© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

So richtig funktioniert die Demokratie nie
Thailand-Reportage: Nicht die Machtübernahme der Militärs, sondern die Sorge um den König trübt die Stimmung im Land des Lächelns
Hinrich Rohbohm

Seine Stimme ist leise, fast ein Flüstern. Wenn Thanasak spricht, dann blickt er sich immer wieder verstohlen um. Der 35jährige will nicht viel von sich preisgeben. Er nippt an seinem Eistee und blickt auf den Chao Praya, den Fluß, der sich durch Thailands Hauptstadt schlängelt. Mehrere Langboote tuckern auf dem Gewässer vorbei, während der Betreiber eines Internetcafés einmal kräftig Luft holt, ehe er zu sprechen beginnt.

„Du mußt wissen, ich bin eigentlich ein beigeisterter Anhänger von Thaksin“, beginnt er. Der Multimilliardär und einstige Premierminister von Thailand ist noch immer eine Reizfigur in dem 65 Millionen Einwohner zählenden Land. Jahrelang dominierte er die Politik des Landes, ehe ihn das Militär 2006 stürzte. Seitdem lebt der 65jährige im Exil. Doch sein Einfluß auf die Politik ist nach wie vor vorhanden. Seit seinem Abgang ist das Land gespalten. Ein Machtkampf tobt, in dem mal die Rothemden und mal die Gelbhemden die Oberhand haben. Die Rothemden, das sind die Anhänger Thaksin Shinawatras, die Gelbhemden seine Gegner.

Bis auf weiteres regiert General Chan-ocha

Zu Beginn des vergangenen Jahres deutete einiges auf eine Rückkehr des Unternehmers hin. Seine Schwester Yingluck hatte die Parlamentswahl gewonnen, wurde neue Premierministerin und damit Nachfolgerin des aus den Reihen der Gelbhemden stammenden Abhisit Vejajiva. Die neue Regierung hatte bereits ein Amnestiegesetz für Thaksin in der Schublade, das ihm eine straffreie Rückkehr ermöglich hätte.

Ein Vorgang, der unter den Gelbhemden einen Proteststurm auslöste. Unter der Führung von Thaugsuban organisierten sie Massendemonstrationen, blockierten die Hauptverkehrsstraßen Bangkoks und versuchten, den Sitz der Premierministerin zu stürmen. Daraufhin hatten auch die Rothemden zu Massenkundgebungen aufgerufen. Zu Tausenden reisten sie aus ihren Hochburgen im Norden und Nordosten des Landes in die Hauptstadt. Ein Bürgerkrieg drohte auszubrechen. Unruhen, wie die vom Mai 2010, als seinerzeit die Rothemden Bangkoks Finanzviertel besetzt hatten, Hochhäuser in Brand setzten und sich Schießereien mit Regierungstruppen lieferten.

„Es ist gut, daß es nicht wieder soweit gekommen ist“, sagt Thanasak. Im Mai vorigen Jahres hatte das Militär in Thailand die Macht übernommen. Es setzte Yingluck Shinawatra als Premierministerin ab und nahm ebenso den Oppositionsführer Suthep Thaugsuban in Gewahrsam. Seitdem gilt das Kriegsrecht im Land – die Weltpresse schimpft über die Abschaffung der Demokratie, spricht von Diktatur und Militärjunta.

General Prayuth Chan-ocha jedoch begründete diesen Schritt damit, Sicherheit, Recht und Ordnung aufrecht­erhalten zu wollen. Am 22. Mai erklärte Chan-ocha, daß die Armee bis auf weiteres die Regierungsgewalt übernehme.

„Wahrscheinlich war es der einzige Weg, um Frieden zu schaffen“, erzählt Thanasak. Es sind ungewöhnliche Worte für einen Rothemden-Anhänger. Schließlich hatte auch er Yingluck Shinawatra gewählt und unterstützt. „Natürlich wünsche ich mir meine Regierung zurück. Andererseits bin ich froh, daß nun erst mal Ruhe eingekehrt ist.“

Was in Europa und vor allem in Deutschland oft als Ende der Demokratie angesehen wird, ist in Thailand nichts Ungewöhnliches. Denn so richtig funktioniert hat die Demokratie in Thailand eigentlich noch nie. Immer wieder wurde sie von Korruptionsskandalen erschüttert. Konstant hingegen waren in der Geschichte des Landes jedoch stets drei Insitutionen: der König, der Buddhismus und das Militär. Letzteres hatte seit der Einführung der Demokratie 1932 schon achtzehnmal die Macht übernommen. Oftmals dann, wenn sich die Demokratie in einer kritischen Phase befunden hatte. Stets wurde sie jedoch nach einer Zeit der Konsolidierung an die Demokraten zurückgegeben.

