© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/15 / 23. Januar 2015

Mit Lüge, Terror und Intrige
Wie alliierte Geheimdienste den Ersten Weltkrieg mit entfachten: Helmut Roewer schaut hinter die Kulissen der großen Politik zwischen 1914 und 1917
Wolfgang Kaufmann

Helmut Roewers Werk „Kill the Huns!“ scheint nur der äußerlichen Gestaltung nach Ähnlichkeit zu Karlheinz Weißmanns „1914 – Die Erfindung des häßlichen Deutschen“ aufzuweisen. Doch während Weißmann die Propagandamythen zu Lasten des wilhelminischen Kaiserreichs behandelt, rekonstruiert Roewer die subversiven Aktionen der Kräfte auf der Gegenseite.

So war der russische Militärgeheimdienst Raswjedka ganz offensichtlich in das Attentat gegen den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand verwickelt: Der dezidiert kriegsunwillige Generalinspekteur der k.u.k. Armee hätte dem Zarenreich nämlich niemals Anlaß gegeben, einen neuen militärischen Konflikt auf dem Balkan vom Zaun zu brechen. Also mußte er sterben, wobei sein Tod dann praktischerweise gleich noch dazu herhalten konnte, die Gegenseite zum Angriff zu provozieren. Deshalb finanzierte die Raswjedka die Mörder von Sarajevo, und deshalb begann Rußland bereits im Mai 1914, unter höchster Geheimhaltung mobil zu machen – was die serbische Regierung übrigens ganz genau wußte.

Sabotageakte in den USA durch britische Dienste

Ebensolche Bellizisten wie in Sankt Petersburg saßen in London, wobei deren Hauptziel ein Krieg in Mittel- und Osteuropa war: Dieser würde Frankreich und Deutschland schwächen und Rußland zwingen, sein Engagement in Asien zu reduzieren. Also begann eine kleine, aber einflußreiche Intrigantenclique unter der Führung von Außenminister Edward Grey 1904 damit, systematisch Unwahrheiten in die Welt zu setzen, um antideutsche Stimmungen zu schüren und die ahnungslose britische Bevölkerung auf künftigen Konflikte mit dem Reich einzuschwören – ein Tun, das dann in der geschickt angeheizten Invasions- und Spionagehysterie nach dem Beginn der Julikrise von 1914 kulminierte.

Und dann war da noch Belgien, das angeblich „neutrale“ Opfer eines unprovozierten deutschen Überfalls. Wie Roewer nachweist, konspirierte Brüssel schon seit 1905/06 mit den Briten. Die Ursache hierfür lag nicht im Bekanntwerden der deutschen Durchmarschpläne für den Kriegsfall mit Frankreich, wie später fälschlicherweise behauptet wurde, sondern in den belgischen Kolonialgreueln im Kongo, welche das Königreich in eine nahezu komplette politische und moralische Isolation drängten. Nur Großbritannien hielt sich mit Kritik zurück.

Ein weiteres Thema sind die Versuche Londons, die USA in den Krieg hineinzuziehen. Hierzu lancierte der britische Geheimdienst allerlei Meldungen über deutsche Anschläge gegen Infrastruktur und Produktionsstätten in den USA, von denen jedoch die meisten frei erfunden waren. Und was die wirklich stattgefundenen Attentate betrifft, wie die Sprengung des Munitionsdepots auf der Halbinsel Black Tom in New Jersey am 30. Juni 1916, so kann Roewer anhand zahlreicher Indizien plausibel machen, daß diese von seiner Majestät Naval Intelligence begangen wurden.

Im letzten Abschnitt des Buches wiederum geht es dann um das deutsche Bemühen, Rußland durch subversive Maßnahmen zum Aussteigen aus dem Krieg zu bewegen. Dabei erfährt der Leser interessante Details: Damit sich die Rüstungs- und Transportarbeiter im Zarenreich zum Streik bereitfanden, wurden sie von Berlin mit insgesamt 42 Millionen Mark alimentiert. Ein weiterer Zahlungsempfänger war der Revolutionsführer Lenin, der angesichts des großzügigen Sponsorings seine Aprilthesen verfaßte, in denen er unter anderem einen bedingungslosen Friedensschluß mit Deutschland sowie den Sturz der provisorischen Regierung in Sankt Petersburg forderte.

„Kill the Huns!“ endet also mit der Schilderung, wie das Kaiserreich die Russische Revolution vom November 1917 initiierte. Das heißt im Umkehrschluß, daß das entscheidende letzte Kriegsjahr 1918 ausgespart bleibt. Allerdings denkt Roewer darüber nach, auch dieses noch auf seinen „Schreibtisch zu wuchten“.

Helmut Roewer: Kill the Huns – Tötet die Hunnen! Geheimdienste, Propaganda und Subversion hinter den Kulissen des Ersten Weltkrieges. Ares Verlag, Graz 2014, gebunden, 504 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

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