© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

„Nicht nur Haßkappen“
Ist Pegida rassistisch, fremden- und islamfeindlich? Nein, widerspricht der Politologe Werner Patzelt, der die Bewegung intensiv beobachtet. Medien, Politik und Gegendemonstranten zeichnen ein Feindbild
Moritz Schwarz

Herr Professor Patzelt, sind die Pegida-Demonstrationen illegitim?

Patzelt: In einer Demokratie sind Demonstrationen des Volkes immer legitim.

Warum erwecken dann die meisten Politiker, Medien und öffentlichen Institutionen, die sich dazu äußern, diesen Eindruck?

Patzelt: Weil es eine wachsende Tendenz gibt, Debatten über unliebsame Themen und Positionen zu unterbinden.

Ist das mit den Prinzipien des demokratischen Diskurses vereinbar?

Patzelt: Nein. Das ist eine unheilvolle Entwicklung unserer politischen Kultur, die ihrerseits unterlaufen werden sollte.

Verhalten sich also jene, die im Namen der Demokratie die Pegida-Demonstrationen ächten, selbst undemokratisch?

Patzelt: Natürlich gibt es Behauptungen, deren ernsthafter Diskussion man sich mit guten Gründen verweigern darf – etwa, die Erde wäre eine Scheibe. Derart Unsinniges bringen die meisten Pegida-Leute aber gar nicht vor. Also widerspricht es den Leitgedanken pluralistischen Diskurses, sich überhaupt nicht ums Verstehen bemüht auf Pegida einzulassen. In einer Demokratie ist derlei nicht in Ordnung.

Allerdings formuliert Pegida laut Kritik Inhalte, die „fremden- und islamfeindlich“, „verhetzend“ und „rassistisch“ sind. Ist dann Ächtung nicht sogar geboten?

Patzelt: Man muß sich gegen Rassismus und Volksaufhetzung stellen! Man sollte aber derlei Dinge einem Gegner nicht einfach wie ein unveränderliches Merkmal unterstellen. Im übrigen sollte man sich an Voltaire halten: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich würde mein Leben geben, damit Sie sie äußern dürfen.“

Pegida hat ihre Forderungen in „19 Punkten“ zusammengefaßt. Lassen diese eine Qualifizierung als fremden- und islamfeindlich, verhetzend oder rassistisch zu?

Patzelt: Nein. Zum großen Teil entspricht ihr Inhalt sogar gesellschaftlichem Konsens. Allerdings wurden diese 19 Punkte nie bei einer Pegida-Demonstration verlesen, so daß sie durch Beifall oder Buhrufe der Demonstranten als deren tatsächliche Positionen hätten beglaubigt werden können.

Im Klartext, die Organisatoren haben es versäumt, sich ein Mandat für die 19 Punkte geben zu lassen?

Patzelt: Ja, und deshalb bleiben sie nur Papier. Zur politischen und medialen Einordnung Pegidas haben sie praktisch nichts beigetragen.

Entsprechen denn die bei Pegida gehaltenen Reden den Inhalten der 19 Punkte? Oder lassen diese vielleicht eine Bewertung als rassistisch, fremden- und islamfeindlich zu?

Patzelt: Die Inhalte der Reden wechselten – bei meinen Besuchen – von Mal zu Mal. Inhaltlich reichte die Spannweite von Selbstbestärkung der Demonstrierenden über das – in Deutschland zum letzten Mal in der 1968er Revolution gepflogene – Beschimpfen der „Lügenpresse“ bis hin zur aufhetzenden Politik- und Politikerkritik. Letzteres ist der Grundton der Reden. Am als fehlerhaft empfundenen Umgang mit Einwanderung sowie an – oft nur vermeintlichen – Sonderwünschen von Muslimen entzündet sich nur die Empörung über Deutschlands politische Klasse. „Islamisierungsfurcht“ ist nicht das zentrale Motiv, und platte „Islamfeindlichkeit“ auch nicht.

So stellen es die meisten Medien aber dar. Stimmt das gar nicht?

Patzelt: Nein. Das sind zwar auch Themen bei Pegida, aber nicht die zentralen. Im Mittelpunkt steht die große Unzufriedenheit mit dem Staat, der politischen Klasse und den Medien. Vielleicht versteht man Pegida am leichtesten als „68er-Revolte von rechts und unten“.

Die Reden lassen eine Bewertung als extremistisch oder islamfeindlich nicht zu?