Es ist der schon seit Jahrzehten andauernde Teufelskreis des thailändischen Parlamentarismus. Eine neue Verfassung wird ausgearbeitet, die sich an den Vorbildern westlicher Demokratien orientiert. Die gewählte Regierung verstrickt sich im Laufe der Jahre immer weiter in einem Sumpf von Begünstigungswirtschaft und Korruption, was zu Unruhen führt, die zu eskalieren drohen. Schließlich übernimmt das Militär die Macht, sorgt für Ruhe und Ordnung, aber auch für eingeschränkte Meinungsfreiheit. Nach einer Übergangsphase beginnt das Spiel von neuem.

„Ja, es herrscht jetzt Ruhe und Ordnung, und auch unter den Rothemden gibt es Leute wie mich, die das befürworten. Aber es ist ein bitter schmeckender Frieden, weil er uns aufgezwungen wird“, erklärt Thanasak. So sei es nicht mehr ohne weiteres möglich, per Demonstration für seine Rechte einzutreten. Die Militärregierung unter General Prayuth Chan-ocha will erst Anfang 2016 eine neue Verfassung für das Land auf den Weg bringen. Bis dahin könnte das Kriegsrecht weiterbestehen.

Längst ist in den Straßen Bangkoks die Normalität zurückgekehrt. Aber es ist die Ruhe vor einem Sturm, den nicht nur Thailänder erwarten, sollte der schwer kranke und bei seinem Volk höchstes Ansehen genießende König sterben. Nicht wenige fürchten, daß der dienstälteste Monarch der Welt dieses Jahr nicht mehr überleben werde. An seinem 87. Geburtstag, am 5. Dezember, mußte er auf Anraten der Ärzte erstmals seine Ansprache an das Volk absagen. Eine Thronfolge zeichnet sich ab, die nicht konfliktfrei ablaufen dürfte. Denn im Gegensatz zu König Bhumibol Adulyadej ist Kronprinz Vajiralongkorn in der Bevölkerung umstritten. Die Frau des 62jährigen, Kronprinzessin Srirasmi, hatte kürzlich zudem ihre königlichen Privilegien verloren, nachdem herausgekommen war, daß ihr Onkel aufgrund von Geldwäsche, Ölschmuggel und Majestätsbeleidigung verhaftet wurde. Ein Ende der Ehe zeichnet sich ab.

Zudem gibt es auch im Königshaus unterschiedliche Auffassungen über Rot­hemden und Gelbhemden. Eine Änderung der Thronfolgeregelung würde somit zu einem heiklen Politikum. Während Vajiralongkorn als Sympathisant Thaksins gilt, setzte sich seine im Volk äußerst beliebte Schwester, Prinzessin Sirindhorn, für die Anhänger der Gelbhemden ein. Viele Thailänder würden zudem lieber die 58jährige als Thronerbin sehen. Das wäre zwar durchaus möglich, würde aber einen Affront gegen den Kronprinzen bedeuten und auch als politisches Signal gegen die Rothemden ausgelegt werden.

Die Rothemden warten auf ihre große Stunde

„Wenn der König stirbt, könnte es ungemütlich werden“, meint deshalb auch Manfred, ein deutscher Ingenieur, der sich in Thailand zur Ruhe gesetzt hat. Vor fünf Jahren hat er sich hier ein Apartment gekauft, das er gemeinsam mit seiner thailändischen Frau bewohnt. „An uns Ausländern geht der Konflikt ja eigentlich vorbei, alles ist so wie immer. Aber Touristen, die das Land nicht so gut kennen, sind schnell verunsichert, wenn sie in den Nachrichten etwas von Unruhen hören.“ Tatsächlich haben im vergangenen Jahr mit 24,7 Millionen Besuchern 6,6 Prozent weniger Touristen das Land des Lächelns besucht als 2013. Auch aus Deutschland kamen vier Prozent weniger als zuvor. „Noch ist es ruhig, aber da ist was im Busch“, ist der 69jährige überzeugt. Die Rothemden würden nun aus dem Untergrund heraus arbeiten und auf ihre große Stunde warten.

Eines dieser Untergrundzentren befindet sich in der sechsten Etage des Bangkoker Kaufhauses Imperial World. Symbolisch sind hier die Wände rot gestrichen, auch die Schaufenster und Anzeigenschilder sind in Rot gehalten. Über die thailändische Politik reden ist auch hier nur in gedämpfter Tonlage möglich. „Uns regiert die Angst, das ist der Preis für den Frieden“, sagt einer der Rothemden-Anhänger, der seinen Namen nicht verraten möchte. „Wir wollen unsere Regierung zurück, sie wurde rechtmäßig gewählt.“

Anhänger der Gelbhemden sehen das erwartungsgemäß anders. „Was ist daran rechtmäßig, wenn man sich seine Wählerstimmen einfach erkauft?“ fragt einer von ihnen und spielt damit auf die Thaksin-Milliarden an. Nicht zuletzt aufgrund der nach wie vor verhärteten Fronten und der ungewissen Thronfolge schreckt das Militär davor zurück, allzu rasch zur Demokratie zurückzukehren.

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