© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Pankraz,
St. Charbonnier und der Paragraph 166

Seitdem das Entsetzen über das islamistische Massaker an den Zeichnern des Pariser Satireblatts Charlie Hebdo ein wenig abgeklungen ist, meldet sich mit Lautstärke der alte Blasphemikerstreit zurück. Was darf die Kunst, was darf speziell die Satire? So fragen die einen, um sich sofort mit Pathos selber die Antwort zu geben: Alles darf die Kunst, alles darf die Satire, auch wenn es um Gott und die Religion geht. So fordern sie die Abschaffung des Paragraphen 166 StGB, der „Gotteslästerung“ unter Strafe stellt.

Andere wehren sich gegen eine alternativlose Abschaffung und beklagen, daß der Paragraph kaum noch angewendet wird, zumindest wenn es um die Verhöhnung des Christentums geht – bei Juden und Moslems sieht die Sache bekanntlich anders aus. Gut in Erinnerung ist noch der große Aufsatz Martin Mosebachs in der Berliner Zeitung, der 2012 viel Aufsehen erregte und in dem es unter anderem hieß: „Ich will nicht verhehlen, daß ich unfähig bin, mich zu empören, wenn in ihrem Glauben beleidigte Muslime blasphemischen Künstlern – wenn wir sie einmal so nennen wollen – einen gewaltigen Schrecken einjagen (…) Der Künstler, der in sich den Ruf fühlt, den Glauben derjenigen, für die Gott anwesend ist, verletzen zu müssen, der ist – davon bin ich überzeugt – dazu verpflichtet, diesem Ruf zu folgen. Die daraus entstehenden Unkosten wird er generös begleichen, auch wenn sie seine Existenz gefährden.“

Nach dem Massaker an Charlie Hebdo nehmen sich solche Sätze natürlich ziemlich makaber aus, zumal die „Unkosten“ im vorliegenden Fall ja keineswegs nur aus „Schrecken einjagen“ bestanden und auch die Existenz der Künstler keineswegs nur „gefährdeten“, sondern sie planvoll vernichteten. Dennoch ist die Causa „Blasphemiker-Paragraph oder nicht“ durch die Pariser Ereignisse alles andere als negativ entschieden, im Gegenteil, sie wurde durch sie ungeheuer angeschärft und schreit nun geradezu nach Entscheidungen in die eine oder andere Richtung.

Außer Deutschland haben auch viele andere „westliche“ Staaten Gotteslästerungsparagraphen, die Schweiz (§ 261 StGB), Irland (Artikel 40 der Verfassung), Österreich (§ 188/189 StGB). In Großbritannien wurde das „Blasphemy law“ zwar 2008 abgeschafft, aber gerade dort wie auch in den USA und anderen angelsächsisch geprägten Ländern wird frontale Gotteslästerung mit Hilfe anderer Beleidigungsparagraphen eindeutig konsequenter justifiziert als hierzulande.

Außerdem gibt es in England und in den USA bei den Medien und in Künstlerkreisen eine Art schweigende Verabredung, sich bei antireligiösen Karikaturen zurückzuhalten und sie in heiklen Fällen gänzlich zu unterlassen. Auch jetzt bei den Pariser Vorfällen war das zu beobachten. Zwar war das Mitleid für die Opfer des Massakers und der Zorn gegen die Attentäter groß, doch die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo wurden – im Gegensatz zu den Reaktionen in Frankreich oder Deutschland – nicht als legitimer Ausdruck von Meinungs- und Pressefreiheit gefeiert und als Vorbild hingestellt.

Hiesige Kommentatoren haben diese angelsächsische Haltung schon als schlimme Feigheit kritisiert, als Beispiel dafür, wie weit die Macht der Mullahs schon in westliche Länder hineinreiche und deren deklarierte Meinungsfreiheit austrockne. Unverhüllte Todesdrohung für jeden Künstler auch im Abendland, der es wage, den Propheten zu beleidigen oder auch nur darzustellen! Dergleichen dürfe man sich nicht gefallen lassen. Es komme jetzt, nach Charlie Hebdo, unbedingt darauf an, die satirischen Bilder von Mohammed & Co. noch ungenierter als bisher unter die Leute zu bringen.

Pankraz ist anderer Meinung. Er hält die angelsächsischen Bedenken nicht für einen Ausdruck von Feigheit, sondern eher von Delikatesse und geistiger Überlegenheit. Man will sich nicht von frei herumlaufenden islamistischen Mordbuben mit Kalaschnikows die eigene Agenda verderben lassen. Auf der aber steht seit Jahrhunderten, daß es Respekt vor Gott zu bezeigen gilt, man ihn nicht schnöde bewitzelt oder gar ins Unflätige hineinzieht, wie es kürzlich etwa die „Installationskünstlerin“ Dorota Nieznalska tat, als sie statt Jesus einen riesigen Penis ans Kreuz nagelte.

Natürlich ist der Streit um Gott, um den rechten Glauben an ihn und die dafür notwendigen Inkarnationen und Rituale so alt wie die Menschheit selbst, er beflügelt nicht nur die Philosophie und die Dichtung, sondern auch die bildende Kunst und ihre satirischen Ableger. Die Grenzen zwischen Blasphemie und skrupelhaft ins Bild gesetztem Gottesrespekt sind fließend, lassen zahllose Variationen zu, über deren Karat man sich fast endlos streiten kann. Doch gerade deshalb ist es nötig, eine obere Grenze zu markieren, oberhalb derer jeder Streit aufhört und nur noch der pure Respekt waltet.

Im Wesen des Islam liegt es offenbar, diese Grenze nicht zu ziehen, sondern faktisch das gesamte Leben in all seiner Vielfalt und über alle Kulturgrenzen hinweg mit der Forderung nach absolutem Gottesrespekt zu überziehen; betroffen sind in erster Linie sensible Geistesdisziplinen wie die bildende Kunst und speziell die sarkastische Zeichnung. Daß sich dagegen Widerstand formiert, liegt in der Natur der Sache und ist höchst begrüßenswert, besonders wenn die angemaßten Gotteswächter immer gleich mit der Höchststrafe drohen und Killerkommandos zu Taten inspirieren.

Nur eben, auch das Widerstandleisten hat seine Grenzen. Wenn Frau Nieznalska den Jesus am Kreuz als bloßen Penis modelliert oder der jetzt ermordete Stéphane Charbonnier Mohammed in den Blumenkohl kacken läßt, ist das Ende der Fahnenstange erreicht und überschritten. Britische Cartoonisten wenden sich voller Verachtung ab. In Deutschland haben wir immerhin Paragraph 166 StGB. Er wird kaum noch benutzt, aber es gibt ihn noch, gewissermaßen als Mahnmal des guten Geschmacks und des uns allen eingeborenen Respekts vor dem Höchsten. Man sollte ihn nicht streichen.

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