© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Massenzustrom von Ausländern unerwünscht
Tschechien: Die Regierung in Prag stemmt sich gegen bindende Aufnahmequoten von Flüchtlingen und illegalen Migranten
Paul Leonhard

Tschechien stellt sich bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen weiterhin taub. Die sozialliberale Koalitionsregierung lehnt bindende Aufnahmequoten ab, wie sie die Europäische Union für die Mitgliedsstaaten gern vorschreiben möchte, und bekommt dafür Beifall von der eigenen Bevölkerung, wie Umfragen zeigen.

Einige hundert Flüchtlinge seien möglich, mehr aber nicht, sagte Innenminister Milan Chovanec. Mehr seien nicht in die tschechische Gesellschaft zu integrieren. Von ihm könne nicht erwartet werden, „daß ich einem ausländischen Massenzustrom applaudiere“, sagte der Sozialdemokrat gegenüber dem Deutschlandfunk. Würde das Land Flüchtlinge aufnehmen, dann sei klar, daß diese lange bleiben würden, in die Gesellschaft integriert werden müßten und letztlich dauerhaft das Land beeinflussen würden.

Ähnlich sieht es Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Vorgaben aus Brüssel lehnt er ab. Die Asylpolitik müsse in der Hand der nationalen Regierungen bleiben und die Einrichtung von Flüchtlingslagern in Europa sei für seine Regierung keine „Lösung der humanitären Krisen in den vom Krieg zerstörten Ländern“. Tschechien sei aber bereit, verletzte syrische Kinder im Beisein ihrer Eltern kostenlos zu operieren und vor Ort in den betroffenen Ländern zu helfen.

Innenminister de Maizière beißt in Prag auf Granit

Zuvor hatte Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière die Sichtweise im Nachbarland zur Kenntnis nehmen müssen. Ursprünglich wollte der Christdemokrat die Tschechen überzeugen, 5.000 bis 10.000 Syrer aufzunehmen. Schließlich hatten sich die westeuropäischen Länder vor der Uno verpflichtet, bis 2016 rund 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Außenminister Lubomir Zaorálak lehnte ab und verwies auf die bereits illegal über Österreich eingereisten Syrer, deren Zahl auf einige hundert geschätzt wird.

Die tschechische Mitte-Links-Regierung folgt damit konsequent einem Kurs, der auf den Erfahrungen des Jahres 2006 beruht. Damals hatte Prag mehr als 3.000 Flüchtlinge aus aller Welt aufgenommen und war für die Zustände in den zentralen Aufnahmelagern, so in Kostelec nad Orlici, kritisiert worden. Während die deutsche Regierung ihr Kontingent für syrische Flüchtlinge inzwischen mehrfach freiwillig aufgestockt hat und Deutschland bei den absoluten Zahlen längst an der Spitze steht, beharrt Prag auf seinem Standpunkt, daß in Tschechien keine Kapazitäten vorhanden seien, mehrere tausend Syrer aufzunehmen. Es gebe nur 700 Plätze für Flüchtlinge. Außerdem hat man in Tschechien Angst, daß sich unter den Ausländern auch islamische Kämpfer befinden könnten. Statistischen Angaben zufolge hat Tschechien im vergangenen Jahr dauerhaft 810 Flüchtlinge aufgenommen – Deutschland 131.000.

Tschechien sei nicht darauf vorbereitet, Fremde aufzunehmen, sagte Jan Harl, Leiter des Meinungsforschungsinstituts Stem, gegenüber Radio Prag: „Für viele Menschen hierzulande stellen die Flüchtlinge eine imaginäre Bedrohung dar, einfach etwas, das sie nicht kennen. Darum haben sie eine negative Haltung gegenüber einer eventuellen Aufnahme von Migranten.“ Tschechien sei zu „einem unnatürlich homogenen Volk geworden, nachdem wir die deutsche Minderheit vertrieben haben“.

„Ich verstehe die Gefühle vieler Deutscher“

Migration sei ein Thema, das „wir in der Tschechischen Republik nicht sehr gerne haben“, sagte auch Tomás Prouza, Staatssekretär für europäische Fragen, gegenüber dem Radiosender: „Wir reden ungern darüber und weichen lieber aus.“ Jeder zweite seiner Landsleute sei der Meinung, daß schon heute zu viele Ausländer in Tschechien leben würden, weiß auch Martin Rozumek, Direktor der Flüchtlingshilfsorganisation OPU. Mit Blick auf die Pegida-Demonstrationen in Dresden erklärte er gegenüber dem Deutschlandfunk: „Ich verstehe die Gefühle der Deutschen und ihre Angst vor der islamischen Gewalt.“ Die Sorge vor einer Überfremdung werde in Ost- und Mitteleuropa geteilt und die „ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen ist deshalb nahezu deckungsgleich“.

Vielleicht auch deswegen hat die tschechische Regierung von einem im Fernsehen angekündigten Refererendum über die Aufnahme von Flüchtlingen wieder Abstand genommen. Der Bürgerentscheid hätte zu deutlich ausfallen können und damit für unerwünschte Schlagzeilen in den Nachbarländern gesorgt, deren Regierungen ihre Bevölkerung nicht gefragt haben, aber brav Flüchtlinge aufnehmen.

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