© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/15 / 16. Januar 2015

Fußballtips werden zum Exportschlager
kicktipp.de: Der Zwei-Mann-Betrieb aus Düsseldorf expandiert mit seinem Geschäftsmodell im Ausland
Christian Schreiber

Die große Welt des Fußballs spielt sich auf wenigen Quadratmetern in einem Düsseldorfer Büro ab. Dort residiert Janning Vygen, ein 42jähriger, der von sich selbst sagt, daß er „nicht einmal der ganz große Fußball-Experte ist“. Das Programmieren und Rumspielen am Computer hat ihm schon als Jugendlicher Freude bereitet, dabei studierte er zunächst Jura.

In den neunziger Jahren kam in seinem Freundeskreis beim Bier die Idee auf, ein Bundesliga-Tippspiel zu machen. „Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, daß dies solche Kreise zieht“, sagte Vygen dem Handelsblatt. Irgendwann hatte er auf eine Zettelwirtschaft keine Lust mehr, zumal immer mehr Personen aus seinem Umfeld auf sein Tippspiel aufmerksam wurden. Im Jahr 2000 gründete er schließlich eine Werbeagentur und ließ sich die Domain kicktipp.de als Marke eintragen. Mittlerweile kümmern er und ein Mitarbeiter sich hauptberuflich um die Seite. Bei kicktipp.de können angemeldete Nutzer eigene Tippspiele rund um Fußball oder auch mit anderen Sportarten organisieren, die Nutzung ist kostenlos. Neben diesem Bereich bietet Kicktipp auch kostenpflichtige Profipakete an. Allerdings keine Sportwetten à la tipico, bwin oder mybet. Hier wird nicht um Geld gespielt. Dieses Produkt richtet sich vornehmlich an Unternehmen, die diese Spiele mit einem eigenen Design versehen und auf der eigenen Internetseite integrieren können.

Bis zu 30.000 Tipper können beim werbefreien Profipaket mitspielen. „Das kann der kleine Baumarkt sein, aber auch der Versicherungsmakler. Das geht hoch bis zu wirklich großen Unternehmen, die das bei sich auf der Seite einbauen“, sagt Vygen. Der Gratis-Bereich wird zudem durch Werbeanzeigen finanziert.

Mund-zu-Mund-Propaganda trägt zur Verbreitung bei

Der Bekanntheitsgrad ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, eigene Werbemaßnahmen trifft das Kleinunternehmen keine. „Die Nutzer laden ihre Freunde in eine Tipprunde, das funktioniert wie von selbst“, sagt Vygen, der das Angebot im Laufe der Zeit immer weiter professionalisiert hat.

Jede Tipprunde kreiert ihr eigenes Tippspiel und stellt dafür eigene Regeln auf oder übernimmt die Kicktipp-Muster. Die einzelnen Tippspiele erhalten somit eigene Punkte- oder Quotenregeln, und die Punkteberechnungen erfolgen automatisch. Pro Gemeinschaft ist eine Teilnehmerzahl von 300 Personen möglich. Die Spielauswertungen erfolgen live und in Echtzeit. Kicktipp ist mobil erreichbar und läßt sich auch mit Tablets und Smartphones betreiben, mittlerweile gibt es eigene Apps. Echte Kenner schwören allerdings auf die herkömmliche Webseite, weil sie übersichtlicher ist. Zudem bleibt die App manchmal hängen.

Derzeit tippen auf dem Server rund zwei Millionen Nutzer in 200.000 Tipprunden. „Es hat sich etabliert, daß die Teilnehmerzahlen bei der Bundesliga recht konstant sind, das hat schon fast eine Tradition. Bei Events wie einer Weltmeisterschaft ist die Resonanz natürlich noch größer“, erklärte Vygen in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk. Im Juni 2014, während der WM in Brasilien, zählte die Seite 113 Millionen Klicks.