Patzelt: Das eine sind die gehaltenen Reden, das andere manche hochgehaltenen Plakate, und ein drittes sind die mitunter sehr emotionsgetragenen Gespräche von Demonstranten. Von Einzelfällen abgesehen und im Durchschnitt scheint es mir so zu sein: Allgemeine Islamfeindlichkeit gibt es nicht, Ablehnung einer Anpassung heimatlicher Kulturmuster an muslimische Vorstellungen – und eben das meinen die meisten Pegida-Leute mit „Islamisierung“ – findet sich aber allenthalben; Extremismus im Sinn einer Ablehnung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird von einem kleinen Teil der Teilnehmer ausgedrückt, Verachtung für unser reales politisches System aber von sehr vielen. Und die Organisatoren betonen bei ihren Reden immer wieder, daß Pegida nicht gegen Kriegsflüchtlinge und berechtigt Asylsuchende ist, ja daß man es sogar als menschliche Pflicht betrachtet, wirklich Verfolgte aufzunehmen. Wogegen man sich aber unter besonders großem Beifall wendet, ist die Duldung sogenannter „Wirtschaftsflüchtlinge“ sowie der weitgehend praktizierte Verzicht darauf, abgelehnte Asylbewerber zeitnah in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken.

Worauf aber gründet dann die Qualifizierung Pegidas in den Medien? Bleiben ja nur noch die teilnehmenden Bürger.

Patzelt: Diese Deutungen haben sich sehr früh festgesetzt. Für sie fanden sich auf seiten emotionalisierter Demonstranten auch gar nicht wenige Belege. Damit schien alles klar erwiesen. Weil die Organisatoren sich wochenlang dem Gespräch mit Journalisten verweigerten, blieb es eben bei jenen Etiketten. Sie klingen auch klarer als Bezeichnungen wie „rechtsbürgerliche Protestbewegung“ und eignen sich deshalb gut für knappe Beurteilungen. Und sie sind willkommen als besonders plausible Legitimation jeder Form des Kampfes gegen Pegida – von Sprechchören gegen das „Faschistenpack“ bis hin zu Morddrohungen gegen „Feinde des Islam“.

Rechtfertigen die Teilnehmer nun nach Ihrer Ansicht die Qualifizierung Pegidas als fremden- und islamfeindlich, oder nicht?

Patzelt: Nein. Vielleicht merkt ja einmal auch die Bundeskanzlerin, daß da nicht einfach nur Haßkappen herumlaufen, sondern Leute, die mit einiger Mühe auch als CDU-Wähler zu gewinnen wären.

Laut einer Studie der TU Dresden haben sich 15 Prozent der Pegida-Demonstranten „ausländerfeindlich“ geäußert, so der Leiter der Studie. Also ein Wert entsprechend dem, der in etwa allgemein für die Bevölkerung gilt. Wieso wird eine Bewegung, die nicht mehr „Ausländerfeinde“ aufweist als die Normalbevölkerung, von den Medien in toto als fremdenfeindlich bezeichnet?

Patzelt: Tja, das fragen Sie die Medien!

Fazit: Laut Ihrer Beobachtung geben weder die 19 Punkte noch die gehaltenen Reden, noch die Einstellung der Teilnehmer die pauschale Qualifizierung als fremden- und islamfeindlich oder rassistisch her.

Patzelt: So ist es.

Woher rührt dann diese Darstellung?

Patzelt: Sehr viele Medien und ein Großteil der Politiker verstehen sich als Verteidiger folgenden bundesdeutschen Konsenses: Linke Positionen sind gut, mittige Positionen auch; alles rechts der Mitte aber ist problematisch, weil es dann gleichsam einen unwiderstehlichen Sog hin zum „Rechtspopulismus“, Rechtsextremismus und Nazismus gibt. Was sich rechts der Mitte artikuliert, ist also vermutlich falsch und tendenziell feindlich; und was man als klar rechts erkennt, das ist dann auch schon faschistisch. So ruft man den Pegida-Leuten zu: „Nazis raus!“ Auf der Straße mit dem Stinkefinger, und in den Medien in Form freundlicher Berichterstattung über Pegida-Gegner.

Demnach stellen die Medien nicht dar, was ist, wie es ihre Aufgabe wäre, sondern zeichnen stattdessen ein vorgefaßtes Bild?

Patzelt: Tatsächlich sind die Medien Pegida von Beginn an mit dem üblichen Deutungsinstrumentarium des gerade umrissenen Konsenses gegenübergetreten. Der ist zwar geschichtlich verständlich und hat seine moralischen Meriten. Doch führte es zu einer falschen Einschätzung von Pegida – und hat den Organisatoren immer mehr Demonstranten zugetrieben, die empört zeigen wollen, daß sie eben keine Neonazis sind.

