© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Papierkrieg pur
Mindestlohn: Alles sollte gerechter werden, doch heraus kam ein Bürokratiemonster, mit dem die deutsche Wirtschaft gegängelt wird
Markus Brandstetter

Ein Maschinenbauer in Baden-Württemberg. Ein Familienunternehmen, das erstklassige Hebebühnen, Laufkatzen und Winden für den industriellen Einsatz produziert. Weil die Produkte der Firma technisch so gut sind, verkauft sie sie in die ganze EU und in die USA, ja bis nach Brasilien.

Weil die Leitung in Deutschland keinen Angestellten einfach entlassen kann – und sei er noch so schlecht –, weil also Mitarbeiter den ohnehin schon hohen Fixkostenblock immer weiter aufblähen und in Nachfrageflauten nicht abgebaut werden können, arbeitet sie mit Subunternehmern zusammen, die eine Vielzahl von Aufgaben für die Schwarzwälder Firma übernehmen. 20 Jahre lang hat das bestens funktioniert, eine Vielzahl kleinerer Anbieter, viele davon direkt vor der Haustür, hat von dem umtriebigen Familienunternehmen im Hochschwarzwald profitiert und gutes Geld erhalten. Bis jetzt, denn seit diesem Monat ist alles anderes, denn jetzt gibt es den Mindestlohn.

Lückenlose Dokumentation der Arbeitszeit ist gefordert

Für die Schwarzwälder bedeutet dies Papierkrieg pur, denn ab sofort müssen sie darüber wachen, daß die eigenen Mitarbeiter – ebenso wie die ihrer Subunternehmer – auf jeden Fall den Mindestlohn erhalten. Für das Unternehmen bedeutet dies, daß seitenlange Listen mit Personaldaten aufgestellt, ausgefüllt und überprüft werden müssen – Listen, in denen auch die Mitarbeiter der Subunternehmer erfaßt werden, die das Unternehmen überhaupt nicht kontrollieren kann. Für die Buchhaltung bedeutet dies seit Jahresbeginn Streß und Chaos in Reinkultur.

Noch ein Beispiel für die Segnungen des großkoalitionären Mindestlohnes gefällig? Da hätten wir den „Circus Probst“, eine der ältesten zircensischen Dynastien im deutschsprachigen Raum. Es ist kein strategisch wichtiges Unternehmen, für das sich Politiker einsetzen, einfach nur ein Zirkus mit Sitz in Staßfurt, der immerhin 80 Mitarbeiter hat, die mit Herzblut anspruchsvolle Vorstellungen bieten. Noch nie wurde eine Tournee abgesagt, aber jetzt ist es soweit: „Mit den elf bis 26 Euro, die wir pro Karte einnehmen“, sagt Andreas Bleßmann, der Geschäftsführer des Unternehmens, „können wir einfach keine Mindestlöhne bezahlen.“

Der Arbeitstag im Zirkus beginnt um sieben Uhr morgens und endet gegen zehn Uhr abends; am Samstag wären ab sofort 50 Prozent Überstundenzuschläge und am Sonntag gleich 100 Prozent davon zu bezahlen – das sind Zahlen, die ein Schaustellerunternehmen nicht erwirtschaften kann. Von der zusätzlichen Bürokratie, daß nämlich ab sofort jede gearbeitete Stunde für jeden Mitarbeiter und jeden Tag der Woche schriftlich zu dokumentieren ist, ganz zu schweigen.

Nicht besser sieht es in der Gastronomie aus. Seit Januar müssen auch Wirte 8,50 Euro bezahlen, was viele Gastronomen bereits seit Jahren tun. In strukturschwachen Gegenden wie Sachsen-Anhalt schafft das aber echte Existenzprobleme: „Wir schätzen, daß 20 Prozent der Betriebe aufgeben werden, besonders kleine im ländlichen Raum“, klagt Michael Pirl, Vizechef der Landessektion des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga.

Beraterbranche reibt sich schon die Hände

Bundesweit ist das Problem hingegen vor allem die damit verbundene Lohnbürokratie. Jede einzelne Arbeitsstunde für jeden Mitarbeiter bis zur letzten Aushilfe muß nun lückenlos aufgezeichnet werden. Viele Unternehmen müssen einen Mitarbeiter nur für die Bürokratie abstellen, und der bringt dann jeden Tag eine Stunde damit zu, lange Listen auszufüllen. Dies mag bei Großbetrieben in der Hotellerie, die auf professionelle Steuerberater und Softwareprogramme zurückgreifen können, noch angehen. Aber kleine Wirte und Kneipenbetreiber bleiben dabei voll auf der Strecke, denn wer den Mindestlohn nicht flächendeckend bezahlt und akribisch dokumentiert, der muß mit saftigen Bußgeldern rechnen.

Wer allerdings profitiert richtig von Mindestlohngesetz und Bürokratie? Das sind die in Wahrheit vollkommen überflüssigen Industrie- und Handelskammern Steuerberater, Seminarveranstalter sowie Hersteller von Software für Personalbuchhaltung und Zeiterfassungssysteme. Die haben seit Monaten volle Auftragsbücher und bauchige Terminkalender. Denn ab sofort muß informiert und geschult werden, flimmern wieder die ewigen Powerpoint-Präsentationen mit den vielen bunten Bildern aus Tausenden von Beamern, um Unternehmern die vielen Fallstricke und Fußangeln kostenpflichtig aufzuzeigen, die man in das neue schwarz-rote Gesetz eingebaut hat.

Ebenfalls begeistert sein dürften alle Rechtsanwälte mit der Spezialisierung auf Arbeitsrecht, denn schon in einigen Monaten wird eine Klagewelle durch Deutschland rollen, werden Mitarbeiter Mindestlöhne gerichtlich einfordern, jede kleine Abweichung auf dem Klageweg ahnden lassen und Unternehmer sich dagegen wehren müssen. Richtig interessant wird die Geschichte aber erst dann, wenn nicht nur Linkspartei und Verdi, sondern alle DGB-Gewerkschaften damit anfangen, einen Mindestlohn von zehn Euro durchzusetzen. Langfristig wird das nicht zu verhindern sein, denn im Januar wurde die Büchse der Pandora geöffnet.

Foto: Werbeplakat von Verdi in Berlin: Die Polizeikelle, ein Symbol des Obrigkeitsstaates, als Zeichen für das neue Bürokratiemonster

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