© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Pankraz,
das Harvard-Konzept und der Diplom-Sex

Politische Verhandlungen auf internationaler Ebene, notierte einst der deftigen Späßen nie abgeneigte kanadische Nationalökonom und US-Präsidentenberater John Kenneth Galbraith (1908–2006), hätten viel mit Sex zu tun. Beide „Aktivitäten“ zielten darauf ab, allen Beteiligten optimalen Lustgewinn zu verschaffen, und deshalb solle man doch einmal eine Verhandlungsanleitung herausgeben, die nach den Regeln des Sexualverkehrs geschrieben sei. Vielleicht könne man auf diese Weise Fortschritte bei den ost-westlichen Abrüstungsgesprächen erzielen.

Das war Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, und die Sache war, wie gesagt, nicht ernst gemeint. Doch das hinderte einige einflußreiche Politologen und Psychologen des damaligen Establishments nicht daran, sie sofort ernst, ja todernst zu nehmen. Die beiden Harvard-Professoren Roger Fi-sher und William Ury machten sich an die Arbeit, und schon nach kurzer Zeit war ein Buch von ihnen auf dem Markt mit dem verheißungsvollen Titel „Getting to Yes“. Der progressive deutsche Campus-Verlag schob schnell eine deutsche Version hinterher, die er ehrfurchtsvoll „Das Harvard-Konzept“ betitelte.

Es wurde eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. „Das Harvard-Konzept“ stieg innerhalb kürzester Zeit zum Zentralgestirn des Verlages auf, fast jedes Jahr gab es eine neue Auflage, mittlerweile sind es vierundzwanzig, und für dieses Jahr steht die fünfundzwanzigste, die Jubiläumsauflage an. Das Buch ist offenbar zur Standardausrüstung sämtlicher Diplomaten weit und breit geworden, was den Laienleser etwas verwundert, weil er in dem Buch keinerlei sensationelle Erkenntnisse findet, vielmehr Allerweltsweisheiten, wie sie auch in den anderen Ratgebern geboten werden, die heute die Buchregale bevölkern.

Gestatten Sie der Gegenseite, Dampf abzulassen!“ heißt es da etwa, oder: „Reagieren Sie nicht auf emotionale Ausbrüche!“ oder: „Benutzen Sie auch symbolische Gesten!“ oder: „Sprechen Sie so, daß man Sie stets versteht!“ Solche „Ratschläge“ sind eigentlich vom Kräuterweiblein billiger zu haben, dazu brauchen wir keine Harvard-Professoren. Und sonderlich sexy sind sie auch nicht gerade. Die von Galbraith angemahnte sexuelle Komponente des diplomatischen Geschäfts riecht bei Fisher und Ury jedenfalls eher nach Filzpantoffeln als nach Kamasutra.

„Suggerieren Sie Ihrem Verhandlungspartner“, empfiehlt das Harvard-Konzept, „daß Sie ein überzeugter Softie sind und sich wie ein besorgter Idealliebhaber verhalten, dem es in erster Linie darum zu tun ist, daß der andere voll auf seine Kosten kommt! (…) Positionsgerangel gefährdet künftige Beziehungen! Versetzen Sie sich in die Lage des anderen! Schieben Sie die Schuld an Ihren eigenen Problemen nie der Gegenseite zu! Beteiligen Sie die Gegenseite am Ergebnis! Stimmen Sie Ihre Vorschläge auf das Wertesystem des anderen ab! Bauen Sie aktive Beziehungen auf!“

Am Ende weiß der Leser beim besten Willen nicht mehr, ob er Männlein oder Weiblein ist, auf welche Seite er gehört und welche Interessen er eigentlich vertritt, die eigenen oder die der anderen. So war es nur folgerichtig, daß die öffentliche Kritik an der Erstausgabe von 1981 sich genau an diesem Punkt festmachte. Das internationale politische Parkett, so hieß es damals überwiegend, sei kein interner Familienverband, denn die einzelnen Länder oder politischen Bündnisse, die miteinander verhandelten, seien keine Familie. Es gehe da nicht um Liebe, nicht einmal um Freundschaft, sondern ausschließlich um Interessen.

Es war die Zeit des Paradigmenwechsels in der globalen Ost-West-Auseinandersetzung, in den USA die Zeit des Übergangs von Präsident Jimmy Carter zu Ronald Reagan. Die kommunistische Sowjetunion war damals schon pleite, spielte sich aber international immer noch als Supermacht auf und rang der „soften“ Carter-Regierung die ausgedehntesten Zugeständnisse ab. Der neue Präsident Reagan, kühl bis ans Herz hinan, machte damit Schluß und stellte die Abrüstungsdiplomatie wieder unter realistische Perspektiven – mit den bekannten Folgen.

Das Erscheinen von „Getting to Yes“, also der Urfassung von „Das Harvard-Konzept“, war Teil der Auseinandersetzung zwischen Carter und Reagan. Carters Außenminister Cyrus Vance schrieb extra den Waschzettel dafür und schwärmte, daß hier die todsichere Anleitung für erfolgreiches Verhandeln vorliege, „bestimmt in der Sache, aber weich mit den Verhandlungspartnern“, und daß „die einfachen, aber wirksamen Ideen dieses Buches bereits auf internationaler Ebene erfolgreich waren“.

Cyrus Vance selbst war während seiner eigenen Amtszeit freilich einer der erfolglosesten und verhängnisvollsten Unterhändler gewesen, den die internationale Diplomatie je gesehen hatte. Die Politik, die er betrieb, war reine Mickymaus-Politik, wie später Henry Kissinger treffend anmerkte. Nicht mehr mögliche Ergebnisse interessierten, sondern einzig der Filzpantoffel-Sex, auch und gerade dann, wenn die andere Seite sich ungeniert als verstockter Macho gebärdete, der auf die feinen Tricks des „Harvard-Konzepts“ nur mit groben Prügeln reagierte.

Merkwürdig allerdings: Heute handelt die gegenwärtige US-Regierung – obwohl demokratisch orientiert wie seinerzeit Carter und Vance – überhaupt nicht mehr nach den Regeln des Harvard-Konzepts; man denke an ihren diplomatischen Stil beim Umgang mit dem entbolschewisierten Rußland in der Ukraine-Krise. Keine Spur mehr von Sex, nicht einmal mehr von „Stimmen Sie Ihre Vorschläge auf das Wertesystem des anderen ab!“ Überall nur noch Sanktionen und grobe Polizistensprache. Und dabei leben wir doch angeblich in einer Zeit der Übersexualisierung.

Nach wie vor lesen wir in den Selbstanzeigen von „Getting to Yes“ auch, daß in dem Buch die Methoden des „sachbezogenen diplomatischen Verhandelns“ definitiv zu Papier gebracht seien. Es scheint, daß die für 2015 anstehende Neuauflage radikal umgeschrieben werden muß.

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