Handlung (…) und die Sexualität selbst ist Teil einer langfristigen Strategie zur Maximierung von psychischem Einkommen.“

Mit der Vorstellung, daß Sex nur der Reproduktion zu dienen habe, räumt er dann im Folgenden genauso ordentlich auf wie mit dem weitverbreiteten kollektivistischen Denken über „Männer“ und „Frauen“. Frei nach Margaret Thatcher stellt Bökenkamp fest: „Es gibt keine Geschlechter, es gibt nur Individuen“.

Nach diesen theoretischen Grundlagen analysiert Bökenkamp das Agieren der potentiellen Sexpartner auf den Beziehungsmärkten bis hin zur Familie – beziehungsweise ihrer Gründung. Hier klammert er auch den Faktor Liebe nicht aus.

Inwieweit die Politik, meist mit Verboten, auf dem Gebiet der Sexualität tätig wird, beschreibt der Autor, der schon in der Vergangenheit schwere Kritik an der schwedischen Verbotskultur geübt hat, im dritten Kapitel. Die Folgen davon, die häufig anzutreffende Doppelmoral, zeigt der Historiker nicht nur theoretisch, sondern auch an praktischen, zeitgenössischen Beispielen wie Rumänien und Japan auf.

Tradierte Vorstellungen werden herausgefordert

Der vorletzte Abschnitt befaßt sich sodann mit dem Zusammenhang von Kapitalismus und liberaler Sexualethik. Diese „läuft darauf hinaus, die Sexualität zu privatisieren und zu entpolitisieren“. Hier geht er auch auf den Umgang der Religionen mit dem Thema Sexualität ein. Im fünften Kapitel dreht es sich schließlich um die liberale Gesellschaftspolitik und damit um Fragen wie Staatsehe, Prostitution, Abtreibung und Adoption.

Die vielen Schlußfolgerungen, die aber auf der Basis der Österreichischen Schule nur logisch und stringent sind, dürften Widerspruch erzeugen. So konsequent durchdekliniert in einem der intimsten Themenbereiche, die es gibt, wird manche tradierte Vorstellung sehr stark herausgefordert.

 

Österreicher

Als Österreichische Schule der Nationalökonomie wird ein liberaler Flügel der Wirtschaftswissenschaft bezeichnet, der sich vor allem mit dem Geldsystem und Konjunkturzyklen beschäftigt. Als Vordenker gelten Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek, der Nobelpreisträger und Autor von „Der Weg in die Knechtschaft“. Ihre zentrale These lautet, daß sich der Staat aus dem Wirtschaftsleben herauszuhalten hat, weil Marktverzerrungen letztlich allen schaden.

Gérard Bökenkamp: Ökonomie der Sexualität. Von der Liebesheirat bis zur Sexarbeit. FBV, München 2014, 240 Seiten, broschiert, 17,99 Euro.

Foto: Straßenstrich: Schweden zeigt, daß ein Prostitutionsverbot das Gegenteil des eigentlichen Ziels bewirkt

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