Aus einer studentischen Schnapsidee ist mittlerweile ein ertragreicher Beruf geworden. Mehr als 700.000 Euro setzt das kleine Düsseldorfer Unternehmen derzeit um, Tendenz steigend. Sich selbst bezeichnet der Gründer als eher konservativen, zurückhaltenden Typ. Neuen Trends gegenüber ist er skeptisch. Die eigene Facebook-Seite wird nur rudimentär gepflegt, er will die Funktionen so einfach wie möglich halten.

„Wir haben diese ganzen Hypes links und rechts liegenlassen. Jeder fragt mich immer, wieso ich mein Unternehmen nicht auf Facebook plaziere. Und vorher haben sie genau das auch zu StudiVZ und MySpace gefragt. Ich habe von diesen Dingen schon so viele kommen und gehen sehen, daß ich mir manchmal vorkomme wie ein Opa“, sagt Vygen, der seine Idee „als gut, aber auch nichts Spektakuläres“, bezeichnet.

Hohe Nutzerzahlen sind nicht alles

In den vergangenen Monaten hat er erste Schritte gemacht, um das Unternehmen auch auf dem ausländischen Markt zu plazieren. In Deutschland hat Kicktipp mittlerweile quasi eine Monopolstellung. Zwar existieren einige kleinere Anbieter, aber diese erreichen längst nicht die Weite von Vygens Projekt. Ein selbsternannter Konkurrent tipp17.com hat seinen Dienst im August 2014 wieder eingestellt. Andere Seiten wie tippcorner.de verlinken direkt auf Kicktipp. Hohe Benutzerzahler haben allerdings andere Seiten, die verschiedene Tippdienste anbieten, wie die nutzerstarken Sportportale von Bild, Kicker und Sport1. Sie alle bieten dem Nutzer aber vorgefertigte Systeme an, die Möglichkeiten, individuell zu agieren, sind stark eingeschränkt. Darauf basiert wohl der Erfolg von kicktipp.de, dessen Gründer Vygen teilweise die Angst beschleicht, „die Leute könnten keine Lust mehr auf Tippen haben“.

Daß kicktipp.de bereits mehrfach unter den Top10 der meistaufgerufenen Internetseiten in Deutschland landete, hat den Bekanntheitsrad und die Werbewirksamkeit immens steigen lassen. Stellt sich die Frage, ob Janning Vygen weiter Einzelkämpfer bleiben kann oder irgendwann von einem Großkonzern geschluckt wird? „Ich mache mir wenig Gedanken um die Zukunft, ich lebe lieber in den Tag hinein“, sagte er dem Portal goal.com.

www.kicktipp.de

www.tippcorner.de

www.tip4free.de

 

Private Wettanbieter unter Druck

Bei Anbietern wie kicktipp.de wird nicht um Geld gespielt. Deswegen ist es auch eine vergleichweise kleine Branche. Kommerzielle Sportwetten dagegen ziehen zwar nicht unbedingt mehr Leute an, setzen aber mehrere Milliarden um. Wie hoch die Summe genau ist, ist unbekannt, da viele Wetten bei im Ausland ansässigen Anbietern abgeschlossen werden. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Goldmedia wurden 2012 in Deutschland mit Sportwetten 6,8 Milliarden Euro umgesetzt, mehr als die Hälfte davon (3,7 Milliarden) wurde online plaziert.

Seit Jahren beschäftigen sich hohe und höchste Gerichte mit kommerziellen Wettanbietern wie bwin. Der Europäische Gerichtshof hat 2010 das deutsche Glücksspielmonopol gekippt und den Weg für private Anbieter freigemacht. Seitdem versucht der Staat das Geschäft zu regulieren, um selbst weiter abkassieren zu können. Nach dem EuGH-Urteil sollten Lizenzen vergeben werden, aber das ist bislang nicht passiert. Durch den Streit zwischen den Bundesländern mischt sich der Staat derzeit nicht in die Gestaltung der Sportwetten ein. Noch nicht.

Foto: Fußballstadion: Wenn am Wochenende die Bundesligaspiele laufen, starren Zehntausende nicht mehr nur auf den Platz – sondern ihr Handy

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