Haben also die Pegida-Demonstranten mit ihrer vulgär formulierten Medien-Kritik – „Lügenpresse“ – folglich recht?

Patzelt: Zumindest kann man verstehen, daß sie sich verleumdet fühlen. Man muß sie aber daran erinnern, daß Pegida selbst an solchem Un- oder Mißverständnis nicht unschuldig ist. Denn zu Beginn, als sich nur 300 bis 600 Leute zu den „Abendspaziergängen“ aufmachten, waren tatsächlich nicht wenige stadtbekannte Rechtsextremisten dabei. Der Anfangsverdacht war also begründet. Anschließend, als sich Pegida weiterentwickelte, haben die Medien nicht mehr genau genug hingesehen und wurden Journalisten von Pegida ja auch in keiner Weise motiviert, ihr gekonnt verfertigtes Feindbild zu überprüfen. Es war ein allzu bequemer Fehler, sich einfach einzuigeln und hinter aggressiven „Lügenpresse!“-Vorwürfen zu verschanzen.

Sie reklamieren ernstlich, das einfache Volk habe die Profis von der Presse an der Hand zu nehmen und ihren Beruf zu erklären?

Patzelt: Nein, aber Journalisten sind doch auch manchmal Gefangene ihrer Weltbilder – und insbesondere dann, wenn sie im Grunde doch nur Gutes wollen, nämlich unsere freiheitliche, weltoffene Ordnung zu verteidigen. Pegida wäre gut beraten, mit der Kritikerrolle von Journalisten konstruktiv umzugehen, statt zu trotzen und zu schmollen. Immerhin scheint sich nun beiderseits manches aufs Normale hin zu verändern.

Inwiefern? Die großen Medien qualifizieren Pegida weiter meist als rechtsextrem.

Patzelt: In der Auslandspresse und in sächsischen Zeitungen lese ich Differenzierteres als in der bundesweiten Presse. Und ich kann wirklich nicht behaupten, Hörfunk und Fernsehen hätten Leuten wie mir zu wenige Möglichkeiten einer differenzierten Beurteilung gegeben. Doch gewiß haben die großen Medien bei der Korrektur von Deutungsfehlern die Beweglichkeit eines Tankers.

Und um die geht es. „‘Bild’, ‘Bams’ und Glotze“ – das sind, laut Ex-Kanzler Gerhard Schröder, die Medien, die zählen.

Patzelt: Ja, die tun sich mit einer realistischen Darstellung Pegidas schwer – und entsprechend aufgeladen sind die Beziehungen zwischen Pegida-Sympathisanten und Pegida-Gegnern.

Was ist die Folge, wird Pegida weiter als fremden- und islamfeindlich dargestellt?

Patzelt: Es wird immer heftigere Gegendemonstrationen geben, es kam auch schon zu Attentatsdrohungen und Demonstrationsverboten – womöglich wird Pegida bald von den Straßen gescheucht. Anschließend wirkt die in Pegida zum Ausdruck kommende Unzufriedenheit nicht weniger Bürger mit unserer Politik als Schwelbrand in der Gesellschaft weiter. In einer Mischung aus zunehmender Wahlabstinenz und Stimmvergabe an Protestparteien werden sich die noch weitergehenden Folgen zeigen.

Einwanderern präsentiert man in den Medien eine „fremdenfeindliche“ Großdemonstration, die, wie Sie sagen, so nicht existiert. Vergiften also die Medien und nicht Pegida die weltoffene Stimmung in Deutschland?

Patzelt: Da ist etwas dran. Abgewogener formuliert: Viele Medien und noch mehr Pegida-Leute haben sich da unter Inkaufnahme erheblicher Kollateralschäden ineinander verbissen.

Erzeugen die Medien, was sie Pegida vorwerfen, Bedrohungsgefühle für Ausländer?

Patzelt: Medien erzeugen Wirklichkeitsbilder. Wenn in diesen Bildern Pegida wie ein übers Land fegender Sturm erscheint, der Leib und Leben von Ausländern zu versehren droht, kann es vorkommen, daß man sich auch dort vor bösen Wölfen fürchtet, wo keine Wölfe herumstreifen. Tatsächlich entsprach das Medienbild von Pegida vielfach nicht dem, was man real auf den Straßen sehen konnte. Wir dürfen aber auch nicht das Internet als Quelle von Wirklichkeitsbildern übersehen. Und da verbreiten Pegida-Leute schon auch ziemlich viel Er- und Abschreckendes.

