© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/15 / 09. Januar 2015

Die meisten Redaktionen reagieren
Ob Dschihadisten-Video oder Opferfotos: Wenn die Presse Grenzen überschreitet, meldet sich der Presserat
Christian Schreiber

Der Begriff „zahnloser Tiger“ entlockt Lutz Tillmanns nur noch ein müdes Lächeln. Wo auch immer der Geschäftsführer des Presserats auftritt, wird er mit diesem Vorurteil konfrontiert. Viele Menschen halten das Gremium für ein wichtiges Korrektiv in der Medienlandschaft, andere sehen in ihm ein Muster ohne Wert. Im Presserat organisieren sich die vier großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände: der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (VDZ), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Der Presserat sieht sich als freiwilliges Kontrollorgan der deutschen Presse und verfolgt seit seiner Gründung zwei große Ziele: die Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland und das Bearbeiten von Beschwerden aus der Leserschaft.

Am 20. November 1956 schlossen sich fünf Verleger und fünf Journalisten zusammen, um mit einem freiwilligen Gremium zu verhindern, daß der Staat die Printmedien durch ein Bundesgesetz kontrolliert. Für die Initiatoren stand damals fest, daß Pressefreiheit nicht möglich sei, wenn der Staat ein Eingriffsrecht habe. „Der Deutsche Presserat will als repräsentative Gesamtvertretung der deutschen Presse ein freies Organ zur Verteidigung und Wahrung der Pressefreiheit sein und gleichzeitig über die Einhaltung der Grenzen der Pressefreiheit wachen“, beschrieb Gründungsmitglied und Journalist Rupert Giessler 1956 die Aufgaben des neugegründeten Gremiums. Als Kontrollorgan ist der Presserat Ansprechpartner für Leser, Journalisten und Verleger. Sie können Beschwerden über einen Verstoß gegen die Richtlinien direkt an den Presserat richten. Besonders die Leser nutzen die Möglichkeit. Insgesamt wandten sich 2013 1.347 Leser an den Rat, ein Jahr zuvor waren es sogar 1.500. Allerdings wurden davon 2013 nur 465 Beschwerden zugelassen und in den Ausschüssen behandelt. In 28 Fällen wurden öffentliche Rügen sowie 51 Mißbilligungen gegen Medien ausgesprochen.

Und bei diesen Sanktionsmöglichkeiten kommt nun das Vorurteil des „zahnlosen Tigers“ ins Spiel. Die einfachste Sanktion durch den Rat ist der sogenannte Hinweis. Ihn spricht der Presserat an die betroffene Redaktion bei einem geringen Verstoß gegen den Pressekodex aus, der die wichtigsten Regeln definiert. Das betroffene Medium ist nicht verpflichtet, diese Sanktion abzudrucken. Die Mißbilligung als zweite Möglichkeit ist ein weiteres Mittel gegen schwere Verstöße gegen den Kodex.

Nicht jede Redaktion folgt den Empfehlungen

Die betroffene Redaktion muß eine Mißbilligung des Presserats gegen ihre Berichterstattung nicht abdrucken, der Beschwerdeausschuß des Presserats empfiehlt aus Gründen der Transparenz jedoch einen Abdruck. Nicht jede Redaktion folgt allerdings dieser Empfehlung. Die härteste Maßnahme des Presserats ist die Rüge. Rügen muß das betroffene Medium abdrucken – und sich damit selbst öffentlich an den Pranger stellen. 2014 hatte der Presserat bis Anfang Dezember 17 Rügen ausgesprochen, sieben davon entfielen auf Bild. Das Springer-Blatt verbindet mit dem Presserat eine besondere Beziehung, ist die Boulevardzeitung doch seit Jahren beliebtester Adressat für Rügen.

Geschadet hat es Bild jedoch kaum. Mit 160 Rügen seit 1986 liegen Deutschlands auflagenstärkste Zeitung und ihre Ableger uneinholbar vorn. Erst mit weitem Abstand folgen andere Boulevardblätter wie die Berliner B.Z. (20 Rügen), der Kölner Express (13), die Abendzeitung in München (11) und die Hamburger Morgenpost (zehn). Im Zeitraum von 1986 bis 2014 gab es nur 1989 und 1990 keine Rüge für einen Bild-Titel. In fast jedem anderen Jahr war Bild dagegen negativer Spitzenreiter und kassierte manchmal mehr als 40 Prozent der insgesamt ausgesprochenen Rügen. 1994 erhielt Bild sogar fast die Hälfte aller Rügen (sieben von 15).

Doch was passiert, weigert sich ein Medium, eine Rüge abzudrucken? Der Presserat hat dann keine weitere Sanktionsmöglichkeit, er kann nur erneut eine Rüge aussprechen. „Unsere Sanktionsmöglichkeiten sind effektiv und werden ernst genommen“, widerspricht Geschäftsführer Lutz Tillmanns, „insgesamt wird die Pflicht zur Rügenveröffentlichung branchenweit akzeptiert.“

Die Arbeitsweise des Rates hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Waren es früher ausschließlich Print-Produkte, die zum Stein des Anstoßes wurden, setzt sich ein Großteil der Beschwerden heute aus Veröffentlichungen in Online-Angeboten zusammen. „Auch die mediale Welt ist sehr viel schnellebiger geworden“, sagt Ursula Ernst, die Präsidentin des Deutschen Presserats. Sie hält das Modell auch nach knapp 60 Jahren für noch nicht überholt: „Wir sehen sehr genau, daß die Sanktionen wirken und betroffenen Medien nicht egal sind. Die meisten Redaktionen reagieren deshalb auf Beschwerden mit intensiven Erklärungen und Rechtfertigungen. Und die großen Häuser, etwa Springer, beschäftigen damit ganze Rechtsabteilungen. Das zeigt, daß wir wirksam sind.“

Foto: Zeitungsleserin: Gerade die Boulevardpresse mit hohem „Sex & Crime“-Anteil erhält oft Rügen vom Presserat

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen