© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Auf Politik wird verzichtet
Zombie-Republik Deutschland: Der Verfall des diskursiv-intellektuellen Niveaus wird immer sichtbarer
Thorsten Hinz

Es brauchte kein Verbot der Pegida-Montagsdemonstration in Dresden, um festzustellen, daß die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu einem Zombie geworden ist, sofern es um den grundsätzlichen Widerspruch zur offiziellen Politik geht. Ein Zombie, der die Ohnmächtigen zusätzlich demütigt, indem er ihnen bedeutet: Rechtsstaat und Demokratie sind intakt, nur seid ihr zu marginal, zu dumm und unbedeutend, um ihre Möglichkeiten auszuschöpfen! Wie ja überhaupt die freiheitlich-demokratische Grundordnung häufig als Keule gegenüber Andersdenkenden benutzt wird, die der „Verfassungsfeindlichkeit“ bezichtigt werden.

Schon seit Jahren ist das Demonstrationsrecht unter den Vorbehalt von Linksautonomen gestellt, wobei deren Gewaltbereitschaft zum festen Kalkül der sogenannten demokratischen Kräfte gehören. Die – tatsächliche oder simulierte – Drohung des „Islamischen“ und das Zurückweichen des deutschen Staates sind die faktische Fortsetzung und Steigerung dieser Praxis. Mit ihr wird der Terror als Faktor der deutschen Politik eingeführt und das Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat zurückgedrängt.

Das ergibt eine interessante dialektische Verschränkung: Die von der Politik teils betriebene, teils geduldete Zuwanderung hat dazu geführt, daß terroristische Kräfte sich in Deutschland einnisten konnten. Diese sorgen jetzt dafür, daß Proteste gegen die Zuwanderungspolitik unmöglich werden und der Staat diese ungestört fortsetzen kann. Dieser Zusammenhang ist gewiß keine Absicht, doch der Effekt ist evident.

Nehmen wir die Rede, die Bundespräsident Joachim Gauck am 13. Januar in Berlin gehalten hat, auf der Mahnwache vor dem Brandenburger Tor, und prüfen, ob wenigstens er dem Konflikt zwischen Staat und Bürgern gerecht geworden ist. Er ist es nicht! Nirgendwo erwähnte er, welcher Fraktion die Täter von Paris angehörten. Den rhetorischen Höhepunkt bildeten die Sätze: „Was ich zu Beginn meiner Präsidentschaft den Rechtsextremen zugerufen habe, rufe ich heute auch diesen Fanatikern und Terroristen zu: Wir schenken euch nicht unsere Angst. Euer Haß ist unser Ansporn.“

Der Bundespräsident sortiert die Realitäten noch immer nach Kategorien aus dem Kalten Krieg, als ein idealisierter Westen den Gegenentwurf zum kommunistischen Osten bildete. Joachim Gauck, mit dessen Wahl einst die Hoffnung auf geistig-moralische Orientierung verknüpft war, wandelt selber als ein Untoter durch die politische Landschaft.

Das sind nur die neuesten Symptome einer personellen, institutionellen und diskursiven Krise, die Staat und Gesellschaft als Ganzes erfaßt hat und allmählich abtötet. Es gibt viele andere: Das Bundesverfassungsgericht hat kapituliert und es aufgegeben, deutsche Staatsbürger vor den Brüsseler Übergriffen zu schützen. Der supranationale Europäische Gerichtshof sieht seine Aufgabe darin, die auf Vereinheitlichung abzielenden politischen Richtlinien als geltendes Recht durchzusetzen und die Staaten in bloße Verwaltungseinheiten umzuwandeln. Der Bundestag, der die demokratische Volksvertretung bilden soll, könnte – selbst wenn er das wollte – diesen Anspruch gar nicht mehr erfüllen. Er beschränkt sich darauf, die Vorlagen einer unkontrollierbaren Brüsseler Bürokratie umzusetzen.

Da fällt es kaum noch ins Gewicht, daß die im Parlament vertretenen Parteien dem Wähler gar keine Wahl mehr lassen; sie gaukeln nur noch Pluralismus vor. In diesem Rahmen läßt sich noch über die Schwulenehe, über Frauenquoten und mit Einschränkungen über die PKW-Maut diskutieren, nicht aber über das Fehlkonzept der Gemeinschaftswährung und ihre Verwandlung in eine Weichwährung, über die Völkerwanderung nach Europa oder das geplante Freihandelsabkommen. Sie werden zum Fatum, das man ergeben annehmen soll.

Auch die „Zivilgesellschaft“ bietet keinen Ausweg. Sie ist großenteils ein subventioniertes Geflecht aus Beauftragten für Frauen, Minderheiten, Ausländer, die in der Hauptsache damit beschäftigt sind, die eigene Unentbehrlichkeit herauszustellen und im übrigen den vorgegebenen Kurs noch forcieren wollen. Ähnliches gilt für die Kirchen, die ihre Spiritualität durch die gängige humanitaristische Leitmoral und dabei die Nächsten- durch die Fernstenliebe ersetzt haben.

Der unwirkliche, der Zombie-Charakter der öffentlichen Diskurse wird personalisiert von Demonstranten, insbesondere einer akademischen Jugend, die mit der unlogischen Alternativlosung „Bunt statt braun“ für „Weltoffenheit“ eintreten, ohne zu bedenken, daß der Begriff eine geistige Disposition und nicht die Internationalisierung der Sozialkassen benennt. Der Verfall des politisch-intellektuellen Niveaus bis hin zum Schwachsinn erreicht seine äußerste Ausprägung im autoaggressiven „Antideutschen“.

Michel Houellebecq hat in seinem Roman „Unterwerfung“ das Hinüber-gleiten Frankreichs in einen islamischen Staat beschrieben (JF 4/15). Dieses Gleiten geschieht viel sanfter als die Ablösung der Weimarer Republik durch das Dritte Reich und unter strikter Einhaltung der demokratischen Prozeduren. Die jedoch sind längst entwertet durch die Abwesenheit der geistigen Freiheit und die Verengung des politischen Reflexionsraumes.

Man kann das Modell spezifiziert auf Deutschland übertragen. Der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck hatte in einer Untersuchung zur „Erfindung des Politischen“ (1993) die Ersetzung der Politik durch eine Subpolitik proklamiert. Nicht nationalstaatliche Antagonismen und die Verteilungskonflikte sozialer Gruppen seien mehr entscheidend. Diese befänden sich durch die Globalisierung einerseits und die Individualisierung andererseits in Auflösung. Nun gehe es darum, die Folgeschäden der Modernisierung durch eine soziale „Gesellschaftsgestaltung von unten“ zu beheben.

Das ist eine Variante vom „Ende der Geschichte“ und der Versuch, das Sozialstaatsmodell der alten, politisch unter Kuratel stehenden Bundesrepublik zu transzendieren und über die Wiedervereinigung hinaus zu verlängern. Beck berücksichtigte zuwenig, daß die Vormächte mit der Globalisierung handfeste politische Interessen transportieren, und sah auch nicht voraus, daß durch die Zuwanderung neue und entschlossene Teilnehmer auf dem politischen Spielfeld erscheinen.

Die genannten Zerfallssymptome sind also kein bloßer Zufall, sondern die logische Folge des Versuchs, die aktuellen Herausforderungen mit Mitteln zu bewältigen, die bereits 1993 nichts taugten. Politisch gesehen erweist die Bundesrepublik sich insgesamt als ein Zombie, der auf eine eigene Politik verzichtet und nach außen und innen zur Beute größerer Einheiten und entschlossener Gegner zu werden droht.

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