© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Weinberg und der Unterschied
Vergessener Vater der Populationsgenetik
Werner Olles

Wilhelm Weinberg, 1862 in Stuttgart geboren und 1937 in Tübingen verstorben, war Arzt und Geburtshelfer. International bekannt wurde er als Populationsgenetiker und einer der Entdecker des Grundgesetzes der Populationsgenetik, dem Hardy-Weinberg-Gesetz, nach dem beim Menschen die Vererbung denselben Gesetzmäßigkeiten folge, wie bei Tieren und Pflanzen.

Im Verein für Vaterländische Naturkunde erhielt er viele Anregungen über den neuesten Stand der Vererbungswissenschaften. Wie alle Genetiker seiner Zeit war er überzeugt, daß man durch die Kenntnis der Vererbungsgesetze verhindern müsse, daß krankheitsbedingte Erbanlagen von einer Generation auf die nächste übertragen werden. Er befürwortete eugenische Maßnahmen, war sich jedoch der Tatsache bewußt, daß man damit vorsichtig umgehen mußte.

Der Sohn eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter fühlte sich als deutscher Reichsbürger. Die Erfolge der Nationalsozialisten nahm Weinberg nicht ernst. Selbst das „Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes“, das von dem Psychiater und Humangenetiker Ernst Rüdin 1933 mit verfaßt wurde, akzeptierte er, zumal er mit Rüdin bereits lange zuvor zusammengearbeitet hatte. Als das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ erschien, das sich primär gegen die Juden richtete und wissenschaftlich nicht vertretbar war, war für Weinberg der Rubikon überschritten. Doch er schwieg, weil er für seine Familie fürchtete. Seine Veröffentlichungen wurden nach 1933 kaum noch zitiert. Bettelarm verstarb der Gelehrte 1937 und wurde in Reutlingen in einem Massengrab bestattet.

Diether Sperlichs und Dorothee Frühs Werk über Wilhelm Weinberg, den zu Unrecht in seiner Heimat vergessenen Humangenetiker, der als „Halbjude“ praktisch bereits nach seinem Tode nicht mehr existierte, ist durchaus auch für Leser, die nicht vom Fach sind, interessant. Wie Weinberg ist auch die Populationsgenetik im deutschsprachigen Raum heute fast ganz verschwunden, weil sie in dem falschen Verdacht steht, den unterschiedlichen Wert menschlicher Rassen zu thematisieren. Zuletzt hat Thilo Sarrazin dieses Fehlurteil zu spüren bekommen.

Diether Sperlich, Dorothee Früh: Wilhelm Weinberg. Der zweite Vater des Hardy-Weinberg-Gesetzes. Basilisken Presse, Marburg/Rangsdorf 2015, gebunden, 290 Seiten, 39 Euro

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