© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/15 / 30. Januar 2015

Die Engel der Verführung
Von Laien gespielt: Zur deutsch-mexikanischen Koproduktion „Los Ángeles“
Sebastian Hennig

Der Film „Los Ángeles“ ist schon durch seine Herstellungsbedingungen ein ungewöhnliches Werk. Der US-amerikanische Absolvent einer bayerischen Filmhochschule inszeniert eine deutsch-mexikanische Koproduktion mit Indios als Darstellern. Damian John Harper wurde 1978 in Colorado geboren, er studierte Anthropologie, anschließend arbeitete er als Ethnologe und Höhlentaucher in Mexiko. 2005 entdeckte er die Filmsprache für sich und erlernte sie eigens für die Erzählung seines Langfilmdebüts. Vor drei Jahren hat er sein Regiestudium in München abgeschlossen. Der Spielfilm „Los Ángeles“ kann als das Fazit seiner bisherigen Lebensarbeit betrachtet werden.

Der Filmtitel spielt mit der spanischen Bedeutung von „Los Ángeles“ als „die Engel“ und dem Namen der riesigen Stadt in Kalifornien, von der aus mexikanische Einwanderer oder Illegale die Kinder daheim ernähren. Das Drehbuch gründet auf über einem Jahrzehnt Beobachtungen im zapotekischen Dorf Santa Ana del Valle, die bald in eine freundschaftliche Verbundenheit mit dessen Bewohnern überging. Die Filmrollen werden ausschließlich von den indianischen Dörflern gespielt.

Die Geschichte ist exemplarisch. Im Mittelpunkt steht der Teenager Mateo. Er hat sein Leben auf zwei Ziele ausgerichtet. Um sich über die Grenze schmuggeln zu lassen, muß er genügend Geld zusammenbekommen. Zudem will er in eine Gang aufgenommen werden, um sich Heimatgefühl und Zugehörigkeit in der Fremde zu bewahren. In einem wüsten Prügelexzeß muß er zeigen, daß er einstecken kann. Darauf bekommt er einen von drei Punkten auf die Hand tätowiert. Ihm wird beschieden: „Du mußt noch zwei Jobs erledigen.“ Als nächstes raubt er die Gemeindekasse aus der Sakristei. Die Tat wird einer Gang im Nachbardorf in die Schuhe geschoben. Doch den Mord an einem rivalisierenden Gangster, der ihm als letzte Initiation abverlangt wird, bringt Mateo nicht über sich. Damit zieht er die Vergeltung der Kumpane auf sich und seinen kleinen Bruder. Langsam dämmert ihm, daß er statt Sicherheit zu finden nur Schrecken auf Schrecken häuft.

Eine schwankende Handkamera folgt den Darstellern auf den Fersen. Nach der Konvention des Kriminal- und Actionfilms läßt die ständige Verfolgung der Personen durch das Filmauge den Einbruch des Schicksals, eine Attacke von hinten oder von der Seite erwarten. Hier gehen sie meist einfach still ihres Wegs, ohne daß der erwartete Überfall sich ereignet. Und doch drückt sich in dem nahen Abstand ein grundsätzliches Ausgeliefertsein an die Gefahren des Lebens aus.

Der Film wird nie intim. Es werden keine Räume inszeniert. Die Arbeit auf dem Acker, in der Küche und am Webstuhl hat nur Bedeutung in bezug auf die Menschen, die immer ernst dreinblicken. Es gibt keine Ironie, es sei denn die Ironie des Schicksals. Es ist beeindruckend, wie sich die Handlung langsam aus dem Temperament der Protagonisten heraus entfaltet. Dieser von Laien gespielte Bericht über die ländliche Lebensweise in den Tälern der Region Oaxaca im Süden Mexikos ist viel ungekünstelter, als ein Dokumentarfilm hätte sein können, der die Menschen diskret beim Leben beobachtet.

Matriarchat und Machokultur sind zwei Seiten einer Lebenshaltung. Schüchtern entspinnt sich eine Liebschaft und gipfelt im verstohlenen Kuß auf die Wange der Liebsten. Im Familienrat spricht der älteste Mann unwiderrufliche Gebote. Doch beim gemeinsamen Mahl verfügt die Frau des Hauses: „Keine Mütze bei Tisch.“ Sie hält auch den Banditen eine kräftige Standpauke: „Vor euch hat keine von uns Angst.“

Der frivole Gegensatz zwischen bedrückender Armut und großartigen Landschaftsbildern, mit dem solche Themen gern vorgeführt werden, verbietet sich von selbst. Der Film erzählt von der Ehre und Würde als dem Reichtum eines Volkes in seiner angestammten Heimat. Sozialkritik wäre da nur eine Spielart der sentimentalen Sozialromantik. Statt läppischer Faszination am Fremden hat ein echtes Verständnis die Filmaufnahmen geleitet. Die trügerischen Träume, zum Beispiel ein großer amerikanischer Fernseher für die Mutter, werden nicht verlacht. Dergleichen Sehnsucht ist nicht im Dorf entstanden. Es sind die chaotischen Signale der Wohlstandsgesellschaft, die überall das menschliche Gleichgewicht verrücken.

Eine bezeichnende Gestalt ist der schnauzbärtige Marcos. Er ist aus den USA heimgekehrt und findet sich als Gemeinderat nicht zurück in die Wirklichkeit seiner Heimat. Letztlich bewahrt ihn nur die Barmherzigkeit der Kollegen vor den Konsequenzen seiner Irrtümer. Als er betrunken den Gangsterhäuptling und Schwiegersohn in spe herausfordert, schlagen ihn die nachsichtigen Kameraden nieder und lassen ihn seinen Rausch von der neuen Ordnung in der alten Arrestzelle des Dorfes ausschlafen. Nachsichtig wird er fortan überhört. Die Verletzung durch Häme existiert praktisch nicht unter diesen Verhältnissen. Gerade weil die Gewalt immer gegenwärtig ist, bedarf sie keiner ästhetischen Überhöhung. Die Bilder des Films sind zwar überwiegend dunkel. Doch das Bild von der Gemeinschaft ist nicht düster. Das Ende bleibt offen. Die Macht des Schicksals erfüllt den Horizont.

Kinostart ist am 29. Januar 2015

Foto: Gangmitglieder Mateo (Mateo Bautista Matías), Danny (Daniel Bautista): Vergeltung der Kumpane

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