Unverständlich, daß in einer Gesellschaft, der das Sicherheitsgefühl von Einwanderern als höchstes Gut gilt, die Medien dieses zerstören, indem sie eine wachsende Demonstrationsbewegung fälschlich als fremdenfeindlich darstellen.

Patzelt: Derlei Dämonisierung ist es ja auch, die viele Pediga-Leute so wütend macht. Das ist auch einer der Gründe für ihre oft herangezogenen DDR-Vergleiche: Damals ging es gegen den Klassenfeind, jetzt gegen den Menschheitsfeind – und beide Male, ohne daß Politiker und „Staatsmedien“ genau hinsähen, wen sie tatsächlich vor sich hätten, nämlich „das Volk“. Und natürlich gab es in der DDR auch Klassenfeinde. So wie es unter Pegida-Demonstranten auch solche mit fremdenfeindlichen und Anti-Islam-Einstellungen gibt.

Locken die Medien mit ihrer fremden- und islamfeindlichen Darstellung Pegidas nicht genau solche Leute an – über die sie sich dann empören, wenn sie sie dort vorfinden?

Patzelt: Natürlich. Wollen sich Radikale endlich in großer Gesellschaft erleben, dann gehen sie doch erst recht zu Veranstaltungen, die als Treffpunkt von Radikalen geradezu beworben werden. Wobei man sagen muß, daß sich Pegida trotzdem nicht radikalisiert, ja sich nach Auftreten und Reden einstweilen sogar entradikalisiert hat. Obendrein ist der Anteil – wohl nicht aber die Anzahl – echter Rechtsextremisten auf den Demos aufgrund des allgemeinen gewaltigen Zulaufs in Dresden deutlich gesunken.

Wie gefährlich ist es für Pegida, weiter als islamfeindlich dargestellt zu werden?

Patzelt: Es ist gefährlich, weil zornige junge Männer gerade auch islamischen Glaubens damit zu Taten nachgerade befeuert werden, die weitere „Islamkritik“ verhindern sollen. Das nötig gewordene Demonstrationsverbot vergangenen Montag belegt die Stichhaltigkeit dieser Sorge. Es wäre besser, würden auch Medien und Politiker bei ihrer Pegida-Kritik zwischen „Islamfeindlichkeit“ und „Islamisierungsfeindlichkeit“ unterscheiden.

Folglich haben die Medien eine Mitschuld an den Terrordrohungen gegen Pegida?

Patzelt: Nicht nur die Medien, sondern auch jene Politiker und jener Teil der Gegendemonstranten, die Pegida wie eine Ausgeburt des schlechthin Bösen und rundum Abzulehnenden dargestellt haben. Dann muß man sich über einen anschließend überschießenden konkreten „Abwehrkampf der Guten“ nicht wundern. Natürlich hat auch Pegida es versäumt, rechtzeitig zu deeskalieren. Hoffen wir, daß bald auf allen Seiten Besinnung einkehrt und Mäßigung eintritt.

Ist Pegida nun gescheitert?

Patzelt: Ich meine nicht. Schon aus trotziger Solidarisierung wird man nächsten Montag unter geeigneten Sicherheitsauflagen weitermachen. Pegida ist gerade durch Reaktion auf Angriffe groß geworden! Und übersehen Sie nicht: Pegida besteht vor allem aus Männern, und Männergruppen neigen dazu, mutverlangende Situationen als eine Herausforderung anzunehmen, die es eben zu bestehen gilt.

 

Prof. Dr. Werner Patzelt, gilt als „intensiver Beobachter“ (Spiegel) und Experte für die Pegida-Bewegung, der vor allem durch seine zahlreichen TV-Auftritte zum Thema in den letzten Wochen bundesweit bekannt geworden ist. In Sachsen gehört der Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Dresden schon lange zu den medial gefragtesten politischen Beobachtern des Freistaats. 1953 in Passau geboren, war er nach der Wende Gründungsprofessor des Instituts für Politikwissenschaft an der TU, der größten Uni in Sachsen, und hat dort seit 1992 den Lehrstuhl für Politische Systeme und Systemvergleich inne. 1994 erhielt er den Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages für seine Arbeit „Abgeordnete und Repräsentation. Amtsverständnis und Wahlkreisarbeit“. Er sitzt außerdem im Kuratorium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung und federführender Herausgeber der „Studien zum Parlamentarismus“ sowie Mitherausgeber der Buchreihe „Politikwissenschaftliche Theorie“.

Foto: Pegida-Demonstration: „Als Ausgeburt des schlechthin Bösen und rundum Abzulehnenden dargestellt“

 

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