© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Tief verstrickt
NSU-Prozeß: Die Aussage des V-Mannes „Piatto“ gewährt einen umfangreichen Blick in das Innere der rechtsextremistischen Szene
Hinrich Rohbohm

Volles dunkles Haar, Brille, leichter Vollbart, etwas füllig um die Hüften. Dazu ein schwarzes Sweatshirt mit Kapuze tragend, die er sich beim Betreten des Saales über den Kopf stülpt. Es ist das zweite Mal, daß der einstige V-Mann Carsten S. mit dem Decknamen „Piatto“ im NSU-Prozeß vor dem Münchner Landgericht aussagt.

Die Haare sind eine Perücke. Ebenso gehören Brille und Vollbart zur Verkleidung des Mannes, von dem sich vor allem die Nebenklage erhofft, eine Verbindung des mutmaßlichen Terrortrios zur gewaltbereiten Neonazi-Szene nachweisen zu können. „Piatto“ war seit 1994 für den brandenburgischen Verfassungsschutz tätig. Die Initiative zur Zusammenarbeit mit der Behörde war von ihm selbst ausgegangen. Eine Kooperation, die nicht unumstritten ist.

Plötzlich interessiert sich Zschäpe für den Prozeß

Denn Carsten S. war wegen Mordversuchs an einem Nigerianer zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden. Doch weil die von ihm gelieferten Informationen für die Potsdamer Behörde von hohem Wert waren, hielt sie die Zusammenarbeit aufrecht.

Unentwegt hält sich „Piatto“ die linke Hand vor seinen Hals und sein Gesicht. Wenn er aufsteht, um sich am Gerichtspult Beweisfotos anzusehen, achtet er darauf, daß sein Kapuzen-Sweatshirt vollständig den Hals verdeckt. Verbirgt er eine markante Tätowierung, die seine Identität verraten könnte?

Sein einstiger V-Mann-Führer, der heutige sächsische Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath hatte vor dem NSU-Untersuchungsausschuß von einem Quantensprung an neuen Erkenntnissen gesprochen, die seine Behörde durch „Piatto“ gewonnen hätte. Bereits im August 1998 hatte der Zeuge dem Inlandsgeheimdienst mitgeteilt, daß ein „Blood and Honour“-Führer aus Chemnitz beauftragt worden sei, Waffen für das mutmaßliche Terrortrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zu besorgen.

Zschäpe, die sonst meist den Verhandlungsverlauf ignoriert und sich stattdessen lieber mit ihrem Laptop beschäftigt, schenkt der Aussage des einstigen V-Manns ihre volle Aufmerksamkeit. Der Computer vor ihr ist zugeklappt. Unentwegt fixiert sie „Piatto“, der sich in einem Zeugenschutzprogramm befindet und heute an einem geheimgehaltenen Ort lebt.

Bereits im November vorigen Jahres hatte der ehemalige V-Mann aussagen sollen. Doch der Termin platzte, Zschäpe hatte sich am Tag der Vernehmung von Carsten S. plötzlich krank gemeldet. Für die 40jährige könnten sich die Aussagen des Zeugen durchaus belastend auswirken, sollte sich daraus ergeben, daß das Trio Verbindungen zur gewaltbereiten Neonazi-Szene hatte.

So verfügt „Piatto“ über Insider-Informationen zur neonazistischen Terrororganisation „Combat 18“, die als bewaffneter Arm des rechtsextremen Netzwerks „Blood and Honour“ gilt. Die aus Großbritannien stammende Gruppe habe in Teilen der deutschen rechtsextremistischen Szene als Vorbild gedient, erzählt der Zeuge, der sich zudem an Gespräche über den Aufbau von „Combat 18“-Gruppen in Deutschland erinnert. Auch mit den „White Knights of the Ku Klux Klan“, einer der radikalsten Gruppen innerhalb des Ku-Klux-Klans, stand „Piatto“ in Verbindung. „Vorbild für die Raubüberfälle der rechtsextremen Szene war England, also für die radikalere Szene“, erklärt er auf Nachfrage einiger Nebenkläger-Anwälte. In diese Szene involviert, gab „Piatto“ dem Verfassungschutz 1998 einen brisanten Hinweis: Eine Waffe und ein Paß solle für die weibliche Person des Terrortrios beschafft werden. Eine Chemnitzer Neonazi-Gruppe aus dem Umfeld von „Blood and Honour“ und „Combat 18“ würde hierfür Geld sammeln.

„Ich weiß, daß es um ein Gewehr ging“, sagt „Piatto“ heute. Doch an Details könne er sich nicht mehr erinnern. Auch daß seine damalige Freundin Christiane S. eine rechtsextreme Frauenschaft gegründet habe, an der auch „eine Frau aus Thüringen“ beteiligt gewesen sein soll, will er nicht bestätigen. An einen Auftrag, drei sächsische Skins zu beobachten, kann er sich ebenfalls nicht erinnern. Bei ihnen soll es sich angeblich um Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehandelt haben. Lediglich, daß in der Szene des öfteren von einem sogenannten Tag X die Rede war, bestätigt Carsten S. „Ich habe diesen Tag allerdings als Tag des Zusammenbruchs verstanden, nicht als Tag des nationalsozialistischen Aufstands.“ Angesichts der Erinnerungslücken des Zeugen dürfte Beate Zschäpe aufatmen. Denn dadurch ist es der Nebenklage nicht eindeutig gelungen, ihr eine Verbindung zur militanten rechtsextremistischen Szene nachzuweisen.

Linksextremisten demonstrieren

In dieser Woche sprechen nun die Opfer des Nagelbombenanschlags von Köln vom 9. Juni 2004. Nebenkläger-Anwalt Alexander Hoffmann, der einst auch als Verteidiger der linksextremen „Militanten Gruppe“ fungierte, hatte die Anschläge als Tat bezeichnet aus der „eindeutig eine Tötungsabsicht und ein Vernichtungswille“ sprächen und die „objektiv geeignet war, maximalen Personenschaden hervorzurufen.“

Das linksradikale „Bündnis gegen Naziterror und Rassismus“ will die emotional aufgeladene Stimmung bei Opfern und ihren Angehörigen für ihre Zwecke mit einer Kundgebung vor dem Münchner Oberlandesgericht und einer Demonstration durch die Innenstadt nutzen. Ein Ende des Prozesses ist derweil noch nicht absehbar. Verhandlungen sind bis ins 2016 terminiert.

Foto: V-Mann „Piatto“ als Zeuge in München: Erinnerungslücken

 

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